Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Lutz, Jules [Hrsg.]; Perdrizet, Paul [Hrsg.]
Speculum humanae salvationis (1): Text — Leipzig: Hiersemann, 1907

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.49738#0136
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ZWEITER TEIL. - NOTIZ ÜBER JEAN MIÉLOT

Miélots verhält es sich genau so, wie überhaupt mit dem
Sprachschatze des xvi. Jahrhunderts : es sind darin sehr
viele ohne weiteres dem Lateinischen entnommene Wörter,
welche sich in ihrer Mehrzahl nicht haben halten können
(G. Paris et Raynaud, Einleitung zum Mystère de la
Passion von A. Gréban, p. xxvii). Man glaube ja nicht,
dass der allzu häufige Gebrauch lateinischer Ausdrücke
und Wendungen, den Rabelais so scharf geisselt, auf die
Begeisterung der Renaissance für die lateinische Litteratur
zurückzuführen sei : tatsächlich reicht derselbe weit über
das xvi. Jahrhundert hinauf. Dass auch Miélot, der nur
lateinische, dazu noch religiöse Schriften übersetzte, diese
Bahn einschlage, war unvermeidlich; übrigens war durch
die lateinische Kirchensprache selbst den Ungelehrten
mancher lateinische Ausdruck ganz geläufig geworden.
Es muss jedoch hervorgehoben werden, dass Miélot nicht
in den übertriebenen lächerlichen Latinismus geriet, der
so vielen anderen Schriftstellern Burgunds und Flanderns
in der zweiten Hälfte des xv. Jahrhunderts anhaftet, und
dass er die lateinischen Ausdrücke, die er ins Französische
herübernimmt, oft erklärt : z. B. XIV, 52, parabolam quam
praedicavit de filio prodigo, « lorsqu’il preschoit du fil pro-
digue, c’est-à-dire fol, large; — XXXIV, 46, in quodam
coenaculo, « en ung senacle, qui estait ung lieu ou on mengeoit
souvent ».
Der Sinn ist meist richtig gefasst; sinnentstellende
Fehler sind selten. Hier sind doch einige : X, 93, Anna
obtulit Samuelem qui Judaeos erat propugnaturus, « qui se
devoit combattre contre les Juif g» — XIV, 55, ad quandam
villam veniebat, « si s’en ala a une bonne ville » — XIV,
84 (David) qui homicidium in Uria perpetravit, «le roi
David perpetra murtre ou pays de Urie ».
Es kommen Auslassungen vor : XIV, 91-96, lässt Miélot
in der Aufzählung der Zeugen der göttlichen Barmherzig-
keit einige weg, nämlich Rahab, Gilbert de la Porrée,
Thais und den Kämmerer der Königin Kandace.
Häufiger sind Zusätze. Um die Sache recht deutlich zu
machen, wird unser Übersetzer oft etwas wortreich : II, 50,
ne faciat excessum, « qu’il ne face point de exces ne d’oul-
trage » — II, 60, defraudare nititur, « se efforce de le
bareter et tromper » — II, 88, alicujus adjutorio, « par nul
aide quelcunques d’angele ne d’homme» — XIV, 81. 82, Sic
Deus eum (poenitentemj recipit per clementiam omnia scelera

dimittentem, «par sa clemence N. S. le vrai penitent recheut,
mais qu’il laisse tous ses crimineulx pechieg et propose en soi
mesmes de jamais y rencheoir en son pouvoir » : hier hält der
gute Kanonikus für nötig, die im lateinischen Texte
enthaltene Lehre näher auszuführen. Mitunter schaltet
Miélot eine archäologische oder philologische Glosse ein,
welche nicht immer von gründlicher Gelehrsamkeit zeugt :
XVI, 42, ung gomor, « c’est-à-dire une mesure d’environ
cinq sestiers » — XV, 31, Osanna filio David, «c’est-
à-dire fil de David, sauve nous». Kapitel X, 21, nach der
Übersetzung des 3. Gebots, « ramembre toy de saintifier le
jour du Sabbat », hält es Miélot für nötig, damit der Leser
an dem jüdischen Ausdruck Sabbat nicht Anstoss nimmt,
von sich aus hinzuzusetzen : « c’est le jour du saint dimanche
et des festes commandées ». An verschiedenen Stellen scheint
Miélot einen anderen als den uns vorliegenden lateinischen
Text übersetzt zu haben : IV, 17, «elle voua premièrement
virginité », was vovit statt novit voraussetzt; — VIII, 3,
« désiraient venir », was venire statt videre voraussetzt; —
XXI, 13, « controuveurs de nouvelles delices », was deliciarum
statt maliciarum voraussetzt; — XLII, 51, las Miélot
Croeso statt Cusi ; — IX, 86-98 : diese dreizehn Zeilen
standen in dem Text, der Miélot vorlag, bereits nach
IX, 10.
Um das Lesen der Übersetzung Miélots zu erleichtern,
schicken wir derselben ein Glossarium voraus. Bei jedem
darin angeführten Worte geben wir das in der heutigen
französischen Sprache entsprechende ; die römischen
Zahlen geben das Kapitel an, in dem das betreffende Wort
zum erstenmal vorkommt.
In der Übersetzung von Miélot sowie in den tituli der
Hs. 184 von S'-Omer, die wir ebenfalls abdrucken, kommt
die picardische Form des weiblichen Artikels, le statt la
(cf. Diez, Grammatik der romanischen Sprachen, Bd. II, p.
108) vereinzelt vor. Hätte Miélot in den meisten Fällen
oder doch häufig von dieser Form Gebrauch gemacht, so
hätten wir daà le statt la beibehalten. Da er aber diese
veraltete Form nur ausnahmsweise und willkürlich an-
wendet, so haben wir, um den Leser durch dieses weibliche
le nicht zu verwirren, durchgängig die neuere Form vor-
gezogen. Dieselbe Bemerkung gilt für die tituli der Hs.
184 von S'-Omer, wo wir als Beispiele des weiblichen le :
F. 17 r°, Eve et Adam le mort d’Abel — F0 19 v°, de piet
sec par le rouge mer hervorheben wollen.
 
Annotationen