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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Editor]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 65.1954

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Narr, Karl Josef: Altsteinzeit in Wiesbaden und Umgebung, 1, Paläolithische Funde aus der Umgebung von Wiesbaden
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https://doi.org/10.11588/diglit.62670#0025

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Altsteinzeit in Wiesbaden und Umgebung

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Vorbehalten vielleicht als eine klobige Ausbildung der in Mittel- und Osteuropa
nicht seltenen flächig retuschierten Variante triangulärer Moustier-Spitzen14)
angesprochen werden kann15).
Ursprünglich in sand vermischtem Löß lagen nach Ausweis des anhaftenden
Materials auch drei Blattspitzen (Nr. 14—-16) aus Quarzit. Ähnliche Formen
(Nr. 20, 21, 25) finden sich unter den Funden, die in die braune Schicht 2 gehören
sollen. Dazu kommen aber auch noch gröbere, schon fäustelartige Typen (Nr. 19,
22) und ein nicht sicher künstlich gearbeitetes fäustelförmiges Spaltstück von
einem Kiesel (Nr. 23).
Die Datierung der Blattspitzen ist ohne feste geologische Anhaltspunkte ein
heikles Kapitel. Wenn wir von allen kulturgeschichtlichen und terminologischen
Streitfragen einmal absehen wollen, dann lassen sich in Mitteleuropa einiger-
maßen deutlich und brauchbar zwei zeitlich getrennte Komplexe von Blatt-
spitzen heraus arbeiten: ein älterer, der in die frühe Würm-I-Kaltzeit und davor
gehört und zusammen mit Mousterien und Fäusteln auftritt, und ein jüngerer,
der im Würm I/II beginnt und im Verband eines ausgehenden Mousteriens (mit
oder ohne Acheul-Tradition) sowie des Aurignaciens oder Gravettiens vor-
kommt16). Beide Gruppen typologisch zu scheiden, ist noch kaum möglich, da
hierbei — wie bei Faustkeilen — „das Primitivere nicht immer das Altere“ ist17)
und technisch vollendete Blattspitzen auch schon aus den älteren Gruppen vor-
liegen18). Immerhin mögen aber doch die verhältnismäßig kleinen Spitzen mit
gerundeter Basis mit einiger Wahrscheinlichkeit dem jüngeren Horizont zuzu-
ordnen sein19). Ähnlich ausgebildet ist auch unsere Nr. 1620); doch wäre es wohl
verfrüht, allein deswegen sich definitiv für eine späte Ansetzung zu entscheiden,
wenn dem auch die dürftigen geologischen Anhaltspunkte zumindest nicht wider-
sprechen.
Innerhalb Mitteleuropas läßt sich unser Mosbacher Blattspitzenkomplex am
ehesten wohl den Funden von Kosten zur Seite stellen. Auch an dieser Fundstelle
sind wie in Mosbach plumpe Stücke von unregelmäßig ovaler Form in echter
Doppelflächertechnik mit dickem Querschnitt vorhanden und meist aus ent-
sprechend geformten Gerollen hergestellt und zeigen teilweise beiderseits Reste
der ehemaligen Gerölloberfläche21). Beachtenswert ist ferner, daß diese süd-
deutsche Station auch kleine Blattspitzen mit gerundeter Basis geliefert hat22),
während ihr echte Mousterien-Formen, die in Mosbach nicht mit Sicherheit nach-
zuweisen sind, bis auf einen einzelnen La-Quina-Schaber zu fehlen scheinen. Daß
die Blattspitzen in Kosten etwa 45% der Artefakte ausmachen, kann für unseren
Vergleich nicht weiterhelfen, da wir nicht wissen, was von den Mosbacher Funden
nun alles dem blattspitzenführenden Komplex zuzurechnen ist23). Im übrigen ist
durch noch so nahe Beziehungen zu Kosten für eine genauere chronologische
Einordnung nichts gewonnen, weil auch diese süddeutsche Fundstelle geologisch
nicht festgelegt werden kann und ihr Alter sehr verschieden beurteilt wird. Der
Verf. hält jedoch eine Zugehörigkeit zu dem jüngeren Horizont der Blattspitzen
(Würm I/II) keineswegs für ausgeschlossen, und das Gegenteil ist zumindest
nicht schlüssig bewiesen.
14) Vgl. C. M. B. MacBurney’s „Miniature piano-convex points“ (Proc. Prehist. Soc. 11, 1950,
175 ff.). — 15) Vgl. Bonn. Jahrb. 151, 1951, 43 Abb. 11,5.
16) Vgl. Germania 30, 1952, 211 ff.
17) G. Freund, Die Blattspitzen des Paläolithikums in Europa (1952) 224 u. 310.
18) z. B. Rethen: K. H. Jacob-Friesen, Die Altsteinzeitfunde aus dem Leinetal bei Hannover
(1949) Abb. 38.
19) Vgl. z. B. „Hochsolutreen“ der Jankovich-Höhle: Freund 80 Abb. 6, 7 und 81 Abb. 7,1 u. 3.
Stratigraphisch gesicherte Funde s. nun u. S. 17 ff.
20) Vgl. damit die oben (Anm. 19) genannten Exemplare. — 21) Freund 132f.
22) Freund 126 Abb. 9,9.
23) Nehmen wir jedoch nur die Lößfunde Nr. 14—26, so ergibt sich — soweit bei der geringen
Fundmenge überhaupt eine statistische Aussage ins Gewicht fallen kann — immerhin ein ähn-
liches Zahlenverhältnis.
 
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