Aus dem liturgischen Leben der Reichenau
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Grafen Schrot für Schienen in Einklang bringen
läßt mit ebensolchem Erwerb durch Bischof
Ratolt von Verona für Reichenau. Dies führt
uns zu den ersten Nachrichten über den Reli-
quienerwerb des Klosters Reichenau selbst. Die
Berichte darüber sind nicht eindeutig, ihr Ver-
hältnis zu den Radolfzeller Heiligen, wie zum hl.
Genesius von Schienen bedarf der Aufklärung.
Soweit sie St. Genesius betreffen, sind sie sofort
mit einer zweiten, für die Folgezeit ungleich
wichtigeren Reliquienerwerbung der Reichenau
verquickt, nämlich der Erwerbung von Reliquien
des hl. Valens, der später sich als St. Markus
enthüllen sollte. Um in das Gewirr der Nach-
richten über St. Genesius einiges Licht zu brin-
gen, müssen wir jene Nachrichten, soweit sie sich
mit St. Genesius berühren, vorwegnehmen.
Die alten Reichenauer Annalen, über die I. R.
Dieterich an anderer Stelle berichtet, enthalten
zum Jahre 830 die Nachricht, die mit ihrem ge-
nauen Datum nur gleichzeitig sein kann: ,Pretiosa
corpora s.Valentis et s.Genesii in Augiam insu-
lam venerunt V. id. Aprilis' (MG. SS. I, 68;
Jaffe, Bibi. Rer. Germ. III, 700 ff.). Diese Nach-
richt hat später Hermann d. L. übernommen und mit
ihr Dinge, die er den aus dem 10. Jht. stammenden
,Miracula s. Marei' entlieh, verknüpft: ,Corpus s.
Marei ev. sub nomine Valentis martyris Ratoltus
Veronensis episcopus a duce Venetiae impetravit
et cum corpore Genesii martyris in Augiam in-
sulam attulit.“ Den Inhalt dürfen wir jedenfalls
insoweit als Tatsache hinnehmen, daß nach guter
Klostertradition um 830 durch Bischof Ratolt
von Verona Reliquien nach der Reichenau ge-
schenkt wurden: Reliquien des Märtyrers Valens
und Reliquien des hl. Genesius.
Die weitere Angabe bei Hermann d. L., daß sich
hinter dem Märtyrer Valens der Evangelist Mar-
kus verborgen habe, berührt die Markusfrage; wir
stellen sie fürs erste zurück, sie geht, wie bemerkt,
bei Hermann d. L. auf die aus dem 10. Jahr-
hundert stammenden ,Miracula s. Marei' zurück,
wobei allerdings Hermann d. L. an Stelle eines
venezianischen Kaufmanns den Dogen von Ve-
nedig einsetzt, von dem Ratolt den hl. Markus
erhalten habe. Bezüglich des hl. Genesius gehen
beide Berichte, bei Hermann und in den ,Mira-
cula s. Marei', überein. Die Miracula s. Marei
fügen erläuternd hinzu, daß Ratolt aus Treviso
die Leiber der hll. Senesius und Theopontus mit-
gebracht habe. Aus Treviso hätte also Schienen
seine Genesiusreliquie durch Graf Schrot unter
Mitwirkung Ratolts erhalten, aus demselben Tre-
viso derselbe Ratolt Reliquien zweier Heih ger,
Senesius und Theopontus, mitgebracht. Daß er
der Reichenau auch von diesen Reliquien einen
Teil gewährte, berichten die Miracula s. Marei
zwar nicht, wohl aber Hermann d. L. Das stand
aber, in der von Hermann d. L. festgehaltenen
Beschränkung auf Genesius, schon in den Rei-
chenauer Annalen.
Die Stiftskirche Radolfzell — die heutige Stadt-
pfarrkirche — verehrt seit ihrer Gründung als
ihre Patrone oder .Hausherren' (eine uralte
Verdeutschung des lateinischen ,patrom') die hll.
Senesius und Theopontus. Wohl besitzt
die dürftige Überlieferung von Radolfzell keinen
besonderen Translationsbericht, wir sind ganz auf
Hermann d. L. und auf die .Miracula s. Marei’
angewiesen. Das gleichzeitige Auftreten derselben
Heiligennamen in Reichenau, Schienen und Ra-
dolfzell, außerdem in Treviso und später Nonan-
tula, zwingt an sich nicht zur Annahme von Wider-
sprüchen, noch auch die Verschiedenheit der Na-
mensüberlieferung zur Behauptung von sachlichen
Gegensätzen.29) Die Berichte über Besitz von
Reliquien desselben Heiligen am Bodensee und in
Oberitalien lassen sich aus der Verteilung der
hl. Gebeine auf verschiedene Kirchen erklären;
so gesehen stützen sich sogar die Berichte hier
und dort gegenseitig. Wie sollten damals die Rei-
chenauer, wie sollten Schienen und Radolfzell ge-
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Grafen Schrot für Schienen in Einklang bringen
läßt mit ebensolchem Erwerb durch Bischof
Ratolt von Verona für Reichenau. Dies führt
uns zu den ersten Nachrichten über den Reli-
quienerwerb des Klosters Reichenau selbst. Die
Berichte darüber sind nicht eindeutig, ihr Ver-
hältnis zu den Radolfzeller Heiligen, wie zum hl.
