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Verein für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung [Hrsg.]
Nassauische Annalen: Jahrbuch des Vereins für Nassauische Altertumskunde und Geschichtsforschung — 65.1954

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Grün, Hugo Hermann: Geist und Gestalt der Hohen Schule Herborn
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https://doi.org/10.11588/diglit.62670#0165

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Geist und Gestalt der Hohen Schule Herborn

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staatlichem Lebensraum macht die Parallelität des Aufbaues deutlich. Der sicht-
baren Kirche mit Christus, ihrem Haupte, liegt der Aufbau in oppidum, pagus,
provincia, territorium zu Grunde, ihr entspricht der gesellschaftlich politische
Staatsaufbau. Althusius spricht den in der wissenschaftlichen Literatur seiner
Zeit unerhörten Gedanken aus, daß dem Staate kein Eingriffsrecht in das reli-
giöse Leben seiner Untertanen zusteht. Wohl hat er die Freiheit des religiösen
Bekenntnisses zu schützen, wie überhaupt Althusius ein unbeugsamer Anwalt der
Freiheit ist. Er wird unter die sog. Monarchomachen gerechnet, die dem souveränen
Volk das Widerstandsrecht gegen eine tyrannische Regierung zusprechen. Wäh-
rend Althusius föderalistische Gedanken vertritt, neigt Prof. Treutier (1565 bis
1608) zu absolutistischen Tendenzen. Phil. Henr. Hoen, der spätere Dillenburger
Rat, und Alsted haben sich auch mit staatspolitischen Fragen befaßt, lehnen je-
doch das Revolutionsrecht ab — eine Haltung, die den deutschen konservativen
Verhältnissen Rechnung trägt19). Wie sehr aber dieses Werk von Althusius auf die
Zukunft eingewirkt hat, in England auf Cromwell, in Frankreich auf Rousseaus
„Contrat social“ bis auf die Erklärung der Menschenrechte, Einfluß in Annahme
und Ablehnung seiner Ideen bei Hugo Grotius gewonnen hat u. a., kann hier nicht
dar gestellt werden.
Einzelne Herborner Professoren der Rechtswissenschaft haben durch Heraus-
gabe von Kompendien sich große Verdienste um die Ausbildung des juristischen
Nachwuchses erworben. Erwähnt seien Althusius’ 2 Bücher: ,,Jurisprudentia
Romana“ (1586), das viele Auflagen erlebte, und „Dicaeologicae libri tres“; eben-
so haben sich die „Disputationes selectae“ aus der Feder Treutiers lange Jahr-
zehnte als Lehr- und Lernbücher großer Beliebtheit erfreut. Der Konvertit Otto
Melander (1571—1641) schrieb 1594 seine „Centuria controversarum iuris foeda-
lis“, und Joh. Goddaeus (1555—1632) war ein überaus fruchtbarer juristischer
Schriftsteller20). Bis zum letzten Vertreter der juristischen Fakultät in Herborn,
Ludwig Harscher v. Almendingen, hat die Rechtswissenschaft eine Stätte fleißi-
ger Arbeit gehabt, wie das die Fülle von Dissertationen aus den verschiedenen
Rechtsgebieten aus weist. Das Naturrecht, das in der reformierten Kirche eine
wichtigere Rolle als in der lutherischen spielte, ist besonders stark behandelt wor-
den, und zwar außer den Juristen von Theologen und Philosophen21).
In den Schulgesetzen folgt nach den Professoren der Jurisprudenz ein beson-
derer Abschnitt „De professoribus philosophicis et medicis“. Zwar ist von den
Philosophiestudenten im besonderen nicht die Rede, wohl aber „De medicinae
studiosis“. Danach hat der erste Philosophieprofessor die Haupttatsachen der
Physik und eine kurze Einführung ins medizinische Studium zu bieten. Erst seit
1687 und 1757 ist von einer „Medizinischen Fakultät“ in den Hochschulakten
die Rede 22). Bescheiden sind die Anweisungen für den Unterricht in der Heilkunde.
Zwar ist von einem klinischen Unterricht am Krankenbett die Rede, der aber bei
der geringen Studentenzahl kaum Bedeutung gewonnen hat. — An allen deut-
schen Hochschulen jener Zeit bestand das Medizinstudium in der Auslegung der
Schriften der Autoritäten des Altertums, eines Hippokrates und Galen. Daher ist
die Kenntnis von Latein und Griechisch dazu Voraussetzung. Es ist wenig be-
kannt, daß z. B. Melanchthon als sprachkundiger Ausleger medizinische Vorle-
sungen gehalten hat.
19) Den Einfluß des Althusius auf das Genossenschaftsrecht hat O. Gierke betont. Zu Hieron.
Treutier (in Herb. 1589 — 91) s. R. Stintzing, Gesch. der dt. Rechtswissenschaft, I. Bd.
1886 S. 145ff. Phil. Henr. Hoen (Prof. 1604 —1608) verfaßte „Politicarum über unus“ (3. Aufl.
1618). Joh. Alsted, Decuria quaestionum politicarum (1612) und De norma administrationis
reipublicae (1622). Joh. Matthäus, De magistratu (1628).
20) F. W. Strieder, Hess. Gel.-Gesch. Bd. 4, 507-20.
21) Hingewiesen sei auf Herrn. Friedr. Kahrel, der als Philosoph völkerrechtliche Fragen
bearbeitete.
22) C. H. v. Rauschard, Einleitung ins Nassau-Oranische Staatsrecht (Dillenb. 1767) spricht
in einem Abschnitt von der Hohen Schule, erwähnt aber weder die med. Fakultät noch einen
Professor, der Medizin liest (Staatsarch. Wiesb., Nachl. Vogel 73 D).
 
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