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Vorwurf gewählt. Judas ist dargesteHt, der, von Gewissensbissen gepeinigt,
sich erhängt hat. Krähen oder Raben kommen heran und beäugein das
grausige neue Futter. Das Gemäide ist mit dem Namen des Künstiers unten
mitten versehen. Wie ich zur Kenntnis des Biides geiangt bin, wird weiter
unten erzähit.
Meine Erinnerungen beziehen sich auf die Zeit, ais Gabrie! Max leb-
haftest mit Spiritismus beschäftigt war, ais er seine Kindesmörderin und
seine ersten Affenbiider geschaffen hatte. Sogieich zu dieser letzterwähnten
satirischen Seite seiner Künstlertätigkeit steht die Mitteilung in Beziehung,
daß Max sein Gemälde „Schmerzvergessen" von 1869 nach einem inuus
nemestrinus gemalt hat, nach einem gescheiten Affen, den er lange Zeit bei
sich hatte, bis der Zögling der gewöhnlichen Todeskrankheit der Affen in
unserem Klima, der Lungenschwindsucht, erlegen war. In bezug auf das
berühmte Bild der Kindesmörderin sei erwähnt, daß G. Max als Model! für
das Kind drei Kindesleichen zur Verfügung hatte, die ihm Dr. Felix von
Luschan mit Karbolsäure und Glyzerin injiziert hatte. Das damalige weib-
liche Modell des Künstlers war gewöhnlich seine Schwägerin Helene A.
Kitzing, die oftmals in verklärter Wiedergabe auf den damaligen Bildern von
Gabriel Max zu sehen ist. Ich habe den Maler und seine Familie im Sommer
1879 in seiner Villa^ am Starnberger See kennengelernt und war dort
freundlichst aufgenommen. Irre ich nicht, so war Max durch eine Karte
Luschans (der Genannte, jetzt berühmter Leiter des Museums für Völker-
kunde in Berlin, war damals junger Doktor der gesamten Heilkunde, leiden-
schaftlicher Anthropolog und mit dem Maler innig befreundet) auf meinen
Besuch vorbereitet worden. Neben der Künstlergattin und den beiden
Schwägerinnen Frau Luise Max Ehrler und Fräulein Helene fand ich dort
auch den ältlichen Reichenberger Maler Müller und dessen Sohn, den
Schauspieler Wohlmuth (Max hatte dessen Talent früh erkannt) und Gabriels
Bruder Heinrich Max (das „Bärl" genannt). Der Tag in Amerland am Starn-
berger See war anregend genug, nicht zuletzt durch Gespräche mit Max
über spiritistische Versuche. Einer der Spiritisten war durch Max entlarvt
worden. Der Maler hatte, so erzählte er mir, dem Mann eine selbstleuch-
tende Blume hinten in den Rockkragen gesteckt. Während der spiritistischen
„Sitzung" konnte man nun gewahr werden, wie geschickt und lebhaft der
Gaukler im verfinsterten Gemach umherhuschte. Die Blume verriet durch
ihren Schein die Wege des Geisterbeschwörers. Eine schallende Ohrfeige
von Malershand brach plötzlich allen Geisterspuk ab und leitete in die
reale Wirklichkeit zurück. Man sprach bei Max viel über Psychologie, über
Kunst im weitesten Sinn des Wortes und besonders über Musik.
Nach einem erfrischenden Bad im See wurde noch bei Sonnenunter-
gang eine Kahnfahrt unternommen und abends mußte ich ans Klavier. Bach
und Schumann packten den Künstler weniger als Beethoven, dessen Musik
seine ganze mystische Phantasiewelt aufrüttelte. Max schien mir ein merk-
würdiges Mittelding zwischen Naturforscher und Mystiker zu sein. In
bezug auf seine Auffassung von Dichtung und Musik überraschte es mich,
seine Überzeugung zu vernehmen, als ob es zu einem Gedicht überhaupt
nur eine gültige Komposition geben könnte. Hätte z. B. Schubert die einzig
richtige Musik zu einem Gedicht gefunden, so könne kein zweiter, er sei
wer immer, eine weitere richtige Vertonung unternehmen. Das hing mit
Vorwurf gewählt. Judas ist dargesteHt, der, von Gewissensbissen gepeinigt,
sich erhängt hat. Krähen oder Raben kommen heran und beäugein das
grausige neue Futter. Das Gemäide ist mit dem Namen des Künstiers unten
mitten versehen. Wie ich zur Kenntnis des Biides geiangt bin, wird weiter
unten erzähit.
