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Das figiirlidie Ornamenf.

Deutlicher als beim geometrischen und beim pflanzlichen Orna-
ment tritt in den figürlichen Darstellungen clie stilistische Ent-
wicklung hervor, da Yeränderungen der Gesamtform in gerin-
gerem Adafie als dort mögdich sind.

Die Tiergestalten der Emails cles Eleriberfsdireins sincl rein
fiächig und zeidmerisch gesehen. Die Innenzeidhnung deutet zwar
die Körper an, aber in völlig stilisierter Form. So sind bei den
Tieren des Lebensbaummotivs die Linien der Schenkel in nichts
verschieden von der schematischen Zeichnung der bedeckten
Pferderücken, rein ornamental sind sie bis fast zum Rticken der
Tiere emporgezogen. Trotzdem ist in den kleinen Unterscheidun-
gen in der Haltung der Köpfe, in den Mundformen oder den Stel-
lungen der Beine ein gewisser Grad von Yerlebendigung gegeben,
durdi den cliese Gestalten über die Motive der Stoffmuster hinaus-
gehen.

Von hier aus gesehen entwickeln sich die Tierfiguren an der
Vorderseite des Maurinusschreins zu stärker organisch durchge-
formten Körpern, deren Gliederung nidrt mehr als rein dekorative
Linie aufgefafit ist, sondern mehr der wirklichen Gestalt ange-
nähert ist. Noch viel mehr sind aber die Unterschiede aus der
Gesamthaltung zu ersehen, die eine viel größere Festigkeit des
Stehens erreicht, der gegenüber die Tiere der Lebensbaumgruppe
des Ideribertschreins zu schweben scheinen.

Für die Bewegungen dieser Tiere ist ein starke Gebundenheit
bezeidmend. Einmal handelt es sich um rein motivisch übernom-
mene Darstellungen in den Wendungen der Köpfe und den Stel-
lungen der Fiiße, die eigentlich zu der Gestalt des Tieres gehören,
nicht aber von ihm selbst bewirkt werden. Das Wesen solcher
erstarrten, ganz ornamenthaft aufgefaßten Tiere bringt am klar-
sten der Daehkamm des Maurinusschreins mit seiner gleichmäßigen
Kette ineinandergeflochtener Lebewesen zum Ausdruck. Dagegen
sind die Gestalten in den Dachranken des Heribertschreins mit
einem stärker organischen Leben erfüllt, das sidi in der plastischen
Schwellkraft der geschmeidigen Körper äußert. Wenn sie aller-
dings audi nicht mehr aus rein motivisch gegebenen Bedingungen
bewegt werden, so ist für sie docli der stilistische Zusammenhang
bindend, der ihre Bewegungen nur im Zuge der gesamten Ranken-
anlage möglidi macht, sodaß sie nicht für sich selbst bestehen, son-
dern nur Teil einer größeren sind. So kommt das sdiöne Gleicli-
maß zustande, das diesen ganzen Stil kennzeichnet.

In den Tierköpfen des Klosterneuburger Altars und des Drei-
königenschreins findet sich die Darstellung eines wirklich leben-
digen Wesens. Die Köpfe sind in ihrem Aufbau durchclacht, und

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