Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Neutsch, Bernhard [Hrsg.]; Hafner, German [Mitarb.]
Die Welt der Griechen im Bilde der Originale der Heidelberger Universitätssammlung: Katalog der Jubiläumsausstellung zur 100-Jahr-Feier der Sammlungen des Archäologischen Instituts Heidelberg im Sommersemester 1948 — Heidelberg, 1948

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.28105#0011
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
VON KRETISCH-MYKENISCHER KUNST

Der eigentlichen griechischen Kunst geht ein „Präludium“ voraus, das
uns aus der Wunderwelt des alten Kreta entgegenklingt. Kreta, über sechs
Jahrhunderte des 2. Jahrtausends v. Chr. Zentrum einer seebeherrschenden
Macht mit malerischen Palastanlagen wie Knossos, dem Sitz des sagenhaften
Königs Minos (Wandfoto 1), ist zugleich bedeutsamer künstlerischer Mittel-
punkt. Er bewahrt seine Strahlungskraft auch dann, als um 1400 v. Chr. die
altmittelländische Bevölkerung Kretas den festländischen „Achäern“, den
Vorfahren der historischen Griechen, untertan wird, deren monumentale
Burgen, z. B. in Mykene (Wandfoto 2), ausgegraben wurden. Man faßt die
ganze Epoche unter dem Sammelbegriff der kretisch-mykenischen Kultur
zusammen.

Die Wirkung kretischer Kunst beruht auf ihrer erregenden Verschmelzung
urtümlicher Züge und höchsten Raffinements. Zu ihren Kennzeichen gehört
eine eigentümlich raumlose, teppichartige Flächenhaftigkeit, die in „vor-
stelligem" Sehen die Bildgegenstände in ihren charakteristischen Elementen
in der Fläche ausbreitet und für modernes Gefühl verschiedene Ansichten
vereinigt. Sie ist darin der ägyptischen Kunst verwandt, zeigt jedoch gegen-
über deren mehr statischem Charakter eine Vorliebe für beschwingte Bewe-
gung und Wiedergabe momentaner Erscheinung in Bildern voll Erfindungs-
reichtum und Beobachtungsgabe. Objekt der kretischen Kunst ist nicht, wie
im späteren griechischen Bereich, vornehmlich der Mensch, sondern inmitten
von Tieren, Pflanzen und märchenhaft anmutenden Landschaften gestaltet
sie den Menschen als einen Teil seiner Umwelt.

Die mykenische Kunst ist von der kretischen weitgehend beeinflußt, doch
sind ihr strenge und monumentale Züge eigen, die allmählich zu einer völ-
ligen Erstarrung der beweglichen kretischen Formen hinführen. Das tritt
besonders in der Keramik der Spätphase (Schauschrank I) in Erscheinung,
in der die lebendige künstlerische Kraft erlahmt ist.

7
 
Annotationen