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Muzeum Narodowe <Breslau> [Hrsg.]; Muzeum Śla̜skie <Breslau> [Hrsg.]
Roczniki Sztuki Śląskiej — 15.1991

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Recenzje i omówienia
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Sachs, Rainer: Der "neue Thieme-Becker" - Chancen und Gefahren. Allgemeines Künstlerlexikon. Die bildenden Künstler aller Völker und Zeiten. Hrsg. Günter Meißner, Bd. 1, Aa-Alexander, Leipzig 1983. Bd. 2, Alexander-Andrea di Zanetto, Leipzig 1986
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RECENZJE I OMÓWIENIA

RAINER SACHS (Wrocław)

Der „neue Thieme-Becker" — Chancen und Gefahren
Allgemeines Kiinstlerlexikon. Die bildenden Kunstler aller Yólker und Zeiten, Hrsg. Gunter MeiBner, Bd. 1,
Aa - Alexander, Leipzig 1983. Bd. 2, Alexander - Andrea di Zanetto, Leipzig 1986

Obwohl inzwischen weitgehcnd iiberholt, ist das Allgemeine
Lexikon der bildenden Kunstler von der Antike bis zur Gegen-
wart, in Fachkrciscn kurz „Thieme-Becker" gcnannt, nach wie
vor das allumfassendste kunstlcrbiographischc Nachschlage-
werk und die Nachfrage nach ihm so groB, daB sic, trotz
stiindiger Nachdrucke, dessen Angebot boi weitem iibersteigt.
Angcsichts eincr solchcn Lagc muB das Allgemeine Kunstler-
lexikon aller Yólker und Zeiten, ein Naehschlagewerk, welches,
beim gleichen Untcrnehmen, dem E. A. Seemann-Verlag in
Leipzig, erscheinend, nicht nur das Lexikon von Thieme-Becker
und Nachfolgcrn auf den neuesten Stand bringt, sondern ihm
gegenuber einen revolutionaren Fortschritt auf nahezu allen
Gebieten, von der buchgraphischen Form, bis hin zu den
Bearbeitungskriterien, darstclll, in der internationalen Kunst-
forschung auf allcrhóchstes Inleressc stoBcn. Mil einer, durch
die ersten beiden 1983 und 1986 crschiencncn Bandc des AKL
(so das ofiziclle Kiirzel des Allgemainen Kiinstlerlexikons) aus-
gewiesenen Informationssteigerung von durchschnittlich rund
400% gegenuber den vergleichbaren Abschnitten des sonst
schon sehr informationsreichen Thieme-Becker, verspricht die-
ses Vorhabcn das bedeutendste allgemeine Kiinstlcrlexikon der
Zukunft zu werden und wird somit, nicht zuletzt auch deshalb,
wcil dic Leipzigcr Kollegen immer wieder zu internationalcr
Zusammenarbeit und Kritik aufriefen, zu eincr der wichtigsten
Aufgaben der internationalen Kunstwissenschaft.

Ohne an dieser Stelle auf die im GroBen und Ganzen
unbedeutenden Vcrsehen und Unzulanglichkcitcn bci den kon-
kreten Kiinstlerbiographien der ersten beiden Bandę cingehen
zu wollen, scheint nun die Zeit fur eine kritische Diskussion
einiger Details des Editionsprogramms ais solches gekommen.

Im „Burlington Magazine", Bd. CXXVI, S. 737, ruhmt der
Rezensent des ersten Bandes des AKL dem Thieme-Becker
nach, „einer der wertwollsten Dienste" sei „stets die Erwdhnung
von Kunstlern gewesen, von denen im Grunde nichts bekannt ist,
d. h. kaum mehr ais die Namen, urn die es mit Hilfe von Zeit und
Archiven móglich sein kann, ein Qeuvre zu konstruieren". Ganz in
diesem Geist deklarieren die Hcrausgeber des AKL „ein Nach-
schlagewerk uher die bildenden Kunstler, Maler, Graphiker,
Bildhauer, Architeklen und Yertreter der angewandten Ktinste
aller Lauder und Epoehen" erarbeiten zu wollen, „dereń Namen
und Leistungen aus wissenschaftlichen Grunden zu dokumentieren
sina"' (Bd. 1, S. VII). Auf der gleichen Seite bekennt man: „tor
die Alternatwe gestellt, entweder einen Teilbereich (wie z. B. die
europdischen Kunstler der Yergangenheil) darzustellen oder die
risikoreichere Universalitdt unter Einschlufi der lebenden
Kunstler zu wdhlen, haben wir uns fur letzłeres entschieden".

