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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins — 1908-1909

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E., H. H.: Die Erlöserkirche in Stuttgart
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https://doi.org/10.11588/diglit.7712#0069
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DIE ERLÖSERKIRCHE IN STUTTGART.

Nun haben die Stuttgarter sich wenigstens auch noch einen Kirchenbau von
dem ihnen verlorenen Theodor Fischer erhalten.

Um Fischers Bedeutung und auch um diese Kirche wird immer noch zwischen
den „Alten und Jungen" hin- und hergeplänkelt. Die Alten schelten die Jungen
ob ihrer lobpreisenden Ueberschwänglichkeiten. Aber, einige allzuüppige
Ranken der Begeisterung zurückgeschnitten, haben die Jungen doch recht und
auch wir wollen uns zu ihnen bekennen.

Fischer wars in Deutschland eigentlich doch, der mit als erster, sicherlich
als Führer unsere Baukunst des formalistischen Prunks entledigte und das
Bauwerk nicht in „Formen'', in irgendwelcher Umgebung für irgendwelche
Bestimmung, sondern in seiner Form, in seiner Umgebung, für seine Be-
stimmung sprechen ließ. Und diese Führerschaft hat denn auch in Württem-
berg schon ihre weiteren Wirkungen ausgeübt. Unser Städtebau hat, wenn
auch nicht immer glücklich, eine Reformation durchgemacht. Und man schaue
sich draußen um, was da und dort die „Schule Fischer" an Kleinstadt- und
Dorf-Kirchen anmutig hinsetzt.

Man sagt also nichts Neues, wenn man Fischer das Verdienst zuspricht, er
habe die Kunst wieder gefunden, in die Landschaft zu bauen. In die Land-
schaft und den Sinn des Menschendaseins hinein, dem er den Bau zubestimmt.
So hört man z. B. zufällig einmal von seiner Stuttgarter Heusteigschule, die
Kinder fühlten sich erstaunlich, heimatlich wohl in ihren Räumen und seien
stolz auf ihre Schule. Was läßt sich Beweiskräftigeres über die rechte Lösung
eines Schulbauproblems sagen?

* *

Ueber dem Güterbahnhof und über Fabriken, vom Rauch umschwehlt, steht
die neue Kirche am Hang des Weinberghügels. An einem Platz, wo sich „Stadt
und Land" die rauhen Hände reichen.

Das letzte Jahrhundert hätte irgend ein gotisch oder romanisch zusammen-
gesetztes Zierstück an den Weinberg geklebt. Der Rauch stiege um Türmchen
und Fialen wie um sorgsam anzurauchende Pfeifenköpfe. Die „Jüngeren"
bürden ein wohlgefälliges weichliniges Geschöpf des Baroko hilflos in die
fremde Umgebung ausgesetzt haben.

Theodor Fischer umschaute sich erst die Schwere des Platzes, auf dem er
das Gebäu stellen, und die Lebenslast der Menschen, für die er das Haus
der Erhebung schaffen sollte. Er „verleibte" sein Werk dem Weinberg ein
und gab den Schwaden der Schornsteine die Tuffsteinmauern preis, die einmal
m der „Patina" erst, grau-braun durchtränkt, ihr geheimeres Leben offenbaren
und die Stimmung des ganzen Bildes steigern werden.

Unter der Hand des Künstlers wurde dabei allerdings etwas anderes als
eüie „Kirche" nach unseren städtischen Vorstellungen. Wurde bewußt dies
Andere, das deutsche Gottesdienst-Haus, das geweihte Gemeindehaus.
 
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