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— Ausgrabungen in Sendschirli, 4: Berlin: Druck und Verlag von Georg Reimer, 1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.49438#0133
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Die drei großen Säulenbasen des Bauwerkes K. 359
wie die Rippen durch einen wulstartigen Saum zur Darstellung gebracht. Daß manchmal
diese Rippen und Säume auch durch zwei nebeneinander liegende Wülste, statt wie sonst in
der Regel nur durch einen Wulst, gebildet sind, ist sicher belanglos und nur auf mangel-
hafte Technik beim ersten Entwürfe zurückzuführen. Hingegen scheint es mir wichtig, die
spitz zulaufende Form der Blätter nachdrücklich zu betonen; es würde sonst nahe liegen,
die ganze Anordnung völlig mißzuverstehen, indem man sie um eine halbe Einheit verschoben
auffaßt, wie dies z. B. in der Abb. 201 auf S. 293 geschehen ist. Bei einer solchen Auf-
fassung würden die Blätter zwar parallele Ränder haben, aber in der Mitte dichotomisch ge-
spalten sein, was an sich ganz unmöglich oder wenigstens völlig unnatürlich erscheint.
Das richtige Verständnis für die Entwicklung dieser Form muß aber schon sehr früh
verloren gegangen sein; jedenfalls war der Mann, der diese Basen entwarf, sich selbst über
das Wesen der Blattkränze nicht mehr ganz klar; nur bei dem unteren ist die Form der sich
verjüngenden Blätter noch konsequent festgehalten; bei dem oberen Kranz scheint schon jede
Erinnerung an das Wesen der Blätter verloren; die einzelnen Längsrippen sind tauartig ge-
dreht und die Blattränder selbst sind verschwunden, so daß tatsächlich nicht mehr das einzelne
Blatt die Einheit zu bilden scheint, sondern der Zwischenraum von Rippe zu Rippe. Jeder
einzelne dieser Zwischenräume scheint dann ganz ohne Erinnerung an das ursprüngliche Ver-
hältnis mit einer in sich geschlossenen, einheitlichen Komposition ausgefüllt, die freilich nicht
leicht zu deuten ist. Sicher ist nur, daß sie aus Voluten besteht, die Ähnlichkeit mit solchen
auf ganz alten jonischen Kapitellen haben. Freilich sind sie unsymmetrisch und auch so orientiert,
daß der canalis — wenn hier von einem solchen überhaupt geredet werden darf — lotrecht
statt wagerecht steht, aber doch vermag ich bei diesen Voluten an nichts anderes, als an primitive
Voluten-Kapitelle zu denken. Bei dieser Auffassung bestärkt mich vor allem das tropfen-
artige Gebilde, das unter der oberen Volute aus der Ecke zwischen „canalis“ und der eigent-
lichen „Schnecke“ herauszuhängen scheint. Dieses Gebilde ist aber nichts anderes, als die
Palmette in den Zwickeln zwischen den Voluten und dem Kymation des entwickelten jonischen
Kapitells.
Diese Zwickelpalmetten selbst freilich scheinen mir noch der Erklärung bedürftig;
wenigstens ist mir selbst kein Versuch einer solchen bekannt; natürlich sind sie auch nicht
aus der Betrachtung des fertigen Kapitells zu begreifen, wie es uns etwa Vitruv beschrieben
hat, sondern nur aus den allerersten Anfängen der jonischen Säule überhaupt, also aus den
Darstellungen des alten Orients. Otto Puchstein, dessen scharfsinnigen Arbeiten über
das jonische Kapitell') und über die jonische Säule* 2) wir mehr Aufschluß verdanken, als allen
seinen Vorgängern auf diesem Gebiete zusammengenommen, war hart bis an die Lösung auch
dieser Schwierigkeit vorgedrungen und, wie ich glaube, nur durch einen unglücklichen Zufall
verhindert worden, sie zu überwinden; während er nämlich die Bedeutung der Lotus-Pflanze
und des Papyrus für die Kunstformen des alten Orients so richtig würdigte, so begnügte er
sich damit, von einer anderen Pflanze, „deren Vorbild in der Natur noch nicht wiedererkannt
ist“ zu sagen, sie dürfe „kurz als ,Lilie* bezeichnet werden“. Von den Gänsefüßchen aber,
zwischen die er das Wort „Lilie“ zunächst eingeschlossen, ist er später abgekommen und
gebraucht das Wort auch da, wo meiner persönlichen Überzeugung nach viel eher an eine
Palme als an eine Lilie zu denken ist.
Tatsächlich ist nun aus dem Palmbaum nicht nur die ägyptische Palmsäule hervor-
gegangen, sondern auf dem Umwege über Nordsyrien auch die jonische Säule selbst. Hier-
von kann man sich mit einem einzigen Blick auf das hier, Fig. 272, S. 372 abgebildete
Relief aus Saktsche-Gözü überzeugen. Da sind zwei dämonische Menschen dargestellt, die
x) 47. Programm zum Winckelmannfeste, Berlin 1887. Georg Reimer.
2) Sendschrift der Deutschen Orient Gesellschaft Nr. 4, Leipzig 1907. J. C. Hinrichs.
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