Aufklärung und Klassizismus
über Anlage und Beginn der Arbeit, kommt
er zu neuen Ergebnissen, behält jedoch
für die Bruchstücke Hellingraths Datierung
bei. Über den Vers der Sophokles-Über-
tragungen, der hier des öfteren nach neuen
Gesichtspunkten untersucht wird, urteilt
B. zusammenfassend: „Nach allem ist zu
sagen, daß der Vers einer Übertragung,
die so wie die Hölderlinische auf den Affekt
aus ist und ihn nach Möglichkeit noch zu
intensivieren sich bestrebt, nicht durch
klassisch ausgewogene Ruhe und Regel-
mäßigkeit ausgezeichnet sein kann“ (S. 133
bis 134). Bei der in einem langen Zeitraum
bei wechselnden Formprinzipien entstande-
nen Arbeit kann es sich auch nicht um
einen einheitlichen Wurf handeln. Die
stilistischen Beobachtungen, die besonders
für des Dichters „hinhörende Verfahrungs-
art“ Verständnis zeigen und dem Wesen
der H.'sehen Übersetzung gerecht zu
werden versuchen, bieten wertvolle Ergän-
zungen. Die viel umstrittene und mehrfach
gedeutete griechisch-hesperische Gegen-
sätzlichkeit (Altertum — Gegenwart) in
der letzten Zeit vor der Umnachtung
wird von einer späten Variante zu den
letzten Versen der Elegie „Brod und
Wein“ beleuchtet, zum Schluß wird ihr
Zusammenhang mit den Sophokles-Über-
tragungen aufgezeigt. — Zur Kritik vgl.
Karl Vietor, in: Dt.Ltg.55, '34, Sp. 1412—
18; Wilhelm Böhm, in: Anz. dt. Altertum
53, '34, S. 131 — 36; Julius Schönemann, in:
Philol. Wochenschr. 54, '34, Sp. im — 25.
Alle drei Rezensionen anerkennen B.’s große
Verdienste um die Hölderlin-Übersetzungs-
forschung, besonders was neue Lesungen,
Konjekturen, stilistische und metrische
Beobachtungen betrifft. Kontrovers bleiben
B.’s Ansichten über die griechisch-hesperi-
sche Gegensätzlichkeit und die „abendlän-
dische Wendung“ (Polemik Böhm-Michel),
besonders in ihrem umstrittenen Verhältnis
zu Hölderlins Beschäftigung mit Pindar.
M. P.
1169 SCHRADER, HANS, Hölderlins Deutung
des ,,Oedipus“ und der ,,Antigone“.
Die „Anmerkungen" im Rahmen der
klassischen und romantischen Deutun-
gen des Antik-Tragischen. Bonn: Röhr-
scheid '33. VIII, 83 S. =Mnemosyne. 10.
Vor allem sind die Wandlungen in der
Auffassung der griechischen Tragödie vom
3£9
Rationalismus zum Idealismus und die Be-
merkungen zum Nachleben des Sophokles
wichtig. Der Rationalismus sieht die grie-
chische Tragödie ungeschichtlich, er glaubt
im Mythos die Umschreibung eines mora-
lischen Lehrsatzes zu erkennen und spricht
dem Chor die moralische Betrachtung als
Aufgabe zu; unerwähnt bleibt der Schick-
salsbegriff und die Natürlichkeit der Perso-
nen. Wenn Sch. diese Einstellung als Reak-
tion gegen den Barock ansieht und erklärt,
daß Sophokles erst in der Aufklärung
als Rationalist betrachtet worden sei,
so scheint ihm die Antigone-Übersetzung
von Opitz und die klassizistisch-ratio-
nalistische Bewertung des Sophokles im
17. Jahrh. weniger bekannt zu sein. —
Lessing habe in seinen Sophokles-Studien
den Rationalismus vertieft, doch habe
Winckelmanns Auffassung mehr gewirkt.
Erst für Herder, dessen Urteile durch seine
untragische Haltung bestimmt wurden, wird
die griechische Tragödie zum Heldenspiel.
Goethe fühlt sich von Sophokles abge-
stoßen, weil er nicht im Tragischen, sondern
in der Verhüllung des Tragischen den posi-
tiven Wert der griechischen Tragödie er-
kannte. Von anderen Voraussetzungen her
kommt Schiller zu ähnlichen Ergebnissen.
Voraussetzung für die wesentlich andere
Auffassung H.’s ist die neue Schau des grie-
chischen Menschen; denn seine Weltansicht
wurzelt im Religiösen. Die „Anmerkungen“
werden in Beziehung gesetzt zu anderen
Auffassungen, und überall wird die Gegen-
sätzlichkeit: Lessing-Nietzsche erkannt.
H. betont in der Tragödie des Sophokles
den irrationalen Charakter. R. N.
KOENITZER, WILLI FR., Die Bedeutung 1170
des Schicksals bei Hölderlin. Würzburg:
Triltsch '32. VII, 148 S. Teilw. Marburg,
phil. Diss.
K. geht aus vom Schicksalsbegriff,.den
er in seinen besonderen Erscheinungs-
formen, zuerst in der griechischen Tragödie,
dann in den neueren Literaturen studiert.
Hierauf untersucht er genauer H.s Schick-
salsbegriff, wie ihn der Dichter erst ahnt«,
dann erkennt und schließlich gestaltet.
