Mark und Haingericht im Rheingau
97
„eigentlichen Rheingaus“18), ein Gebiet, das sich bis zur oberen Wisper, Dorn-
bach und Aar ausbreitet und die sogenannten 15 überhöhischen Dörfer umgreift,
die im 15./16. Jahrhundert den Zusammenhalt mit dem kurmainzischen Terri-
torium mehr und mehr verloren und schließlich der Landgrafschaft Hessen zu-
gewachsen sind19).
Unter dem Eindruck durchaus uralter Rechts weis ungen und im Glauben, die
rhein-mainischen Gaue zwischen Strom und Limes fixieren zu müssen, hat man
aus der Weistums grenze unbedenklich auf alte Gauzugehörigkeit des überhöhi-
schen Gebietes geschlossen20). Aber weder das Diplom Konrads II. von 1025, in
dem er dem Kloster Fulda comitatum Nederne in pago Reinicgouue schenkt21),
noch die Urkunden von 1073 und 116322), die Hausen, Fischbach und Gladbach
als im Rheingau gelegen bezeichnen, haben die geringste Zeugniskraft, da die
Schenkung an Fulda sich nicht auf den Hof Nehren bei Kemel23), sondern auf den
thüringischen Ringgau24) bezieht und die beiden anderen Urkunden nur von dem
als Fälscher berüchtigten rheingräflichen Archivar Schott überliefert sind25). Die
Quellen setzen im Umkreis der überhöhischen Dörfer überhaupt erst mit den
Lehnsbüchern der Herrschaft Bolanden vom Ende des 12. und der Mitte des
13. Jahrhunderts26) und mit dem zu Beginn des 13. Jahrhunderts aufgenomme-
nen rheingräflichen Güterverzeichnis27) ein, ohne jedoch etwas über die Gau-
zugehörigkeit auszusagen. Andere zeitgenössische Überlieferung steht nicht zur
Verfügung, und die aus späterer Zeit bestärkt uns in der Ansicht, daß die Über-
höhe ursprünglich nicht zum Rheingau gehörte28). Damit wird aber auch die
Archidiakonatsgrenze zur Rekonstruktion des Gaues wertlos.
Nicht nur dem Namen nach, wie deutlich 1325 bei einer Verpfändung von
Gütern im Rheingau und super gauyo2^, ist die Überhöhe vom Rheingau ge-
schieden. Die betreffenden Gemeinden gehören, abgesehen von Gladbach30), nicht
zur Rheingauer Markgenossenschaft, deren Allmenden sich hier nur bis zur Rhein -
gauer Landwehr, dem sogenannten Gebück31), erstreckten. Andererseits bezog
sich der Rheingauer Wildbann, der infra Wdldaphen et Wissebura um 1200 als
rheingräfliches Passivlehen genannt wird32), nach Ausweis der seit 1347 über-
lieferten Lehnbriefe33) auch nur auf die Höhewaldung zwischen Walluf, Gebück
18) Zur Orographie des Landes vgl. Richter (1913) S. 1—4, Becker S. 1 und S. Lehmann, Die
Siedlungen d. Landsch. Rhg. (Rhein-Mainische Forsch. 9, 1934) S. 1 — 12.
19) Sponheimer S.' 163f.
20) E. G. Steinmetz, Gaue u. Waldmarken des Taunus in i. Beziehungen z. Pfahlgraben, in:
Saalburg-Jb. 7 (1930) S. 163 Anm. 73. — 21) Monumenta Germ. DD. Ko II 23.
22) W. Sauer, Nass. Urkundenbuch (1885/87) [zitiert: Nass. UB] Nr. 130. 251.
23) Bodmann S. 605; C. D. Vogel, Beschr. d. Hztms Nassau (1843) S. 164, und noch C. Spiel-
mann, Gesch. v. Nassau I (1910) S. 97.
24) So schon Landau: Period. Bll. 1858 S. 175; vgl. Zedier S. 292.
25) Zedier S. 290f.; über Schott als Fälscher zuletzt R. Drögereit, Die Bleidenstadter Tradi-
tionen, in: Nass. Ann. 58 (1938) S. 1—19.
28) Gedr. W. Sauer, Die ältest. Lehnsbücher d. Herrsch. Bolanden (1882).
