Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Sauer, Joseph
Symbolik des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Auffassung des Mittelalters: mit Berücksichtigung von Honorius Augustodunensis Sicardus und Durandus — Freiburg. i.Br., 1924

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8576#0409

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Kulturgeschichtliche Ergebnisse der Kirchensymbolik.

375

Fünftes Kapitel.
Kulturgeschichtliche Ergebnisse der Kirchensymbolik.

Wir sind in diesem letzten Teil von der Verschiedenheit des
Portalschmuckes ausgegangen, die sich in der gotischen Kunst
gegenüber der früheren romanischen manifestiert. Hier der Lehrer
der Wahrheit in majestätischer Hoheit und überirdischer Unnahbar-
keit, dort ein Herniedersteigen zur Welt und ihren täglichen und
menschlichen Bedürfnissen. Jetzt ist es die Kirche in ihrer vollen
Ausdehnung und Entfaltung, die das Mittelalter ihr zu geben wufste,
welche den Blick der Eintretenden fesselt. Jetzt handelte es sich
nicht mehr darum, die religiöse Unterweisung grofsenteils auf eine
Mitteilung der biblischen Ereignisse einzuschränken, nun mufsten
auch die Schlufsfolgerungen daraus gezogen, die einzelnen That-
sachen durch einen höheren Gedanken verknüpft, kurz, das ge-
schaffen werden, was wir systematische Heilslehre nennen können,
und als Trägerin dieser Heilslehre erscheint eben die Kirche. Aber
dieser mittelalterliche Begriff der Kirche umschliefst weit mehr, als
wir gewöhnlich darunter verstehen. Die Kirche datiert ihre Existenz
nicht erst von ihrem eigentlichen Stifter, sie ist also nach mittel-
alterlicher Anschauung nicht lediglich die Vermittlerin der Er-
lösungsgnade an den einzelnen: sie geht über Christus noch hinaus
bis zum Anfang alles Seins, da Gott den ersten Menschen ins
Dasein rief. Und ihr Gebiet ist nicht abgegrenzt nach blofs re-
ligiösen Gesichtspunkten, sie dehnt ihre Befugnisse auf das ganze
zivile und soziale Leben aus. Alle Stände und Berufsklassen werden
nach religiösen Gesichtspunkten gegliedert und so der Mensch in
dieser Auffassung nur nach seiner Zugehörigkeit zur Kirche, in
seiner Stellung und Pflichterfüllung darin angesehen. Eine andere
selbständige Gewalt oder Institution, die mit ihren Zielen, mit ihren
Motiven aufser den Bereich der Ecclesia Dei fiele, existiert nicht,
weil die politische oder staatliche Gewalt, wie sie Ausflufs Gottes
und der Kirche ist, auch nur ein Glied innerhalb des grofsen Me-
chanismus der Kirche Gottes sein kann. Somit erstreckt sich das
Bereich der Kirche nicht blofs über alle Zeiten vom Beginn der
Welt bis zu ihrem Endabschlufs, sondern auch räumlich über die
ganze Erde, weil sie Vollmacht über die ganze Menschheit erhalten
hat. Es ist natürlich, dafs ein Nichtchrist keine Existenzberech-
tigung in diesem religiös-politischen Schema erhält. Er mufs sich
entweder als Glied an die universelle Körperschaft anschliefsen oder
 
Annotationen