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Sauer, Joseph
Symbolik des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Auffassung des Mittelalters: mit Berücksichtigung von Honorius Augustodunensis Sicardus und Durandus — Freiburg. i.Br., 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.8576#0085

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Die Heilige Schrift und die Symbolik. 52

Stellen auch nicht in einem andern Sinne, nicht in der originalen
Fassung und Umgebung. Wenn wir nun auch bei gar vielen
symbolischen, künstlerisch und litterarisch verwerteten Motiven
auf die Heilige Schrift als letzte Quelle verwiesen werden, so
bleibt doch noch die von Springer1 schon aufgeworfene Frage
bestehen, ob der Autor oder Künstler sein Motiv der direkten
Quelle oder unmittelbar der Tradition und ihrer konkreten Form,
der Liturgie, entnommen habe. Solange das Officium periodisch
die Verlesung nahezu des ganzen Inhaltes der heiligen Bücher zur
Folge hatte, war das Bewufstsein von dem Litteralsinn noch nicht
wesentlich getrübt durch andere Gesichtspunkte. Anders wurde
das erst, als nur einzelne, gerade ob ihres Inhaltes ausgewählte
Abschnitte der Bibel in die sonntäglichen Perikopen und das Officium
aufgenommen wurden2 Die Gruppierung der Heilsthatsachen, die
Zusammenstellung ziemlich weit entfernter Vorgänge und die Tren-
nung von unter dem historischen Gesichtspunkte Zusammengehörigem
ergab sich aus dieser liturgischen Verwendung. Wenn das Mefs-
formular die Erlösungsthat in die drei Worte passio, resurrectio,
ascensio zusammenfafst und .im Kanon das Opfer Abels, Abrahams
und Melchisedechs auf eine Stufe mit dem Kreuzopfer und dem
Opfer auf dem christlichen Altar gestellt wird, so liegen hier zwei
typische Beispiele von dieser liturgischen Behandlung der Heiligen
Schrift, einer nach höheren Gesichtspunkten gestimmten Geschichts-
betrachtung vor, die den christlichen Schriftsteller, in erster Linie
aber auch den Prediger, zur Nachahmung anregen mulste. Wenn
das Officium für die Zeit von Septuagesima bis Ostern die Ver-
lesung der Genesis ansetzte, so war es unausbleiblich, dafs nach
dem tieferen Zusammenhang zwischen Sinn und Bedeutung dieser
der Erinnerungsfeier unserer Erlösung vorausgehenden 70 Tage
und der hinter dem natürlichen und historischen Sinn des Genesis-
textes versteckten Bedeutung gesucüt wurde, und da sich hier-
bei zugleich noch mit zwingender Notwendigkeit die Symbolik der
Zahl sieben aufdrängte, so war durch ein einziges Wort eine ganze
Ideenreihe beschworen, welche die Geschicke der ganzen Mensch-
heit umfafste. Oder wenn, um einen noch konkreteren Fall an-
zuführen, die Kirche für den Introitus am vierten Fastensonntag
den Ausruf des Propheten Isaias (c. 66) gewählt hat: „Laetare,

1 Über die Quellen der Kunstdarstellungen im Mittelalter S. 12 ff.

2 Vgl. hierzu Kraus, Gesch. d. christl. Kunst II, 269 ff.

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