Genesius von Schienen bedarf der Aufklärung.
Soweit sie St. Genesius betreffen, sind sie sofort
mit einer zweiten, für die Folgezeit ungleich
wichtigeren Reliquienerwerbung der Reichenau
verquickt, nämlich der Erwerbung von Reliquien
des hl. Valens, der später sich als St. Markus
enthüllen sollte. Um in das Gewirr der Nach-
richten über St. Genesius einiges Licht zu brin-
gen, müssen wir jene Nachrichten, soweit sie sich
mit St. Genesius berühren, vorwegnehmen.
Die alten Reichenauer Annalen, über die I. R.
Dieterich an anderer Stelle berichtet, enthalten
zum Jahre 830 die Nachricht, die mit ihrem ge-
nauen Datum nur gleichzeitig sein kann: ,Pretiosa
corpora s.Valentis et s.Genesii in Augiam insu-
lam venerunt V. id. Aprilis' (MG. SS. I, 68;
Jaffe, Bibi. Rer. Germ. III, 700 ff.). Diese Nach-
richt hat später Hermann d. L. übernommen und mit
ihr Dinge, die er den aus dem 10. Jht. stammenden
,Miracula s. Marei' entlieh, verknüpft: ,Corpus s.
Marei ev. sub nomine Valentis martyris Ratoltus
Veronensis episcopus a duce Venetiae impetravit
et cum corpore Genesii martyris in Augiam in-
sulam attulit.“ Den Inhalt dürfen wir jedenfalls
insoweit als Tatsache hinnehmen, daß nach guter
Klostertradition um 830 durch Bischof Ratolt
von Verona Reliquien nach der Reichenau ge-
schenkt wurden: Reliquien des Märtyrers Valens
und Reliquien des hl. Genesius.
Die weitere Angabe bei Hermann d. L., daß sich
hinter dem Märtyrer Valens der Evangelist Mar-
kus verborgen habe, berührt die Markusfrage; wir
stellen sie fürs erste zurück, sie geht, wie bemerkt,
bei Hermann d. L. auf die aus dem 10. Jahr-
hundert stammenden ,Miracula s. Marei' zurück,
wobei allerdings Hermann d. L. an Stelle eines
venezianischen Kaufmanns den Dogen von Ve-
nedig einsetzt, von dem Ratolt den hl. Markus
erhalten habe. Bezüglich des hl. Genesius gehen
beide Berichte, bei Hermann und in den ,Mira-
cula s. Marei', überein. Die Miracula s. Marei
fügen erläuternd hinzu, daß Ratolt aus Treviso
die Leiber der hll. Senesius und Theopontus mit-
gebracht habe. Aus Treviso hätte also Schienen
seine Genesiusreliquie durch Graf Schrot unter
Mitwirkung Ratolts erhalten, aus demselben Tre-
viso derselbe Ratolt Reliquien zweier Heih ger,
Senesius und Theopontus, mitgebracht. Daß er
der Reichenau auch von diesen Reliquien einen
Teil gewährte, berichten die Miracula s. Marei
zwar nicht, wohl aber Hermann d. L. Das stand
aber, in der von Hermann d. L. festgehaltenen
Beschränkung auf Genesius, schon in den Rei-
chenauer Annalen.
Die Stiftskirche Radolfzell — die heutige Stadt-
pfarrkirche — verehrt seit ihrer Gründung als
ihre Patrone oder .Hausherren' (eine uralte
Verdeutschung des lateinischen ,patrom') die hll.
Senesius und Theopontus. Wohl besitzt
die dürftige Überlieferung von Radolfzell keinen
besonderen Translationsbericht, wir sind ganz auf
Hermann d. L. und auf die .Miracula s. Marei’
angewiesen. Das gleichzeitige Auftreten derselben
Heiligennamen in Reichenau, Schienen und Ra-
dolfzell, außerdem in Treviso und später Nonan-
tula, zwingt an sich nicht zur Annahme von Wider-
sprüchen, noch auch die Verschiedenheit der Na-
mensüberlieferung zur Behauptung von sachlichen
Gegensätzen.29) Die Berichte über Besitz von
Reliquien desselben Heiligen am Bodensee und in
Oberitalien lassen sich aus der Verteilung der
hl. Gebeine auf verschiedene Kirchen erklären;
so gesehen stützen sich sogar die Berichte hier
und dort gegenseitig. Wie sollten damals die Rei-
chenauer, wie sollten Schienen und Radolfzell ge-