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Monatshefte für Kunstwissenschaft — 1, Heft 7-12.1908

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Heft 9
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Studien und Forschungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.70401#0209

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Studien und Forschungen

MICHELANGELOS
GIGANTENSCHLACHT.
Von Karl Borinski.
K. Frey hat (zu Tafel 65 seiner Ausgabe der
Handzeichnungen Michelangelos, 7./8. Lieferung)
meinen methodischen Bedeutungsnachweis der
Tondo-Rötelskizze in den Uffizien durch einen
bloßen Machtspruch ablehnen zu können ge-
glaubt: Ich habe „die Rötelskizze falsch analy-
siert und das sei der Hauptgrund gegen meine
Deutung". Da man es hier nun aber zunächst
mit gar keiner subjektiven Deutung, sondern
einer notwendigen Einreihung in einen ge-
sicherten Zusammenhang von Motiven (den
plastischen Kunstwerken des sommo artefice im
Purgatorio) zu tun hat, so sei es uns erlaubt,
hier auch das Selbstverständliche, bei kritischen
Fadigenossen in der Beurteilung der Sachlage
Vorauszusetzende zur Aussprache zu bringen.
Zunächst die Form der Skizze: das Tondo!
Was in aller Welt konnte den Zeichner be-
wegen, seine Skizze durch die beiden parallelen
Kreise einzurahmen, wenn nicht die Rücksicht
auf die durch den Doppelkreisrahmen sofort
kenntlichen Medaillons der Sixtinischen Decke?
Die Erhöhung der Schlange, auf die Frey mit
dem kleinlauten Eingeständnis: „faute de mieux"
mit einem Male wieder zurückgreift, nachdem
er früher die doch weit mehr dazu in Be-
ziehung stehende Oxforder Rötelskizze schon
von ihr abtrennen wollte? Gibt es Entgegen-
gesetzteres als die Form des oben nach beiden
Seiten breit ausladenden, unten zusammen-
gedrängten Zwickelbildes, des auf den Kopf
gestellten Dreiecks und diese strenge Kreisform?
Und dem Zeichner muß es doch darauf speziell
angekommen sein, seine Komposition gerade
dieser Form anzupassen, die in seinem gesamten
Oeuvre nur im Hinblick auf die Medaillons zu
begreifen bleibt. Auch ohne den gravierenden
Doppe1kreisrahmen!
Aber „ziehen wir sie doch einmal jeder an-
deren vor", wie Frey will, „die nicht befriedi-
gende Deutung der ehernen Schlange" „bei
diesem flüchtigen, aber geistreichen, einen Ge-
dankenblitz gleichsam skizzierenden Entwurf".
Wir wollen sehen, ob wir nicht dann gerade
„willkürlich mit den historischen, künstlerischen
und persönlichen Faktoren schalten", wie uns
Frey jetzt vorwirft. Daß die Form der Skizze

alsdann die reine Willkür darstellte, wird man
zugegeben haben. Nun der Inhalt! Alles
deutlich Erkennbare darin steht in Beziehung
zu dem Vermummten oderBehelmten rechts oben,
der sieghaft gebieterisch die beiden Arme ins
Bild hineinstreckt. Er nun müßte nach Freys
„nicht befriedigender" Deutung der Aufrichter
der Schlange sein. Einen solchen kennt aber
weder Michelangelos ausgeführtes Zwickelbild
an der Decke, noch die doch mindestens in der
unteren Partie zu ihm in Beziehung stehende
(vergl. mein Buch S. 229) Oxforder Rötelzeidi-
nung, noch irgend eine direkte Studie dafür.
Wozu trägt der Aufrichter der Schlange — nach
der Bibel (4. Mos. 21, 9) Moses selbst — einen
Helm und platzt (mit flatterndem Mantel? aus der
Wolke?) so jäh in das Bild hinein, daß er alles
andere vorhaben könnte, nur nicht die Fest-
setzung eines Heilssymbols zur Friedung krank-
haften Aufruhrs? Hier geht im Gegenteil aller
Aufruhr auf ihn zurück. Nicht bloß der gerade
unter ihm Hingestreckte, der so drastisch das
„giacer . .. grave alla terra" des Danteschen
Briareus in der Gigantenschlacht zum Ausdruck
bringt: nein! auch seine Umgebung steht durch-
wegs in Beziehung zu ihm. Und zwar in der
denkbar gegensätzlichsten zum Heile der
Schlangenerhöhung! Mindestens dreimal be-
gegnet das Motiv des Die-Hand-vors-Gesicht-
Haltens: bei der aus der Mitte in den Vorder-
grund stürzenden Figur über dem Kopfe des
Dahingestreckten, die das Gesicht in beiden
Händen begräbt (wie anscheinend auch die rechts
am Rande aus dem Bilde hinausstürzende); bei
dem aufrecht Stehenden über seinem ausge-
streckten rechten Beine dicht unter dem vorgeb-
lichen Aufrichter der Schlange (er scheint inten-
tioniert in der ausgeführten Aktstudie — neben
der Tondoskizze —, bei der auch schon das
Motiv der Erhebung des rechten Armes [zur
Deckung des Gesichts] vorbereitet scheint); end-
lich bei dem Zurücktaumelnden vorn links! Also
die Aufrichtung des Heils bewährt sich hier
gerade darin, daß alle sich, entsetzt und zurück-
geschleudert, die Augen vor ihm zuhalten? Nur
eine, eine einzige Figur sieht nach der vorgeb-
lichen Aufrichtung der Schlange zurück. Es ist
die hinter dem Zurücktaumelnden zu äußerst
links am Rande. Aber gerade sie ist, statt da-
durch beruhigt und geheilt zu werden, im Be-
griff, mit vorgestreckten Armen aus dem Bilde
hinaus zu flüchten!
 
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