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Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Hehl, Ernst-Dieter [Bearb.]
Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 6: Stuttgart, 2002

DOI Artikel:
Hehl, Ernst-Dieter: Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts. Einleitende Bemerkungen zu Anforderungen und Leistungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.34720#0017

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Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts

11

Zunächst die päpstlichen Register, auch wenn sie für die Zeit zwischen Gregor VII.
und Innozenz III. und somit für das 12. Jahrhundert nicht erhalten sind10, und die
im 12. Jahrhundert entstehenden Sammlungen der päpstlichen Dekretalen11. Für
beides gibt es auf königlicher Seite keine Entsprechung.
Mit den Sammlungen der päpstlichen Dekretalen gewann das Papsttum jedoch
den Zugang zu den sich im 12. Jahrhundert herausbildenden Universitäten, der me-
thodisch und wissenschaftlich betriebenen Interpretation und Lehre seiner zur
päpstlichen Dekretale formalisierten Briefe ekklesiologischen und juristischen In-
halts sowie den mit diesen Vorgängen verbundenen sozialen Milieus. Im 12. Jahr-
hundert, genauer in dessen zweiter Flälfte, in der die Dekretalensammlungen ent-
stehen, ist dieser Prozeß noch nicht von den Päpsten gesteuert. Es handelt sich viel-
mehr um einen Rezeptionsprozeß, in dem die kanonistische Wissenschaft die
päpstlichen Einzelentscheidungen in ihre Lehre aufnahm und in den frühen Dekre-
talensammlungen systematisierte. Erstmals 1209 übersandten die Päpste, hier Inno-
zenz III., eine offizielle Dekretalensammlung nach Bologna; in der Zukunft war die
Rezeption einer Dekretalensammlung von der päpstlichen Autorisierung abhängig.
Dem vor 1209 aus den Bedürfnissen von Wissenschaft und Lehre erwachsenen
Rezeptionsprozeß und der Anerkennung ihrer Dekretalen als Rechtsnormen hatten
die Päpste aber vorgearbeitet, indem sie an ihrer Kurie eine »ständige Entschei-
dungspraxis« herausbildeten, verbunden mit »der Entwicklung einer Routine
höchstrichterlicher Rechtssprechung und Rechtsinterpretation«12. Rund 1100 päpst-
liche Dekretalen sind aus den Jahren 1140-1198 bekannt, aus der Epoche zwischen
der Vollendung von Gratians Dekret, seiner »Concordia discordantium canonum«,
und dem Pontifikatsantritt Innozenz' III.13.
Wie sich das Papsttum selbst verstand, wurde so zum Gegenstand gelehrten
Unterrichts und wissenschaftlichen Kommentars. Die diesem Selbstverständnis zu-
grundeliegenden Dokumente waren gleichsam öffentlich zugänglich. Sie hatten

10 Die Frage der Gesamtzahl päpstlicher Briefe im Verhältnis zu den in das Register aufgenomme-
nen Stücken erörtert für Gregor VII. Hartmut Hoffmann, Zum Register und zu den Briefen
Papst Gregors VII., in: Deutsches Archiv 32,1976, S. 86-130.
11 Vgl. als Übersicht Alphonsus M. Stickler, Historia iuris canonici Latini 1: Historia fontium,
Turin 1950, S. 217ff.; Willibald M. Pöchl, Geschichte des Kirchenrechts 2, 2. Aufl. Wien 1955,
S. 415ff.
12 Vgl. Peter Landau, Die Durchsetzung neuen Rechts im Zeitalter des klassischen kanonischen
Rechts, in: Institutionen und Geschichte. Theoretische Aspekte und mittelalterliche Befunde,
hg. von Gert Melville (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und
früher Neuzeit 1), Köln 1992, S. 137-155, hier S. 139ff. (Zitat S. 140). Landau verweist zusätzlich
auf die allgemeine Rezeption der großen Kanonessammlungen seit Anfang des 12. Jahrhun-
derts, nämlich Ivos von Chartres Panormia und Gratians Dekret, und betont, daß die Kategorie
Privatarbeit für diese Sammlungen die Verhältnisse des 12. Jahrhunderts nicht trifft. Vgl. dazu
grundsätzlich Stephan Kuttner, Quelques observations sur l'autorite des collections canoni-
ques dans le droit classique de l'Eglise, in: Actes du Congres de droit canonique, Paris 22-26
Avril 1947, Paris 1950, S. 305-312, bes. S. 306ff. (Neudruck in: Ders., Medieval Councils, Decre-
tals, and Collections of Canon Law, London 1980, Aufsatz I).
13 Peter Landau, Die Entstehung der systematischen Dekretalensammlungen und die europäi-
sche Kanonistik des 12. Jahrhunderts, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte.
Kanonistische Abteilung 65,1979, S. 120-148, hier S. 121 (mit Berufung auf die Forschungen von
Walther Holtzmann); vgl. jetzt auch Ders., Rechtsfortbildung im Dekretalentrecht. Typen und
Funktionen der Dekretalen des 12. Jahrhunderts, in: ebd. 86,2001, S. 86-131.
 
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