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Peltzer, Jörg [Bearb.]; Schwedler, Gerald [Bearb.]; Töbelmann, Paul [Bearb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Politische Versammlungen und ihre Rituale: Repräsentationsformen und Entscheidungsprozesse des Reichs und der Kirche im späten Mittelalter — Mittelalter-Forschungen, Band 27: Ostfildern, 2009

DOI Artikel:
Peltzer, Jörg,: Das Reich ordnen: Wer sitzt wo auf den Hoftagen des 13. und 14. Jahrhunderts?
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.34740#0111

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Jörg Peltzer

Ansprüche nicht vergessen und konnten sie wenigstens gegen die Würde des
Erzkanzlers der Königin eintauschen. Aber eine reelle Chance auf die perfor-
mative Umsetzung bestand nicht.73 An der Spitze des Reichs hatte der Abt von
Fulda, hatten die Reichsabteien generell schon lange keinen Platz mehr. Die
Heraushebung der Kurfürsten genauso wie der Sieg des Mainzer Erzbischof,
des Wahlleiters, über seinen Kölner Amtskollegen, des Koronators, weisen auf
die entwickelte, zentrale Bedeutung der Wahl für das Königtum hin; die Wahl
diente nicht nur der Selektion des Königs, sie konstituierte ihn auch.74 Darüber
hinaus machten die wiederkehrenden Konflikte um den eigenen Platz den of-
fenen Charakter der politisch-sozialen Ordnung im Reich deutlich. Jeder Fürst
hatte zwar eine recht genaue Vorstellung von seinem Rang, aber eine festge-
zurrte Ordnung existierte nicht. Der eigene Platz im Ranggefüge musste im-
mer wieder aus Neue ersessen werden, immer wieder aktualisiert werden. Die
durch Rudolf von Habsburg wiederbelebten großen Hoftage boten hierfür die
Bühne und den öffentlichen Raum. Gerade nach dem Interregnum - in Bezug
auf Hoftage ist dieser Begriff tatsächlich angebracht - galt es, hier alte Ansprü-
che und neue Ambitionen umzusetzen. In diesem dynamischen Prozess setzte
die Goldene Bulle in ihrer ordnenden Ausrichtung einen neuen Akzent. Die
Verschriftlichung der Rangordnung an der Spitze des Reichs zielte darauf ab,
sie auf Dauer zu stellen, sie letztendlich ihrer Dynamik zu berauben. Dies be-
deutete allerdings keinesfalls das Ende der älteren Mechanismen, denn auch
die neue schriftliche Ordnung musste sich erst durchsetzen, Autorität gewin-
nen.75
Die Goldene Bulle bezeugt, dass die Formulierung »Form folgt Funktion«
zu kurz greift. In der Festlegung der Kurfürsten als erste Fürsten des Reichs
folgt zweifellos die Rolle der Kurfürsten ihrer Funktion. Andererseits aber
wurde in der gemeinsamen und ausschließlichen Darstellung des Reichs durch
König und Kurfürsten ein Modell geformt, dessen Funktion sich erst noch zu
erweisen hatte. Schien dieses Konzept während Karls Herrschaftszeit noch auf-
zugehen, so erwies es sich mittel- und langfristig nicht als tragfähig: Es war
zu schmal, zu eng, um den politischen Herausforderungen vor allem des be-
ginnenden 15. Jahrhunderts gewachsen zu sein. König und Kurfürsten allein
konnten die gewaltigen Probleme nicht schultern.76 Die auf der Suche nach
73 Arnold Busson, Fulda und die Goldene Bulle, in: MIÖG 2,1881, S. 29-48.
74 Auf diese Deutung des Konflikts zwischen Mainz und Köln verwies vor allem Schubert, Kö-
nigswahl (wie Anm. 57), S. 274 f.
75 So war zum Beispiel der Streit, wer das Reichsschwert zu tragen habe, der Herzog von Sach-
sen, wie in der Goldenen Bulle vorgesehen, oder der Herzog von Brabant, ein Dauerthema
der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts; Busson, Fulda (wie Anm. 73), S. 32-34; Julius Fik-
ker. Vom Reichsfürstenstande. Forschungen zur Geschichte der Reichsverfassung zunächst
im XII. und XIII. Jahrhunderte, 2 Bde., Innsbruck/Graz 1861-1923, Bd. 2 1. Teil, S. 271. Zur
sehr allmählich stattfindenden Rezeption der Goldenen Bulle siehe Schubert, Königswahl
(wie Anm. 57), S. 285-290; für die Frühe Neuzeit siehe Stollberg-Rilinger, Zeremoniell (wie
Anm. 7), S. 100.
76 Schubert, Erz- und Erbämter (wie Anm. 31), S. 223-227; Moraw, Reichstag (wie Anm. 2),
S. 236; zur Entwicklung der kürfürstlichen Rolle im Reichsgefüge siehe Schubert, Die Stellung
der Kurfürsten (wie Anm. 14), bes. S. 125-128.
 
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