Dabei arbeitet der Verf. besonders das
heraus, was H. von der antiken Auffassung
wesentlich unterscheidet. Zwar läßt er ihm
seine großen Verdienste um die Entdeckung
der griechischen Seele, zeigt aber, wie er
über Anlage und Beginn der Arbeit, kommt
er zu neuen Ergebnissen, behält jedoch
für die Bruchstücke Hellingraths Datierung
bei. Über den Vers der Sophokles-Über-
tragungen, der hier des öfteren nach neuen
Gesichtspunkten untersucht wird, urteilt
B. zusammenfassend: „Nach allem ist zu
sagen, daß der Vers einer Übertragung,
die so wie die Hölderlinische auf den Affekt
aus ist und ihn nach Möglichkeit noch zu
intensivieren sich bestrebt, nicht durch
klassisch ausgewogene Ruhe und Regel-
mäßigkeit ausgezeichnet sein kann“ (S. 133
bis 134). Bei der in einem langen Zeitraum
bei wechselnden Formprinzipien entstande-
nen Arbeit kann es sich auch nicht um
einen einheitlichen Wurf handeln. Die
stilistischen Beobachtungen, die besonders
für des Dichters „hinhörende Verfahrungs-
art“ Verständnis zeigen und dem Wesen
der H.'sehen Übersetzung gerecht zu
werden versuchen, bieten wertvolle Ergän-
zungen. Die viel umstrittene und mehrfach
gedeutete griechisch-hesperische Gegen-
sätzlichkeit (Altertum — Gegenwart) in
der letzten Zeit vor der Umnachtung
wird von einer späten Variante zu den
letzten Versen der Elegie „Brod und
Wein“ beleuchtet, zum Schluß wird ihr
Zusammenhang mit den Sophokles-Über-
tragungen aufgezeigt. — Zur Kritik vgl.
Karl Vietor, in: Dt.Ltg.55, '34, Sp. 1412—
18; Wilhelm Böhm, in: Anz. dt. Altertum
53, '34, S. 131 — 36; Julius Schönemann, in:
Philol. Wochenschr. 54, '34, Sp. im — 25.
Alle drei Rezensionen anerkennen B.’s große
Verdienste um die Hölderlin-Übersetzungs-
forschung, besonders was neue Lesungen,
Konjekturen, stilistische und metrische
Beobachtungen betrifft. Kontrovers bleiben
B.’s Ansichten über die griechisch-hesperi-
sche Gegensätzlichkeit und die „abendlän-
dische Wendung“ (Polemik Böhm-Michel),
besonders in ihrem umstrittenen Verhältnis
zu Hölderlins Beschäftigung mit Pindar.
M. P.
1169 SCHRADER, HANS, Hölderlins Deutung
des ,,Oedipus“ und der ,,Antigone“.
Die „Anmerkungen" im Rahmen der
klassischen und romantischen Deutun-
gen des Antik-Tragischen. Bonn: Röhr-
scheid '33. VIII, 83 S. =Mnemosyne. 10.
Vor allem sind die Wandlungen in der
Auffassung der griechischen Tragödie vom
3£9
Rationalismus zum Idealismus und die Be-
merkungen zum Nachleben des Sophokles
wichtig. Der Rationalismus sieht die grie-
chische Tragödie ungeschichtlich, er glaubt
im Mythos die Umschreibung eines mora-
lischen Lehrsatzes zu erkennen und spricht
dem Chor die moralische Betrachtung als
Aufgabe zu; unerwähnt bleibt der Schick-
salsbegriff und die Natürlichkeit der Perso-
nen. Wenn Sch. diese Einstellung als Reak-
tion gegen den Barock ansieht und erklärt,
daß Sophokles erst in der Aufklärung
als Rationalist betrachtet worden sei,
so scheint ihm die Antigone-Übersetzung
von Opitz und die klassizistisch-ratio-
nalistische Bewertung des Sophokles im
17. Jahrh. weniger bekannt zu sein. —
Lessing habe in seinen Sophokles-Studien
den Rationalismus vertieft, doch habe
Winckelmanns Auffassung mehr gewirkt.
Erst für Herder, dessen Urteile durch seine
untragische Haltung bestimmt wurden, wird
die griechische Tragödie zum Heldenspiel.
Goethe fühlt sich von Sophokles abge-
stoßen, weil er nicht im Tragischen, sondern
in der Verhüllung des Tragischen den posi-
tiven Wert der griechischen Tragödie er-
kannte. Von anderen Voraussetzungen her
kommt Schiller zu ähnlichen Ergebnissen.
Voraussetzung für die wesentlich andere
Auffassung H.’s ist die neue Schau des grie-
chischen Menschen; denn seine Weltansicht
wurzelt im Religiösen. Die „Anmerkungen“
werden in Beziehung gesetzt zu anderen
Auffassungen, und überall wird die Gegen-
sätzlichkeit: Lessing-Nietzsche erkannt.
H. betont in der Tragödie des Sophokles
den irrationalen Charakter. R. N.
KOENITZER, WILLI FR., Die Bedeutung 1170
des Schicksals bei Hölderlin. Würzburg:
Triltsch '32. VII, 148 S. Teilw. Marburg,
phil. Diss.
K. geht aus vom Schicksalsbegriff,.den
er in seinen besonderen Erscheinungs-
formen, zuerst in der griechischen Tragödie,
dann in den neueren Literaturen studiert.
Hierauf untersucht er genauer H.s Schick-
salsbegriff, wie ihn der Dichter erst ahnt«,
dann erkennt und schließlich gestaltet.
Dabei arbeitet der Verf. besonders das
heraus, was H. von der antiken Auffassung
wesentlich unterscheidet. Zwar läßt er ihm
seine großen Verdienste um die Entdeckung
der griechischen Seele, zeigt aber, wie er