27) Gedr. W. Fabricius, Gütervetz. u. Weistümer d. Wild- u. Rheingrafsch. (Trierer Arch.
Ergh. 12, 1911).
28) So schon G. Weise, Fränk. Gau u. röm. Civitas im Rhein-Main-Gebiet, in: Germania 3
(1919) S. 100. Weise ist am Gebück orientiert. — 29) Nass. UB 1798. — 30) s. S. 118.
31) Das Gebück ist seinem Verlauf nach nicht vor dem 12. Jh., sicher aus landesherrlicher
Initiative, weniger als Grenze denn als Landwehr angelegt worden und hat zur Ausbildung der
Rechtseinheit des „Landes Rheingau“ beigetragen. Bereitungsprot. d. Viztums StAW 1098
III 12; A. v. Cohausen, D. Rheingauer Gebück, in: Nass. Ann. 13 (1874) S. 148 — 78; G.
Zedier, E. Wanderung längs d. Rheingauer Gebücks, in: Mitt. d. Ver. f. Nass. Altertumskunde 15
(1911) S. 8 —17 u. 73—85; G. Lüstner, D. Rheingauer Gebück (Arbb. d. Bez.-Komitees f.
Naturdenkmalpflege im Reg.-Bez. Wbn 2, 1913); E. Pelissier, Landwehren d. Erzstifts Mainz,
in: Mainzer Zs. 17/19 (1921/24) S. 30f.; vgl. Becker S. 4. — 32) Fabricius S. 11.
33) StAW 131 U 11: Eb. Gerlach v. Mz. bestätigt die Grafen Adolf u. Johann v. Nassau-Wbn in
ihren Rechten als oberste Förster von der Waltaffen über unsern walt, daz die hoehe heisset, bitz
zu Lorche in den Rin. Unde dar umbe mögen si da uffe jagen, alse dicke si wollen, über laut uf den
Rin mit zu der hecken; Regest E. Vogt, Regesten der Erzbischöfe v. Mainz 1289 —1353 (1913/32)
Nr. 6172.
Nass. Annalen Bd. 65
7
97
„eigentlichen Rheingaus“18), ein Gebiet, das sich bis zur oberen Wisper, Dorn-
bach und Aar ausbreitet und die sogenannten 15 überhöhischen Dörfer umgreift,
die im 15./16. Jahrhundert den Zusammenhalt mit dem kurmainzischen Terri-
torium mehr und mehr verloren und schließlich der Landgrafschaft Hessen zu-
gewachsen sind19).
Unter dem Eindruck durchaus uralter Rechts weis ungen und im Glauben, die
rhein-mainischen Gaue zwischen Strom und Limes fixieren zu müssen, hat man
aus der Weistums grenze unbedenklich auf alte Gauzugehörigkeit des überhöhi-
schen Gebietes geschlossen20). Aber weder das Diplom Konrads II. von 1025, in
dem er dem Kloster Fulda comitatum Nederne in pago Reinicgouue schenkt21),
noch die Urkunden von 1073 und 116322), die Hausen, Fischbach und Gladbach
als im Rheingau gelegen bezeichnen, haben die geringste Zeugniskraft, da die
Schenkung an Fulda sich nicht auf den Hof Nehren bei Kemel23), sondern auf den
thüringischen Ringgau24) bezieht und die beiden anderen Urkunden nur von dem
als Fälscher berüchtigten rheingräflichen Archivar Schott überliefert sind25). Die
Quellen setzen im Umkreis der überhöhischen Dörfer überhaupt erst mit den
Lehnsbüchern der Herrschaft Bolanden vom Ende des 12. und der Mitte des
13. Jahrhunderts26) und mit dem zu Beginn des 13. Jahrhunderts aufgenomme-
nen rheingräflichen Güterverzeichnis27) ein, ohne jedoch etwas über die Gau-
zugehörigkeit auszusagen. Andere zeitgenössische Überlieferung steht nicht zur
Verfügung, und die aus späterer Zeit bestärkt uns in der Ansicht, daß die Über-
höhe ursprünglich nicht zum Rheingau gehörte28). Damit wird aber auch die
Archidiakonatsgrenze zur Rekonstruktion des Gaues wertlos.
