Zur nassauischen Ortsgeschichte
Die im 63. und 64. Jahrgang begonnene Serie wird im folgenden mit der Behandlung politisch-
kirchlicher Einheiten an der unteren Lahn und im alten Oberamt Idstein auf dem Taunus fort-
gesetzt. Ihr Zweck ist, weniger eine umfassende Ortsgeschichte als vielmehr deren quellenmäßige
Grundlegung, die der Heimatforschung so nottut, zu geben und dabei stets den Zusammenhang
der Gerichts-, Amts- und Kirchspielsorganisation wie auch der territorialen Verhältnisse zu
wahren. R.
Die Kirchspiele Schweighausen, Becheln und Dienethal
Von Hellmuth Gensicke
Der Winkel zwischen dem Südufer der unteren Lahn und dem Rhein1) war in der
Vergangenheit eines der am stärksten territorial aufgesplitterten Gebiete des Nassauer
Landes. Er gehörte zwar ursprünglich insgesamt zur Grafschaft des Einrichgaues,
doch haben die Grundherren der bedeutenden Rheinuferorte diese schon früh aus dem
Grafschaftsverband herausgelöst. Die alten Marken von Osterspai und Braubach um-
fassen gerade noch die ersten kleinen Siedlungen jenseits des breiten, vom Rheinufer
aufsteigenden Waldstreifens auf der Randhöhe des nordwestlichen Taunus. Schon
diese Siedlungen sind noch starken Einflüssen aus dem Kerngebiet des Gaues am
Mittellauf des Mühlbachs unterworfen. Weit landeinwärts greift ursprünglich auch die
Forst des Königshofes Oberlahnstein. Die heute immer noch beträchtliche Wald-
gemarkung von Oberlahnstein läßt in Zusammenschau mit den von Oberlahnstein an
Bad Ems links der Lahn 1826 und 1876 überlassenen Teilen2) und der 1937 abge-
tretenen Exklave Dörstheck in etwa noe'h den alten Umfang erkennen, der nach Osten
noch weiter ausgriff. Noch 1618 mußten die Einwohner von Sulzbach und Misselberg
von den Oberlahnsteinern die „Gnade“, das ist „Wasser und Weide“, kaufen3). Über-
griffe der Einwohner von Nassau, Scheuern und Dienethal in den mainzischen Wald
Dörstheck 1442 4) und die häufigen Grenzstreitigkeiten, etwa zwischen Sulzbach,
Dienethal, Scheuern und Oberlahnstein um den Wald „der Solche“ im Burgfriedens-
bezirk von Nassau 1562, zwischen Sulzbach, Dausenau und Oberlahnstein 17315)
zeugen von stets erneuerten Versuchen der Anlieger, im Ostteil des Waldes Boden zu
gewinnen. Die Vogtei über diesen ehemaligen Königshof, der teils durch Schenkung
von Uda, der Mutter König Ludwigs, um 900 und Otto II. 977 an das Mainzer Dom-
stift, teils an die Abtei Weißenburg im Elsaß gekommen war, hatten die Grafen
v. Nassau von den Grafen v. Arnstein im 12. Jh. geerbt6). Im Bereich dieser Forst
lagen an älteren Siedlungen die Dörfer Nievern und Frücht, die nach den späteren
Besitzverhältnissen, ebenso wie Schweighausen, ursprünglich wohl zu einer größeren
im Osten jener Forst gelegenen Grundherrschaft gehörten, die in engem Zusammen-
hang mit dem Königshof Nassau stand7). Bei der nassauischen Bruderteilung blieben
1255 Sulzbach und Becheln gemeinsamer Besitz beider Linien des Nassauer Grafen-
hauses8). Beide Orte rechneten demnach, da sie besonders genannt werden, bis dahin
X)M. Sponheimer, Landesgesch. d. Niedergrafsch. Katzenelnbogen (1932) hat diesen Bereich
kaum angeschnitten, auch in meiner „Landesgeschichte des Westerwaldes“ (Diss. Marb. Masch.-
schr. 1947) wird dieses Gebiet nicht behandelt, so daß ich — ähnlich wie „Zur älteren Gesch. v.
Frücht“ in: W. Frese u. F. Schaback, Gesch. d. Dorfes Frücht (1952) S. 7—30 —hier, abweichend
von den bisherigen Arbeiten „Zur nassauischen Ortsgeschichte“ in Nass. Ann. 63. u. 64. Bd„
alle Belege zu den Einzeldaten gebe. Doch ist, wo es irgend angängig erschien, nur die Abteilungs-
nummer der benutzten Bestände der Staatsarchive Wiesbaden (zitiert StAW), Koblenz (zit.
StAK), Darmstadt (zit. StAD), Marburg (zit. StAM) und des Archivs der Freiherrn vom Stein
in Nassau (zit. FSA), dessen Benutzung mir Herr Graf v. Kanitz freundlich gestattete, angegeben.
Ebenso ist auch hier bei chronologisch geordneten Quellenwerken auf Mitteilung von Band- u.
Stücknummer bzw. Seite im Zitat verzichtet. — 2) A. Bach: Nass. Ann. 46. Bd. 1925 S. 195.
3) StAW 171 S 78. — 4) StA Würzburg Mainzer Ingrossaturbuch XXIV f. 187.
5) StAW 350 Urk. — 6) K. H. May: Nass. Ann. 60. Bd. 1943 S. 48. — 7) H. Gensicke: oben S.62ff.
8) J. M. Kremer, Origines Nassoicae II 1779 S. 298.
