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Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]; Hehl, Ernst-Dieter [Bearb.]
Das Papsttum in der Welt des 12. Jahrhunderts — Mittelalter-Forschungen, Band 6: Stuttgart, 2002

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Felten, Franz J.: Kaisertum und Papsttum im 12. Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.34720#0132

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Franz J. Felten

können - und was wiederum der Grund dafür gewesen sei, warum man ihnen so
eilfertig entsprechende Herrscherqualitäten zugeschrieben habe134. Hanna Vollrath
fragte noch viel radikaler, schon auf der Reichenau, und in einem Aufsatz von 1998:
Haben die deutschen Könige überhaupt »in gleicher Weise königsstaatliche Struktu-
ren entwickeln wollen wie ihre westlichen Kollegen«?135 Wollte der Kaiser über-
haupt den Machtstaat, der auch in den Vorträgen der Reichenau noch unausgespro-
chen als Ideal im Hintergrund gestanden habe; und wenn er ihn nicht wollte, hätte
er ihn wollen sollen136? Alfred Haverkamp, der wiederholt vor den Maßstäben des
19. Jahrhunderts warnte, pflichtete ihr bei: Warum sollte der Aufbau einer wirksa-
men Verwaltung für Barbarossa überhaupt erstrebenswert gewesen sein137, so daß
sich Joachim Ehlers, gewiß kein Vertreter obsolet etatistischer Ideale, veranlaßt sah,
»eine Lanze für den Pragmatismus zu brechen«. Eine »anständige Verwaltung« sei
»nicht unbedingt nur ein Maßstab des 19. Jahrhunderts«138.
Die Diskussion zeigt, wie nicht nur ein traditionsreiches Geschichtsbild, son-
dern auch die ihm zugrunde liegenden Urteilskategorien ins Wanken geraten. Neue
Maßstäbe sind nicht leicht zu finden, und das gilt auch für die Frage, wie der Kaiser
und seine Politik in die »renovatio« des 12. Jahrhunderts einzuordnen seien. Hier
prallen die Meinungen zuweilen hart aufeinander. Alfred Haverkamp z. B. wollte
ihm, ungeachtet der eben zitierten Skepsis, erfolgreiche neue Konzeptionen, eine in-
novatorische, flexible Politik auf vielen Gebieten zuschreiben, etwa in Italien oder in
der Städtepolitik, während sie in Burgund eher traditionell, gegenüber der Reichs-
kirche innovatorisch und traditionell zugleich gewesen sei139. Der Nestor der deut-
schen Stauferforschung, Odilo Engels, hingegen urteilte hart: »Friedrich Barbarossa
(habe) im Sinne einer steuernden Führung eigentlich nichts Neues geschaffen, son-
dern nur den eingetretenen Status quo sanktioniert«140. Unter dem Stichwort der
>renovatio< haben seine kritischen Fragen zu Modernität und Rückwärtsgewandt-
heit Barbarossas besonderes Gewicht: »Wo liegen in der Politik Barbarossas die zu-
kunftsweisenden Momente?« Bezog er »seine Maßstäbe (nicht) hauptsächlich aus
der Vergangenheit«141? - Und mit Blick auf die >andere Universalgewalt<, das Papst-
tum, wäre zu fragen: Konnte diese in noch stärkerem Maße auf alte Tradition sich
berufende Institution ihren schon im >Investiturstreit< sichtbar werdenden »Moder-

134 Reuter, The Medieval German Sonderweg? (wie Anm. 131), S. 210.
135 Vollrath, Politische Ordnungsvorstellungen (wie Anm. 54), S. 36.
136 Dies., in: Reichenau-Protokoll Nr. 311 (wie Anm. 1), S. 89. Johannes Fried fragte gar: »Was
konnte er überhaupt wollen?« und vermutete, daß seine Maßstäbe wechselten, je nach Gege-
benheiten in den einzelnen regna (ebd. S. 94).
137 Haverkamp, ebd. S. 93: »Wollte der Kaiser nicht viel mehr in die Weite wirken, gar nicht so sehr
in die Tiefe?«
138 Ehlers, ebd. S. 94 mit Hinweis auf zeitgenössische französische Herrscher wie Heinrich II. oder
Philipp II., »die sich um Verwaltung und Gebietsherrschaft bemühen«.
139 Haverkamp, Einführung (wie Anm. 15), S. 18,21 und passim.
140 Engels, in: Reichenau-Protokoll Nr. 311 (wie Anm. 1), S. 87 mit Hinweis darauf, daß der Erzbi-
schof von Köln Südwestfalen bereits vor 1180 längst besessen habe. In mehreren Arbeiten zum
Sturz Heinrichs des Löwen hat Stefan Weinfurter Barbarossa eher als von den Fürsten, bes.
Philipp von Heinsberg, Getriebenen denn als aktiv gestaltenden Akteur gezeichnet. Vgl. insbe-
sondere: Erzbischof Philipp (wie Anm. 7); übernommen von Schneidmüller, Konsensuale
Herrschaft (wie Anm. 107), S. 74.
141 Engels, in: Reichenau-Protokoll Nr. 311 (wie Anm. 1), S. 87.
 
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