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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Editor]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 65.1954

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Faber, Karl-Georg: Die rheinischen Probleme in Johannes Weitzels „Rheinischen Blättern“ 1816-1819
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https://doi.org/10.11588/diglit.62670#0174

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Die rheinischen Probleme in Johannes Weitzels
„Rheinischen Blättern44 1816—1819
Von Karl Georg Faber
Die Rheinlande in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts sind für die
Erforschung der Entstehung einer öffentlichen Meinung in Deutschland von
besonderer Bedeutung. Früher als in den übrigen Teilen des Deutschen Bundes
waren hier im Westen durch die jüngst vergangenen Ereignisse und durch die
politischen Verhältnisse nach der Neuordnung von 1815 die Voraussetzungen
für eine Meinungsäußerung gegeben, die nicht nur Sache weniger Intellektueller
war, sondern auch erheblichen Widerhall in weiteren Volkskreisen fand. Die
Regierung der geistlichen Kurstaaten am Rhein hatte nie die extremen absolu-
tistischen Formen angenommen wie in zahlreichen weltlichen Staaten des alten
Reiches. Reste mittelalterlicher Ständeverfassung hatten sich hier — besonders
in Kurtrier — bis zuletzt erhalten und eine wenn auch nur beschränkte Inter-
essenvertretung der Stände gegenüber den Kurfürsten ermöglicht. Daß sich
die Erinnerung an diese Verhältnisse selbst über die französische Zeit hinweg
erhielt und mit modernen Forderungen verschmolzen werden konnte, beweisen
Flugschriften und zahlreiche Meinungsäußerungen nach 1814x).
In den zwei Jahrzehnten französischer Verwaltung auf dem linken Rhein-
ufer war dort gründlich mit allen Resten der früheren Herrschaft aufgeräumt
worden. Die Privilegien der höheren Stände wurden beseitigt. Die gesamte Be-
völkerung war Gesetzen unterworfen worden, die für alle gleichmäßig galten,
und stand — wenigstens der Theorie nach — dem Staate gleichberechtigt
gegenüber. Grundlegende Reformen auf dem Gebiete der Rechtsprechung und
der Anteil am wirtschaftlichen Aufschwung Frankreichs unter der Regierung
Napoleons ließen das Volk die Fremdherrschaft weniger drückend empfinden
als im Innern Deutschlands. So ist es verständlich, daß die Freude über die
Befreiung vom napoleonischen Joch und die nationale Begeisterung nicht so
lange anhielten wie anderwärts. Am Rhein wandte sich der durch die Erfah-
rungen geschärfte Blick der Öffentlichkeit bald wieder den inneren Verhältnissen
zu und scheute sich nicht, diese einem kritischen Vergleich mit der voran-
gegangenen Zeit zu unterziehen* 2). Ebenso verständlich aber ist es, wenn die
neuen Herren und die innerdeutsche Bevölkerung, die mit den anders gelagerten
Verhältnissen auf dem linken Rheinufer nicht so vertraut waren, die Rhein-
länder der „Französelei“ bezichtigten und ihnen Mangel an Nationalbewußtsein
vorwarfen. Doch am Rhein wußte man sich gegen solche Vorwürfe zu ver-
teidigen, ohne auf eine sachliche Kritik der Obrigkeit zu verzichten3).
Eines der wichtigsten Ergebnisse der französischen Zeit war die Entstehung
eines gewissen Solidaritätsgefühls der linksrheinischen Bevölkerung, das vorher
bei der staatlichen Zersplitterung des Landes nicht hatte aufkommen können.
Fast zwanzig Jahre lang hatten die linksrheinischen Gebiete einem Staats wesen
x) Vgl. z. B. J. B. M. Hetzrodt, Über d. künft. Verfassung d. dt. Länder d. linken Rheinufers
(Trier 1814); Chr. v. Stramberg, Das Moselthal zw. Zell u. Konz (Kobl. 1837) S. 183 Anm. 1,
wonach die echte Freiheit in den „nach den Ansichten der Gegenwart ganz servilen Ländern“
des alten Reiches weit besser gewährleistet war als in dem angeblich so fortschrittlichen 19. Jh.
Auch Görres’ Koblenzer Adresse von 1818 knüpfte an die Tiierischen Stände an, wurde des-
wegen allerdings auch stark angegriffen.
2) Vgl. z. B. die Flugschriften von J. W. Brewer, Was hat uns die jüngst vergangene Zeit ge-
lehrt? Was dürfen wir von der zukünftigen hoffen? (Köln 1816) u. J. A. Boost, Was waren
die Rheinländer als Menschen u. Bürger und was ist aus ihnen geworden? (Mainz 1819).
 
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