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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 10.1911

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Nr. 4
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Schur, Ernst: Albert Gessner, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.24589#0222

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162

Albert Gessner

Schönheit, die es als Muster für eine Dorfschule
erscheinen lässt. Auch das Ferienhaus Aschoff zeigt
diese strengere Gliederung, auf die wir schon hin-
wiesen; es hat in seiner kompakten Zusammen-
fassung neben der Schlichtheit eine fast grosszügige,
gedrungene Wucht. V

V Dieser architektonische Gedanke, der Gessners
Schaffen durchzieht, kommt in seiner Raumkunst
ebenso beherrschend zum Ausdruck. Ja, man kann
fast sagen, dass in der Gliederung und Ausgestaltung
der Räume das Hinstreben zur architektonischen
Klarheit ganz besonders sich betont. Wenn man all
die Innenräume in Augenschein nimmt, die hier in
reicher Anzahl abgebildet sind, so wird man empfin-
den, wie sachlich, rein und modern das alles gedacht
und gestaltet ist. Kein Spielen mit überflüssigem
Schmuck, kein Imitieren „bewährter“ Stilarten, ein
fast eleganter und doch ganz sachlicher Geschmack,
der aus der Behandlung des schönen Materials bei-
nahe von selbst erwächst: eine Raumschöpfung, die
sich restlos zusammensetzt aus Wand, Decke und
Fussboden, der die Möbel sich sichtlich harmonisch
einfügen, so dass der Endeindruck der einer dis-
ziplinierten Harmonie ist. Wie wohnlich weiss
Gessner solche Interieurs zu gestalten! Ein Beleuch-
tungskörper genügt oft, um einen farbigen Akzent
einzufügen. Ein niedrig-breites Fenster gibt einer
Sofaecke erhöhte Intimität und so ist den Räumen
gleich beim ersten Anblick der Eindruck mitgegeben:
hier sollen Menschen einer neuen Zeit wohnen.

V Dieser Raumkunst ist das Bürgerliche charakte-
ristisch aufgeprägt. Das Bürgerliche nicht in einem
engen, kleinen, sondern in dem eigentlich zukünf-
tigen Sinn, der den Rahmen weiter spannt, der das
Milieu des Arbeiters wie das Heim des geschmack-
vollen Kulturmenschen umfasst. Für beide Nuancen

hat Gessner Typen des Wohnens geschaffen. Er
ist ausgegangen vom Einfachen und ist organisch
zum Reicheren, Eleganten gekommen. Aber auch
diesReichere trägt den Stempel wohltuender Schlicht-
heit an der Stirn. Wie variabel Gessners Phantasie
aber doch arbeitet und sich den Zwecken anpasst,
das zeigt am besten das Kinderzimmer, das richtige
Märchenstimmung in seinen gedrungenen Formen,
seinen derberen Farben atmet. V

V Selbst im einzelnen wird man diesen architek-

tonischen Grundweg bestätigt finden. Wie eine Tür
gebaut ist, wie ein Fenster sich zusammensetzt, wie
ein Schrank sich aufbaut, ein Bett gefügt ist, wie
ein Stuhl steht, und ein Tisch sich in seiner Form
betont — überall spüren wir das Solide, Sachliche
und Intime, das sich in kostbareren Möbeln zu
reicherer Schönheit des Materials, zu diffizilerer
Bearbeitung steigert. Wie wir es auch bei dem
Grabmal sehen, dessen Anlage so streng und ge-
schlossen wirkt, während das Gitter in seiner Durch-
bildung leicht und fast graziös seinen Material-
charakter betont, beides, Stein und Bronze wieder in
Wechselwirkung sich belebend. V

V So zeigt Gessner gerade in diesen neuen

Schöpfungen eine ansteigende Entwicklung. Im
einzelnen gewissenhaft, im ganzen grosszügig, nimmt
er eine eigene Stellung in dem baukünstlerischen
Schaffen der Gegenwart ein, die er sich durch sich
selbst errungen hat und die er, mit den Aufgaben
wachsend, immer umfassender ausfüllt. In dieser
Beziehung ist speziell der Bebauungsplan für Lank-
witz bedeutsam, weil hier das Prinzip Gessners, auch
auf die Ausführung sich einen Einfluss zu sichern,
dank der Energie der Baugesellschaft, durchgeführt
werden konnte. V

ERNST SCHUR

ALBERT GESSNER, CHARLOTTENBURG
Bildstudie für ein Sanatorium im Erzgebirge
 
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