Schon diese wenigen Zitate zeigen die Dillemata der Leip-
zigcr Kunsthistoriker auf, deren Grundtenor ihnen sclbst in den
Randbereichen der Kunst die unliebsame Rolle des Richters
dariiber aufzwingt, ob das Werk dieses oder jenes Menschen
„aus wissenschaftlichen Grunden zu dokumentieren" sei oder
nicht. Bei einer solchcn Grundeinstellung konnten generelle
Fehlentscheidungen, trotz weitgehender internationaler Hilfe
und Konsultationen, nicht ausbleiben, ihre konkrete Existenz
soli in den folgenden Erórterungen nachgewiesen werden.

In der, dem Autor durch seine Mitarbeit am AKL gut
vertrauten Redaktionspraxis, versuchte man in Zweifelsfallen
der Definition des kunstlerischcn Schaffens mil dem Kriterium
der „Kreativitat" beizukommen, lieB also bewuBt, gcwisser-
maBen programmatisch, ganze Berufsgruppen unberucksich-
tigt, denen der schópferische Charakter ihrer Tatigkeit abgesp-
rochen worde, obgleich sie oftmals von entscheidender Bcdeu-
tung fur den Gesamteindruck der mit ihrer Hilfe geschaffenen
Kunstwerke sein konnte (z. B. Vergolder, Staffierer). Anderer-
seits inventarisierte man, traditionellen Ansichten (vcrmutlich
unbewuBt) folgend, ganze Gewerbe, deren Arbeit das
schópferische Element weitgehend abgeht, die sich jedoch in der
bisherigen Kunstwisscnschaft groBer Anerkennung erfrcuten.
Diese Tatsachcn, die Bcfiirchtungen, wie vcrhangniBvoIl die
konsequcnte Anwendung des „kreativitatsprinzips" ware, sowie
das beim Autor vorhandcne Bedurfnis einer flexiblen Eins-
chatzung der Tatigkeit mancher Kunsthandwerkergruppen
mógen einige Beispiele erlautern, die keineswegs das Problem
erschópfen, sondern vielmehr nur die personlichen Zweifel des
Rezensenten illustrieren und eine Grundlagcndiskussion zu den
bisherigen traditionellen Auswahlkritcricn des AKL und im
ailgemeinen der Kunst wissenschaft, anregen sollen.

Relativ eindeutig ist die Sachlage bei den Webem und
Zimmerleuten, deren Tatigkeit bis auf ganz seltene Ausnahmen
wohl kaum das Pradikat „kunstlerisch" verliehen werden kann.
Gliicklichcrweise nahmen selbst die Herausgeber ihre in Bd. 1,
S. VIII gemachte Versprechung, alle Vertreter dieser Berufe bis
Ende des 19. Jahrhunderts aufzunchmcn, nicht zu ernst, denn
schon im schlesischen Raum waren dies tausende von Hand-
werkern, fur die sich in der Regel der Beweis, daB ihr Schaffen
niemals kunstlerischen Charakter besaB, ohne Schwierigkeiten
erbringen lieBe. Im Gegensatz hierzu bisher generell nicht
aufgenommen worden die Barett- und Strumpfstricker, die
trotz des nur kleidungslezogenen Namens ihrer Zunft oftmals
prachtige Wandteppiche (z. B. ais Meisterstucke) anfertigten,
die noch heute zahlreiche Museen und Kunstsammlungen
zieren.
 
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