Nicht nur dem Namen nach, wie deutlich 1325 bei einer Verpfändung von
Gütern im Rheingau und super gauyo2^, ist die Überhöhe vom Rheingau ge-
schieden. Die betreffenden Gemeinden gehören, abgesehen von Gladbach30), nicht
zur Rheingauer Markgenossenschaft, deren Allmenden sich hier nur bis zur Rhein -
gauer Landwehr, dem sogenannten Gebück31), erstreckten. Andererseits bezog
sich der Rheingauer Wildbann, der infra Wdldaphen et Wissebura um 1200 als
rheingräfliches Passivlehen genannt wird32), nach Ausweis der seit 1347 über-
lieferten Lehnbriefe33) auch nur auf die Höhewaldung zwischen Walluf, Gebück
18) Zur Orographie des Landes vgl. Richter (1913) S. 1—4, Becker S. 1 und S. Lehmann, Die
Siedlungen d. Landsch. Rhg. (Rhein-Mainische Forsch. 9, 1934) S. 1 — 12.
19) Sponheimer S.' 163f.
20) E. G. Steinmetz, Gaue u. Waldmarken des Taunus in i. Beziehungen z. Pfahlgraben, in:
Saalburg-Jb. 7 (1930) S. 163 Anm. 73. — 21) Monumenta Germ. DD. Ko II 23.
22) W. Sauer, Nass. Urkundenbuch (1885/87) [zitiert: Nass. UB] Nr. 130. 251.
23) Bodmann S. 605; C. D. Vogel, Beschr. d. Hztms Nassau (1843) S. 164, und noch C. Spiel-
mann, Gesch. v. Nassau I (1910) S. 97.
24) So schon Landau: Period. Bll. 1858 S. 175; vgl. Zedier S. 292.
25) Zedier S. 290f.; über Schott als Fälscher zuletzt R. Drögereit, Die Bleidenstadter Tradi-
tionen, in: Nass. Ann. 58 (1938) S. 1—19.
28) Gedr. W. Sauer, Die ältest. Lehnsbücher d. Herrsch. Bolanden (1882).
27) Gedr. W. Fabricius, Gütervetz. u. Weistümer d. Wild- u. Rheingrafsch. (Trierer Arch.
Ergh. 12, 1911).
28) So schon G. Weise, Fränk. Gau u. röm. Civitas im Rhein-Main-Gebiet, in: Germania 3
(1919) S. 100. Weise ist am Gebück orientiert. — 29) Nass. UB 1798. — 30) s. S. 118.
31) Das Gebück ist seinem Verlauf nach nicht vor dem 12. Jh., sicher aus landesherrlicher
Initiative, weniger als Grenze denn als Landwehr angelegt worden und hat zur Ausbildung der
Rechtseinheit des „Landes Rheingau“ beigetragen. Bereitungsprot. d. Viztums StAW 1098
III 12; A. v. Cohausen, D. Rheingauer Gebück, in: Nass. Ann. 13 (1874) S. 148 — 78; G.
Zedier, E. Wanderung längs d. Rheingauer Gebücks, in: Mitt. d. Ver. f. Nass. Altertumskunde 15
(1911) S. 8 —17 u. 73—85; G. Lüstner, D. Rheingauer Gebück (Arbb. d. Bez.-Komitees f.
Naturdenkmalpflege im Reg.-Bez. Wbn 2, 1913); E. Pelissier, Landwehren d. Erzstifts Mainz,
in: Mainzer Zs. 17/19 (1921/24) S. 30f.; vgl. Becker S. 4. — 32) Fabricius S. 11.
33) StAW 131 U 11: Eb. Gerlach v. Mz. bestätigt die Grafen Adolf u. Johann v. Nassau-Wbn in
ihren Rechten als oberste Förster von der Waltaffen über unsern walt, daz die hoehe heisset, bitz
zu Lorche in den Rin. Unde dar umbe mögen si da uffe jagen, alse dicke si wollen, über laut uf den
Rin mit zu der hecken; Regest E. Vogt, Regesten der Erzbischöfe v. Mainz 1289 —1353 (1913/32)
Nr. 6172.
Nass. Annalen Bd. 65
7