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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins — 1908-1909

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Pazaurek, Gustav Edmund: München und Darmstadt: eine Ausstellungsbetrachtung des Jahres 1908
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https://doi.org/10.11588/diglit.7712#0062
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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins.

da noch dort die Fortsetzung des Straßenbahngeleises bis zum Haupteingang
durchführte, ist allerdings in dem Zeitalter des Verkehrs nicht ganz verständlich.)
So ausgezeichnet auch die Gesamtverteilung der einzelnen Ausstellungsgebäude
auf die Plätze durchgeführt war, so wenig konnte man sich sowohl in München
als auch in Darmstadt mit der Detail-Grundrißdisposition innerhalb der ein-
zelnen Ausstellungsgebäude befreunden; in den einzelnen Hallen mußte man
unausgesetzt den Plan des Führers sorgfältigst studieren, um nichts auszulassen
und überflüssige Wiederholungen zu vermeiden. Man wird doch allmählich
bei den zahllosen Einbauten der einzelnen Ausstellungsgebäude einen be-
quemeren Orientierungsplan festlegen müssen. Wir sind derzeit in unserer,
etwas einseitigen Interieur-Schwärmerei an der äußersten Grenze angelangt.
So nüchtern das Kojensystem der alten Ausstellungen war, so angenehm war
andererseits der Ueberblick über alles Gebotene. Bei den jetzt fast zu Hun-
derten aufeinanderfolgenden, oft für den kleinsten Haushalt bestimmten Innen-
räumen hat man schon ganz vergessen, daß man auf einer Ausstellung doch
auch anderen Bedürfnissen Rechnung zu tragen hat, als der häuslichen Wohn-
lichkeit, und daß man namentlich an den Sonn- und Feiertagen dem Massen-
besuche vollständig ratlos gegenübersteht; hier hört jedes Studium und jeder
Genuß der Ausstellung auf, desgleichen die Möglichkeit einer entsprechenden
Ueberwachung.

Nur noch eine allgemeine Bemerkung, die sich uns aufdrängt, möge voraus-
geschickt werden. Es ist die geradezu typische Farbenflucht, die nament-
lich der Außenarchitektur zwar etwas sehr Ruhiges, aber auch etwas viel zu
Monotones verleiht. Die Künstler haben es offenbar an beiden Orten, nament-
lich aber in Darmstadt selbst herausgefühlt und dementsprechend zum Aus-
gleich einen überaus bunten Blumenschmuck hinzutreten lassen. Wie sehr
die Natur, besonders die blühende Pflanze die Ausstellungs-Kunst zu unter-
stützen vermag, hat man ja erst ein Jahr vorher in der Nähe von Darmstadt,
nämlich in Mannheim, wahrzunehmen Gelegenheit gehabt. Ob es aber gut
ist, sich in dieser Beziehung so ganz auf den Gärtner zu verlassen, ob es
nicht vorteilhafter wäre, namentlich in den späteren Herbstmonaten von der-
selben etwas unabhängiger zu sein, mag dahingestellt bleiben.

Die wichtigste Tatsache bleibt es, daß an beiden Stellen die verantwortliche
Oberleitung in den Händen von Künstlern war, denen zum Glück im all-
gemeinen genügende Bewegungsfreiheit gelassen worden ist, die künstlerischen
Prinzipien usque ad finem durchzuführen. In Darmstadt war man dies bereits
von früher her gewöhnt; aber auf einer großen allgemeinen Ausstellung, wie
es die in München war, ist diese unbedingte Konsequenz, die sich bis auf
die Speisekarten, Flaschenetiketten und Einwickelpapiere erstreckte, ein novum,
das nicht genug gelobt werden kann. Gerade in diesem Umstand liegt die
Hauptbedeutung der Münchener Ausstellung, die auch für die industriellen und
technischen Anlagen, für die Sportabteilung, sowie für die Gruppe der Be-
kleidungs- und Nahrungsmittelindustrie, die bisher fast ausschließlich ein Tummel-
platz für allerhand Gschnas bildete, künstlerisch geschlossene Ausstellungs-
möglichkeiten zu schaffen verstand, ja sogar einen ganz neuen Typus für das
Vergnügungseck aufstellte, welches bisher ausnahmslos als jenseits von
gut und böse stehend betrachtet wurde. In diesem Punkte lehnten bisher
alle Ausstellungsleitungen jede Verantwortlichkeit ab und schufen sich selbst
 
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