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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 13.1914

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September - Oktober
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Kalkschmidt, Eugen: Die Möbel- und Raumkunst auf der Werkbundausstellung zu Köln A. Rh.
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https://doi.org/10.11588/diglit.48542#0570

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gestern übrig geblieben war. Man spürte ihn in den bieder-
meierlichen Bürgermöbeln Schultze-Naumburgs, in der pre-
ziösen Schnitz- und Teppichornamentik R. A. Schröders. Dieser
Wind hat sich seither versteift. Er ist, wie Hermann Obrist
auf der Werkbundtagung witzig hervorhob, sogar ins Kölner
Plakat gefahren, sozusagen dokumentarisch beglaubigt also,
er weht die Fackelflamme des Werkbundreiters nach vorn,
kommt also von hinten, ist ein Wind der Reaktion . . .
Man braucht keine Laterne anzuzünden, um zu entdecken,
daß sich die Zeichen einer Umkehr zu den verlassenen
Altären der Stilüberlieferung gemehrt haben, gerade dort, wo
ganze Räume ausgestellt werden. Von den nichtssagenden
offiziellen Schauräumen etwa der Städte Hannover, Hildes-
heim, Frankfurt, oder vom Kölner Hause will ich dabei nicht
einmal reden, bedenklicher schon muß es stimmen, daß eine
Pflegestätte moderner Bestrebungen wie Dresden einen
kalten Prunkraum zeigt, wie er einer spätrömischen Kaiser-
villa anstehen möchte, so klassizistisch nachempfunden wirkt
er. Der getäfelte Saal der Stadt Leipzig zeigt mit seiner
feinen ornamentalen Holzbehandlung schon ein anderes
Gesicht, aber der Zopf des 18. Jahrhunderts schaut plötzlich
hinter den gedrehten Säulen hervor und auch die Schweifungen
des ovalen Tisches kommen uns plötzlich bekannt vor. Eine
gedrehte Säule — wäre die in Dresden 1906 möglich gewesen?
Man braucht die Frage nur zu stellen, um ihre Antwort zu
wissen. Aber weiter: man beachte, wie Schröder im
Bremer Hause seinen Empfangsraum, wie altväterisch Paul
Tro ost ebenda sein Speisezimmer aufgebaut hat, wie
Runge&Scotland die geschweifte Linie mit dem üppigen
Schnitzornament an Spiegelkonsolen, Tischen und Stühlen
barock verbinden, man sehe ferner, wie Paul Pott in seinem
bürgerlichen Wohnzimmer des Kolonialhauses den Sims der
Glasvitrine oder die Kommode mit kleinen Unterbrechungen
schweift und profiliert, wie L. Bernhard ein Rokoko-
muschelbett konstruiert, wie Peter Danzer das Motiv des
stilisierten Hirschgeweihs über die Glasscheiben seines
Schränkchens, wie Schulze-Kolbitz sein Blumenorna-
ment über das lackierte Holz seiner Möbel zieht und endlich :
wie Breuhaus im Kabarett chinesische Sänften als Separat-
kabinette für ungenierte Leute einführt — man wird mir zu-
geben, daß in all diesen ornamentalen und dekorativen Ein-
fällen, die ich durch weitere Beispiele mehren könnte, Barock
und selbst Rokoko stärker beteiligt scheinen als das ungewisse
Etwas, was wir modern nennen.
Sind es aber wirklich nur dekorative Einzelheiten, die
auf den rückwärtigen Anschluß verweisen? Tritt nicht auch
im konstruktiven Aufbau ähnliches an den Tag? Es gibt
in der Ausstellung ein Vorzimmer aus dem Petersburger
Botschaftspalast von Peter Behrens, das von dem peinlich
geometrisch geordneten Empfangsraum, den der Künstler vor
acht Jahren in Dresden zeigte, sich unterscheidet, wie wenn
es von einer ganz anderen Hand wäre Für Petersburg hat
Behrens sich vollkommen den bewährten Formen fürstlicher
Repräsentation angepaßt: es ist aufgefrischtes 18. Jahrhundert,
letztes Drittel, was er dem Botschafter gibt. In seiner großen
Festhalle ist er dann freilich zu seiner rationellen Methode
der systematisch verwendeten geometrischen Grundformen:
Rechtecke, Kreise, Halbkreise, Dreiecke und Spiralen zurück-
gekehrt. Mit dem unzweifelhaften Erfolg, da<5 diese neuzeit-
liche Rechnung zwar stimmt, aber doch recht nüchtern und
unfestlich wirkt. Und ein paarSchritte entfernt kämpft van
de Velde in seinem Theaterraum den verzweifelten Kampf

