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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 13.1914

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November
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Westheim, Paul: Der Neubau der Hamburger Kunstgewerbeschule: Architekt Baudirektor Fritz Schuhmacher, Hamburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.48542#0662

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und nur die höchste künstlerische Entfaltung der
Kräfte die fruchtbarsten Anregungen auch für alle
werktätige Arbeit gibt. Jede Art künstlerischer
Betätigung von dem Handfertigkeitsunterricht der
Kinder an, von der praktischen Werkstattarbeit bis
zum selbständigen Bilden in Stein und Farbe sollte
hier eine Möglichkeit haben. Das Programm, das
der Direktor M e y e r dieser seiner Schule — denn
sie ist sein eigenstes Werk — zu geben wußte, ist
ebenso umfassend wie klar. „Die Schüler sollen
die große Einheit begreifen und fühlen, die allen
Werken der Kunst gemeinsam ist, ob sie nun aus
glorreicher Zeit künstlerischen Lebens stammen
oder neu geschaffen sind. Die Anstalt will nur
Freund und Führer sein, will den künstlerisch
Ringenden die Muße und Mittel zur Entfaltung
ihrer Kräfte geben, sie will zusammenführen, was
getrennt war, die Harmonie herstellen unter den
Schwesterkünsten der Architektur, der Plastik und
Malerei und damit die große Sehnsucht auf eine
deutsche Kunst erfüllen helfen, die unserer Zeit
verklärter Ausdruck wird, die unserem Ringen nach
geistigen, ästhetischen und auch materiellen Gütern
Form gibt. In Persönlichkeitsbildung soll diese Hilfe
bestehen, in der Bildung von künstlerischen Kräften,
die in ihrer Eigenart, ihrem inneren Wesen nach,
sich entfalten, die sich in Form und Farbe auszu-
drücken verstehen, jeder in seiner Art und doch
alle in einer Sprache, der künstlerischen Sprache
unserer Zeit.“ Das sind Sätze, die nicht nur auf
dem Papier stehen, deren Wirklichkeit, deren
Fruchtbarkeit man immer wieder erlebt, wenn man
in Berührung kommt mit Dingen, die aus dieser
Lehrarbeit hervorgegangen sind.
Aus diesem weitgespannten Programm entwickelt
sich der Bau, der für die Schule zu errichten war.
Ein Jahrzehnt fast, solange sie als selbständige
Anstalt besteht, hatte sie sich mit einem proviso-
rischen Gebäude zu begnügen. Während dieses
Provisoriums wurden für die räumliche Organi-
sation des Lehrbetriebes im weitesten Maße Er-
fahrungen gesammelt. Man studierte mit Eifer eine
große Zahl ähnlicher Anstalten, um schließlich für
jede Unterrichtskategorie, ich möchte fast sagen
für jeden Unterrichtsraum, zu grundsätzlichen
Forderungen zu kommen, denen der neue Bau zu
genügen habe. Hinzu kommt, daß man immer auch
an die Zukunft dachte, daß man von vornherein
Entwicklungsmöglichkeiten nach jeder Richtung hin
vorsah. So wuchs die Schule über die einzelnen
Klassenräume, in denen Unterricht erteilt wird,
hinaus zu einem gewaltigen Apparat, der alles um-
faßt, was eine Stadt für kunstgewerbliche und
künstlerische Ausbildung benötigt. Werkstätten-
betriebe, Ausstellungsräume, einen Vorlesungssaal,
eine Bibliothek, Gewächs- und Tierhäuser und der-

gleichen Einrichtungen, die anderwärts in Kunst-
gewerbeschulen noch nicht vorhanden sind, die
aber, wie nicht zu verkennen ist, einer qualitativen
Steigerung dieses Unterrichts dienen, gliederten
sich an den für den Klassenunterricht und die Ver-
waltung notwendigen Raum. Für den Architekten
lag in diesem weitschauenden, bis ins einzelnste
festgelegten Programm der Reiz, eine Musteranstalt
zu schaffen, wie sie auf dem Gebiet noch nicht da
war, aber auch die Schwierigkeit, solch hundert-
fältig divergierende Forderungen zu einer harmo-
nischen Einheit zu bringen. Für Fritz Schu-
macher war zudem dieser Bau eine der ersten
Aufgaben, die ihm in seinem neuen Amt als Bau-
direktor der Stadt Hamburg gestellt wurden.
Als Gelände ergab sich ein Grundstück zwischen
dem Lerchenfeld und der neuen Uferstraße am
Eilbecker Kanal. Die Krümmung des Lerchenfeld-
Straßenzuges und das Bestreben, so weit wie mög-
lich das für diesen Unterrichtsbetrieb günstige Nord-
Ost-Licht auszunutzen, zwang dazu, den Hauptbau
in einem Winkel zu der dem Stadtinneren zuge-
wandten Straßenfront anzuordnen. An diese für die
Belichtung ungünstigere Seite kamen die großen
Korridore, Repräsentationsräume usw., während die
Ateliers und Unterrichtsräume nach der Kanalseite
zu orientiert wurden. Das Terrain fällt nach dieser
Seite um einige Meter ab. Dieser Niveauunterschied
wurde zur Anlage hoher Bildhauerateliers benutzt.
Da für Malerateliers und Aktklassen ein kombi-
niertes Seiten- und Oberlicht gefordert war, wurde
nach dieser Seite auch das Dachgeschoß zu einer
Folge von Atelierräumen ausgebaut, so daß auf dieser
wertvollen Nordostseite fünf Stockwerke entstanden,
während nach der Stadt sich ein dreistöckiger Bau
präsentiert, der so nicht allzu ungefüge herausragt
aus seiner niedriger gehaltenen Umgebung. Eine
Schwierigkeit, die zu überwinden war, ergab sich
in den verschiedenen Richtungswinkeln der Haus-
front und der Straßenflucht. Um da zu einem Aus-
gleich zu kommen, hat Schumacher das Haupt-
gebäude von der Straße zurückgerückt und zwei
Flügel bis an die Bauflucht vorstoßen lassen. Der
Straßenbiegung entsprechend mußten diese beiden
Flügel ungleich groß werden. Der kleinere, süd-
westliche wurde in eine Anzahl Unterrichtsräume
aufgeteilt; der gegenüberliegende enthält den Haupt-
eingang mit einer großen aus Beton konstruierten
Vorhalle, das Treppenhaus, die durch zwei Stock-
werke stoßende Aula, eine Bibliothek, Sammlungs-
und Ausstellungsräume und was sonst an repräsen-
tativen Räumlichkeiten in solchem Hause verlangt
wird. Eine Anordnung, durch die diese gelegentlich
wohl auch zu öffentlichen Veranstaltungen benutz-
baren Partien ohne Störung des Schulbetriebes
zugänglich sind. Um diese verschieden großen
 
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