Meine Erinnerungen beziehen sich auf die Zeit, ais Gabrie! Max leb-
haftest mit Spiritismus beschäftigt war, ais er seine Kindesmörderin und
seine ersten Affenbiider geschaffen hatte. Sogieich zu dieser letzterwähnten
satirischen Seite seiner Künstlertätigkeit steht die Mitteilung in Beziehung,
daß Max sein Gemälde „Schmerzvergessen" von 1869 nach einem inuus
nemestrinus gemalt hat, nach einem gescheiten Affen, den er lange Zeit bei
sich hatte, bis der Zögling der gewöhnlichen Todeskrankheit der Affen in
unserem Klima, der Lungenschwindsucht, erlegen war. In bezug auf das
berühmte Bild der Kindesmörderin sei erwähnt, daß G. Max als Model! für
das Kind drei Kindesleichen zur Verfügung hatte, die ihm Dr. Felix von
Luschan mit Karbolsäure und Glyzerin injiziert hatte. Das damalige weib-
liche Modell des Künstlers war gewöhnlich seine Schwägerin Helene A.
Kitzing, die oftmals in verklärter Wiedergabe auf den damaligen Bildern von
Gabriel Max zu sehen ist. Ich habe den Maler und seine Familie im Sommer
1879 in seiner Villa^ am Starnberger See kennengelernt und war dort
freundlichst aufgenommen. Irre ich nicht, so war Max durch eine Karte
Luschans (der Genannte, jetzt berühmter Leiter des Museums für Völker-
kunde in Berlin, war damals junger Doktor der gesamten Heilkunde, leiden-
schaftlicher Anthropolog und mit dem Maler innig befreundet) auf meinen
Besuch vorbereitet worden. Neben der Künstlergattin und den beiden
Schwägerinnen Frau Luise Max Ehrler und Fräulein Helene fand ich dort
auch den ältlichen Reichenberger Maler Müller und dessen Sohn, den
Schauspieler Wohlmuth (Max hatte dessen Talent früh erkannt) und Gabriels
Bruder Heinrich Max (das „Bärl" genannt). Der Tag in Amerland am Starn-
berger See war anregend genug, nicht zuletzt durch Gespräche mit Max
über spiritistische Versuche. Einer der Spiritisten war durch Max entlarvt
worden. Der Maler hatte, so erzählte er mir, dem Mann eine selbstleuch-
tende Blume hinten in den Rockkragen gesteckt. Während der spiritistischen
„Sitzung" konnte man nun gewahr werden, wie geschickt und lebhaft der
Gaukler im verfinsterten Gemach umherhuschte. Die Blume verriet durch
ihren Schein die Wege des Geisterbeschwörers. Eine schallende Ohrfeige
von Malershand brach plötzlich allen Geisterspuk ab und leitete in die
reale Wirklichkeit zurück. Man sprach bei Max viel über Psychologie, über
Kunst im weitesten Sinn des Wortes und besonders über Musik.
Nach einem erfrischenden Bad im See wurde noch bei Sonnenunter-
gang eine Kahnfahrt unternommen und abends mußte ich ans Klavier. Bach
und Schumann packten den Künstler weniger als Beethoven, dessen Musik
seine ganze mystische Phantasiewelt aufrüttelte. Max schien mir ein merk-
würdiges Mittelding zwischen Naturforscher und Mystiker zu sein. In
bezug auf seine Auffassung von Dichtung und Musik überraschte es mich,
seine Überzeugung zu vernehmen, als ob es zu einem Gedicht überhaupt
nur eine gültige Komposition geben könnte. Hätte z. B. Schubert die einzig
richtige Musik zu einem Gedicht gefunden, so könne kein zweiter, er sei
wer immer, eine weitere richtige Vertonung unternehmen. Das hing mit