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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins — 1908-1909

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Pazaurek, Gustav Edmund: Nützliche Goldschmiede-Arbeiten für schwäbische Kirchen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7712#0195
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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins.

Natur war, unter dem Krummstabe zahlreiche seiner glänzendsten Aeußer-
ungen hinterlassen und zwar nicht nur in bischöflichen Residenzen, Stifts-
bibliotheken oder Klosterrefektorien, sondern auch in den Kirchen selbst und
in ungezählten herrlichen Kultusgeräten, wie Meßkelchen, Monstranzen, Ciborien,
Ostensorien, Reliquiarien und dergl. Noch heute bewundern wir überall diese
Zeugen einer üppigen, künstlerischen Phantasie, obwohl die schweren Kriegs-
zeiten um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts den größten Teil dieser
Erzeugnisse ohne viele Umstände in die verschiedenen Münzstätten zur Ein-
schmelzung verurteilten. -

Wenn die Kirche, und zwar sowohl die katholische, deren Bündnis mit der
Kunst ein traditionell überaus inniges ist, als auch die evangelische, die an
Stelle früherer, übertriebener puritanischer Rückhaltung immer mehr die
Schätzung gediegener Kunstleistungen treten läßt, in dem neuzeitlichen Kampf
um neue stilistische Ausdrucksformen nicht die Führerrolle übernimmt, so kann
uns das nicht wundern. In einem Kriege müssen auch erst die aufklärenden
Vorpostengefechte vorangehen, bevor das schwere Geschütz seine Haupttätig-
keit entfalten kann. Nun ist aber in dem gewaltigen ästhetischen Ringen
unserer Tage um bei demselben Bilde zu bleiben — die Aufklärungs-
arbeit noch lange nicht erledigt; nicht einmal innerhalb des deutschen Volkes
ist eine Klarheit und ein einheitlicher Zug in den Bewegungen erzielt,
geschweige denn bei den romanischen Völkern, die viel zäher an konservativen
Ueberlieferungen festhalten. Die Kirche wartet daher vorerst noch ab, welche
von den verschiedenen, ziemlich unvermittelt neben einander laufenden
Richtungen die Oberhand gewinnen wird, ehe sie ihren ganzen Einfluß in die
Wagschale wirft.

Ueberdies war die Ouvertüre der Sezession für kirchliche Kunstwerke nicht
gerade sehr verlockend. Die Nachbeter eines Eckmann oder van de Velde
überboten sich gar bald in „abstrakten" Schnörkeln, die ähnlich wie die
vorangegangenen Rokoko-Wiederbelebungsversuche unter den Orgien orna-
mentaler Schmuckmotive die Hauptsache aus dem Auge verloren hatten,
nämlich das zweckgemäße, konstruktive Skelett. Der Schmuck hing sozusagen
in der Luft, oder aber er überrankte wie üppiger wilder Wein eine
zerbröckelnde Ruinenmauer — so sehr alle Linien des technischen Aufbaues,
daß eine wirkliche Gesundung unserer Verhältnisse von dieser Seite nicht zu
erwarten war. Erst seit an Stelle effekthaschender Willkür die Rückkehr
zur naturgemäßen Grundlage, zur sachlichen, materialgemäßen Konstruktion
vollzogen war, hat man wieder festen Boden unter den Füßen. Erst auf
dieser soliden Basis läßt sich ein herrliches Gebäude schöpferischer Phantasie
errichten.

So haben wir denn schon auf den Ausstellungen in Dresden (1906) und
München (1908) die kirchliche Kunst sich vielversprechend entwickeln gesehen;
auch die im Gefolge stehende Friedhof- und Grabmalkunst ist hier, wie in
Nürnberg (1906) und Darmstadt (1908), entscheidend zu Worte gekommen.
Ueberall erstehen, vom neuen Geiste beseelt, schöne Kirchenanlagen, unter
denen die beiden letzten Stuttgarter Bauten, nämlich die Markuskirche von
Heinrich Dolmetsch (f) und die Erlöserkirche von Theodor Fischer einen
Ehrenplatz einnehmen und für verwandte Aufgaben den richtigen Weg weisen.
Von nicht geringerer Wichtigkeit, wie die Architektur, ist aber die Innen-
 
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