des starren Individualisten, der vergebens für einen großen
Raumkörper nach einer Bekleidung sucht, die architektonischer
Zweckausdruck sein soll und schließlich nicht viel mehr ist
als Hintergrund für abgeblendetes Decken- und Seitenlicht.
An Stelle von Raumgestaltung bekommt man gedämpftes
Licht mit obligater Raumbegleitung, die ihrerseits architek-
tonisch indifferent bleibt. Steht man auf den Seitentreppen
des Foyers, so sieht man von den Leuten zur ebenen Erde
nur die untere Hälfte: lauter Beine bewegen sich da. Von
dem auch raumkünstlerisch mißglückten Experiment der drei-
geteilten Bühne ganz zu schweigen.
Solche Eindrücke mahnen, die Forderung nach dem un-
bedingt Neuen nicht zu überspannen. Wir müssen, soweit wir
es nicht schon stillschweigend getan haben, darauf verzichten,
die Ankunft des modernen Stiles über Nacht zu erwarten.
Wir müssen uns in Geduld üben lernen, wo wir offenbar
sehen, daß die schöpferischen Geister der Bewegung selber
nicht schlüssig sind, und zum Teil Anschluß suchen dort, wo
die Ueberlieferung ihnen vorgearbeitet hat.
Dieses neue Situationsgefühl ist mit dem Ornament
gekommen. Nachdem einmal die konstruktiven Möglichkeiten
der neuen Raumkunst durchdacht und erprobt waren, nach-
dem die Nachahmung und das Surrogat als das entlarvt waren,
was sie sind, konnte es nicht ausbleiben, daß man die wieder-
entdeckte Schönheit des reinen Materials durch Schmuck-
formen zu steigern begann. Denn schließlich: Tische, Stühle,
Schränke sind in ihren Zweckformen nur begrenzt wandelbar,
wenn man nicht Monstrositäten erfinden will. Aber in ihren
Schmuckformen sind sie unbegrenzt zu erneuern. Die Propor-
tionen von Wand und Decke, von Türe und Fenster bewegen
sich innerhalb eines immerhin engeren Kreises von Möglich-
keiten, als ihre dekorative Gestaltung durch Farbe und Form.
Die unmittelbare Folge dieser Erkenntnis scheint mir das
starke Zurücktreten der eingebauten Möbel auf der Kölner
Raumkunst zu sein. Während die Innenarchitekten in Dresden
Gewicht darauf legten, für Büfett und Spiegel, für den Erker-
sitz und den Schreibtisch die Plätze ein für allemal festzu-
legen, haben sie in Köln dem Möbel seinen beweglichen
Charakter zurückgegeben, behandeln sie wieder jedes Stück
einzeln, und geben ihm die räumliche Zugehörigkeit durch
weniger gewaltsame Vorschriften, durch den gemeinsamen
Dekor, durch einheitliche Stilisierung.
Ein Künstler wie Bruno Paul hat freilich diese freiere
Form der Raumbestimmung stets vorgezogen. Er nimmt durch
die höchst aparten Leistungen im „Gelben Hause“ der Firma
Gerson aufs neue für sich ein. Er ist komplizierter geworden,
und nicht jeder wird ihm seine farbigen Rechnungen auf den
ersten Blick glauben. Aber bei aller Eleganz sind diese Räume,
das braune Herrenzimmer voran, von einer hohen geschmack-
lichen Vollendung, und der kecke Vorstoß ins Farbige, die Raum-
beziehung der Malerei an der Wand, womit der Künstler, durch
E. R. Weiß und Orlik unterstützt, nicht nur in seinem festlichen
Gartensaal, sondern auch im Weinrestaurant neue Wege sucht,
darf man selbst dann begrüßen, wenn man noch nicht des vollen
Einklangs aller Einzelheiten sicher ist. Die Raumgruppe der-
selben Firma in der Haupthalle bietet Max Landsberg und
Hans Jessen, insbesondere aber Walter Gropius Gelegen-
heit, ein paar vortreffliche Räume zu zeigen, von denen die mit
Kacheln verkleidete Vorhalle vielleicht die beste Leistung ist.
Welch glückliche Wirkungen die Keramik an der Wand üben
kann, lehrt das Innere des Hauptcafes von Niemeyer und
Haas, ein Raum von vollendeter Einfachheit und Anmut.
 
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