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Albert, Peter P.; Beyerle, Konrad [Hrsg.]
Die Kultur der Abtei Reichenau: Erinnerungsschrift zur zwölfhundertsten Wiederkehr des Gründungsjahres des Inselklosters 724-1924 (1. Halbband) — München: Verlag der Muenchner Drucke, 1925

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Vorgeschichte und Klostergründung
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Jecker, Gall: St. Pirmins Herkunft und Mission
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https://doi.org/10.11588/diglit.61010#0067
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Gall Je die.

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gehalten würde. Die Äbte sollten nur aus seinen
Klöstern genommen werden, und diese sollten
untereinander verbunden bleiben und gegenseitig
eine Art Reformationsrecht haben. Em solcher
Zusammenschluß verschiedener Klöster unter sich
war den angelsächsischen Benediktinern unbekannt.
Bei den Schotten freilich hatte der Abt des gro-
ßen Inselklosters Hi die Oberleitung sämtlicher
Klöster Nordirlands und des Piktenlandes, die
von seiner Insel ausgegangen waren. Im Franken-
reich suchte man Luxeuil eine ähnliche Stellung
zu geben, wie sie Hi in der Heimat einnahm,
hatte aber nur einen kurzen Erfolg. Der Zusam-
menschluß der irischen Klöster im Frankenreich
scheint bald aufgehört zu haben. Darum ist, nach
dem Urteil Levisons, des gründlichen Kenners
irischer Einflüsse auf dem Festland, in der Or-
ganisation der Pirminsklöster ein .Zusammenhang
mit irischen Vorbildern nicht erweisbar*. Wo hat
denn aber zu Pirmins Zeiten em ähnlicher Zu-
sammenschluß von Klöstern bestanden? In Spa-
nien, und zumal in jener Gegend, wo einst Mar-
tin seine Bauernpredigt geschrieben hatte. Fruc-
t u o s u s , der spätere Erzbischof von Braga
(J" 665), hatte noch als Priester nicht nur das
Kloster Complutum bei Astorga im nordwest-
lichen Spanien erbaut, sondern durch sein Bei-
spiel auch zahlreiche Neugründungen angeregt.
Die verschiedenen Klöster schloß er zu einer
förmlichen Kongregation zusammen und be-
stimmte, daß sich deren Äbte allmonatlich zu-
sammenfinden sollten, um über den Stand der
Ordenszucht und deren gedeihliche Förderung
Rats zu pflegen. Da haben wir also Pirmins Vor-
bild, es findet sich wiederum in Spanien.
Wir können also zusammenfassend sagen: Die
Anschauungen Pirmins stimmen nicht nur völlig
überein mit denjenigen spanischer Kreise seiner
Zeit, sondern seine Besonderheiten in der Ver-
wandtschaftszählung und im Zusammenschluß sei-
ner Klöster sind wesentlich spanisch. Sie bestä-

tigen und bestimmen genauer, was die Quellen
des Scarapsus schon bewiesen haben: Pirmin
stammt aus Spanien oder doch aus dem unter
spanischem Einfluß stehenden Südfrankreich.
Alles paßt völlig zusammen: der ganz romanische
Name unseres Heiligen, die spanischen Formen
in der Handschrift des Scarapsus, die bei dessen
Abfassung benutzten Vorlagen und die Besonder-
heiten Pirmins selbst. Alles weist auf dieselbe
spanische Herkunft hin.
So erklärt sich auch, wieso Pirmin Benediktiner
war, aber kein Angelsachse, wie er in der Nähe
des hl. Bonifatius jahrzehntelang für gleiche Ziele
arbeiten konnte, ohne mit diesem in Berührung
zu kommen, und endlich, wie er und seine Ge-
fährten, obwohl nicht Iroschotten, doch in den
ältesten Urkunden Fremdlinge heißen; er war
eben mit ihnen aus einer ganz andern Gegend ge-
kommen und hätte mit dem Dichter sagen kön-
nen: ,F e r n im Süd' das schöne Spanien; Spa-
nien ist mein Heimatland.*
Für den Erforscher der Volksgebräuche ergibt
sich aus diesen Feststellungen em weiterer Schluß :
Pirmins Scarapsus darf nicht mehr als Zeuge für
den Aberglauben der Alemannen angerufen wer-
den ; denn von einem Romanen aus romanischen
Quellen zusammengestellt, konnte er direkt nur
romanischen Aberglauben treffen und nur mittel-
bar den germanischen, insofern manches, wie der
Baum- und Quellenkult und die Beobachtung des
Niesens, zugleich romanisch und germanisch war.
Doch wie kam zu Beginn des 8. Jahrhunderts
Pirmin aus Spanien nach dem Norden? Was
hatte ihn bewogen, die geweihten Hallen eines
ehrwürdigen Klosters zu verlassen? Die grause
Not, ein sein Vaterland erschütterndes Unglück,
hatte ihn aus der Heimat vertrieben. Das zweite
Jahrzehnt des 8. Jahrhunderts sah den Untergang
des Westgotenreiches. Der übermütige weltliche
und geistliche Adel hatte das Königtum an einem
machtvollen Aufstreben gehindert; häufige Thron-
 
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