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Neutsch, Bernhard [Hrsg.]; Hafner, German [Mitarb.]
Die Welt der Griechen im Bilde der Originale der Heidelberger Universitätssammlung: Katalog der Jubiläumsausstellung zur 100-Jahr-Feier der Sammlungen des Archäologischen Instituts Heidelberg im Sommersemester 1948 — Heidelberg, 1948

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https://doi.org/10.11588/diglit.28105#0053
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10. Skylla. Ausgeschnittenes und vergoldetes Tonrelief aus Tarent. Jenes Meeres-

ungeheuer, das wie ein Polyp seine Opfer greift und dem Odysseus beinahe
auch zum Opfer fällt (Od. XII), findet erst in der späteren griechischen Kunst
seine Verkörperung als Mischwesen mit weiblichem Oberkörper, der sich von
der Hüfte an in zwei mächtige, sich einringelnde Fischleiber mit Zackenkamm
und zwei kleinere Hundevorderteile verwandelt. 3./2. Jh. v. Chr.

11. Sirenen auf Fragment einer schwarzfigurigen Schale. Die verführerisch sin-
genden Wesen, denen Odysseus auf seiner Irrfahrt nur mit Mühe entgeht
(Od. XII), hat die archaische Kunst als Vögel mit Frauenkopf dargestellt, wie
sie hier im Verein mit der geflügelten Götterbotin Iris erscheinen.

Attisch, mittleres 6. Jh. v. Chr.

12. Musizierende Sirenen auf Fragment eines tönernen Weihreliefs aus Lokroi.

Die kitharaspielende Sirene ist mit ihrer flöteblasenden Gefährtin, von der nur
noch die Arme erhalten sind, als eine Hadessirene, eine „Muse des Jenseits“
aufzufassen, die den Toten an der Schwelle des Hades freundlich mit ihren
Klängen empfängt. Unteritalisch, gegen Mitte des 5. Jh. v. Chr.

13. Greif auf Reliefemblem einer calenischen Schale. Gegenüber dem Greif auf
dem Buccherohenkel (Nr. 1) und dem auf der rhodischen Kanne (Abb. 17) ist aus
dem gefährlich-großartigen Ungeheuer ein geschmeidig-schlankes Tier von
gefälligen Umrissen, aber geringerer innerer Kraft geworden, ein Vorgang,
der sich auch bei der Chimäre (Nr. 2 u. 3) beobachten ließ und der das Heraus-
treten des Griechen aus einer Welt des Mythos, die von ungeheuerlichen Ge-
walten erfüllt ist, in eine für den ordnenden Verstand faßbare, überschaubare,
aber auch nicht mehr so göttererfüllte Welt spiegelt.

Unteritalisch, 3.—2. Jh. v. Chr.

(H. L.)

MYTHOS

Die Sagen von den Göttern und den Helden der Vorzeit haben in einem
Ausmaß das Geistesleben der Griechen durchdrungen, daß kein Gebiet von
ihnen unberührt geblieben ist. In ihren Liedern und Tragödien fanden sie
Gestalt und von den Giebeln, Metopen und Friesen der Tempel und vom
Schmuck der Geräte des täglichen Lebens sind sie ständig im Bewußtsein
des griechischen Menschen. Und wohin immer griechischer Geist drang,
dahin hat er auch die heimische Sage mitgebracht.

Die beherrschende Rolle, die die Sage in Griechenland spielte, hat viel-
leicht nur ein Gegenstück, und zwar in der christlichen Welt des Mittel-
alters, aber gerade dieser Vergleich zeigt die besondere Eigenart der grie-
chischen Sage. Sie ist nämlich nicht dogmatisch festgelegt, sondern lebt im
Volke, wächst, wandelt sich, wird im Satyrspiel ins Lächerliche gezogen,
und das ständige Widerspiel von Varianten, lokalen Abwandlungen, neuen
Zügen und Kombinationen läßt die Sage nicht zur Ruhe kommen, erhält sie
lebendig, jugendfrisch und vollzieht das Wunder, daß sie unsterblich wurde.

Die griechischen Vasen sind das Bilderbuch der Sagen. Hier sehen wir die
Märchen von den phantastischen Ungeheuern, die Taten des Herakles und
des Theseus, der beiden Lieblingshelden der älteren Zeit, und die Geschich-
ten, die uns aus den homerischen Epen vertraut sind.

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