Die im 63. und 64. Jahrgang begonnene Serie wird im folgenden mit der Behandlung politisch-
kirchlicher Einheiten an der unteren Lahn und im alten Oberamt Idstein auf dem Taunus fort-
gesetzt. Ihr Zweck ist, weniger eine umfassende Ortsgeschichte als vielmehr deren quellenmäßige
Grundlegung, die der Heimatforschung so nottut, zu geben und dabei stets den Zusammenhang
der Gerichts-, Amts- und Kirchspielsorganisation wie auch der territorialen Verhältnisse zu
wahren. R.
Die Kirchspiele Schweighausen, Becheln und Dienethal
Von Hellmuth Gensicke
Der Winkel zwischen dem Südufer der unteren Lahn und dem Rhein1) war in der
Vergangenheit eines der am stärksten territorial aufgesplitterten Gebiete des Nassauer
Landes. Er gehörte zwar ursprünglich insgesamt zur Grafschaft des Einrichgaues,
doch haben die Grundherren der bedeutenden Rheinuferorte diese schon früh aus dem
Grafschaftsverband herausgelöst. Die alten Marken von Osterspai und Braubach um-
fassen gerade noch die ersten kleinen Siedlungen jenseits des breiten, vom Rheinufer
aufsteigenden Waldstreifens auf der Randhöhe des nordwestlichen Taunus. Schon
diese Siedlungen sind noch starken Einflüssen aus dem Kerngebiet des Gaues am
Mittellauf des Mühlbachs unterworfen. Weit landeinwärts greift ursprünglich auch die
Forst des Königshofes Oberlahnstein. Die heute immer noch beträchtliche Wald-
gemarkung von Oberlahnstein läßt in Zusammenschau mit den von Oberlahnstein an
Bad Ems links der Lahn 1826 und 1876 überlassenen Teilen2) und der 1937 abge-
tretenen Exklave Dörstheck in etwa noe'h den alten Umfang erkennen, der nach Osten
noch weiter ausgriff. Noch 1618 mußten die Einwohner von Sulzbach und Misselberg
von den Oberlahnsteinern die „Gnade“, das ist „Wasser und Weide“, kaufen3). Über-
griffe der Einwohner von Nassau, Scheuern und Dienethal in den mainzischen Wald
Dörstheck 1442 4) und die häufigen Grenzstreitigkeiten, etwa zwischen Sulzbach,
Dienethal, Scheuern und Oberlahnstein um den Wald „der Solche“ im Burgfriedens-
bezirk von Nassau 1562, zwischen Sulzbach, Dausenau und Oberlahnstein 17315)
zeugen von stets erneuerten Versuchen der Anlieger, im Ostteil des Waldes Boden zu
gewinnen. Die Vogtei über diesen ehemaligen Königshof, der teils durch Schenkung
von Uda, der Mutter König Ludwigs, um 900 und Otto II. 977 an das Mainzer Dom-
stift, teils an die Abtei Weißenburg im Elsaß gekommen war, hatten die Grafen
v. Nassau von den Grafen v. Arnstein im 12. Jh. geerbt6). Im Bereich dieser Forst
lagen an älteren Siedlungen die Dörfer Nievern und Frücht, die nach den späteren
Besitzverhältnissen, ebenso wie Schweighausen, ursprünglich wohl zu einer größeren
im Osten jener Forst gelegenen Grundherrschaft gehörten, die in engem Zusammen-
hang mit dem Königshof Nassau stand7). Bei der nassauischen Bruderteilung blieben
1255 Sulzbach und Becheln gemeinsamer Besitz beider Linien des Nassauer Grafen-
hauses8). Beide Orte rechneten demnach, da sie besonders genannt werden, bis dahin
X)M. Sponheimer, Landesgesch. d. Niedergrafsch. Katzenelnbogen (1932) hat diesen Bereich
kaum angeschnitten, auch in meiner „Landesgeschichte des Westerwaldes“ (Diss. Marb. Masch.-
schr. 1947) wird dieses Gebiet nicht behandelt, so daß ich — ähnlich wie „Zur älteren Gesch. v.
Frücht“ in: W. Frese u. F. Schaback, Gesch. d. Dorfes Frücht (1952) S. 7—30 —hier, abweichend
von den bisherigen Arbeiten „Zur nassauischen Ortsgeschichte“ in Nass. Ann. 63. u. 64. Bd„
alle Belege zu den Einzeldaten gebe. Doch ist, wo es irgend angängig erschien, nur die Abteilungs-
nummer der benutzten Bestände der Staatsarchive Wiesbaden (zitiert StAW), Koblenz (zit.
StAK), Darmstadt (zit. StAD), Marburg (zit. StAM) und des Archivs der Freiherrn vom Stein
in Nassau (zit. FSA), dessen Benutzung mir Herr Graf v. Kanitz freundlich gestattete, angegeben.
Ebenso ist auch hier bei chronologisch geordneten Quellenwerken auf Mitteilung von Band- u.
Stücknummer bzw. Seite im Zitat verzichtet. — 2) A. Bach: Nass. Ann. 46. Bd. 1925 S. 195.
3) StAW 171 S 78. — 4) StA Würzburg Mainzer Ingrossaturbuch XXIV f. 187.
5) StAW 350 Urk. — 6) K. H. May: Nass. Ann. 60. Bd. 1943 S. 48. — 7) H. Gensicke: oben S.62ff.
8) J. M. Kremer, Origines Nassoicae II 1779 S. 298.