Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Steffen, ... [Hrsg.]; Lolling, Habbo G. [Hrsg.]
Karten von Mykenai (nebst einem Anhange Über die Kontoporeia und das mykenisch-korinthische Bergland) (Text): Erläuternder Text mit Übersichtskarte von Argolis — Berlin, 1884

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4897#0027

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
25 --------

Die Galerieanlagen der Mauern von Tiryns und Mykenai.

Die Sicherheit und Widerstandsfähigkeit der Festungsmauern des heroischen Zeitalters, welches
die principielle Anlage von Flankirungsbauten noch nicht kannte, hing vorzugsweise von der Höhe des
Mauerwerks ab.*)

Je höher aber die Mauer werden sollte, desto gröfser musste ihre Dicke sein, wie dies die Auf-
schichtung unbehauener Blöcke ohne Bindemittel bedingte. Im allgemeinen zeigt die Mauer von
Mykenai geringere Durchmesser als die von Tiryns. An denjenigen Stellen, welche noch so weit vor-
handen sind, dass man die innere und äufsere Begrenzungsfläche der Mauer genau nachweisen kann,
zeigt die Mykenische Ringmauer Durchmesser von ca. 3 bis 7 Metern. An anderen Stellen ist in Folge
starker Zerstörung diese innere Begrenzungsfläche nicht mehr vorhanden. Bei der Mehrzahl dieser
Stellen findet nach innen zu ein allmähliger Übergang zu kleineren Bausteinen statt; die Mauer zeigt
aber an diesen Stellen wesentlich gröfsere Stärken, welche bis zu ca. 14 Metern Durchmesser betragen.
Diese bedeutenden Tiefendimensionen überraschen um so mehr, als sie sich zum Theil auf der Ostfront,
also der Schlucht des Chonia-Baches zugewandt, befinden, wo doch die Gefahr des Erkletterns am
allerwenigsten vorlag, die Mauer also keine ihrer unverhältnissmäfsigen Dicke entsprechende Höhe zu
haben brauchte.

Die Lösung für diese scheinbar abnormen Mauerstärken giebt die Ringmauer von Tiryns.
Wäre die Tirynthische Ringmauer überall in gleicher Weise zerstört, wie die in Rede stehenden Theile
der Mykenischen, so würden sich auch hier Mauerstärken von sehr grofsem Unterschiede zeigen. An
einzelnen Stellen würde die Mauer im Allgemeinen eine ungefähre Dicke von 7 Metern haben; an
anderen Stellen aber würde auch die Tirynthische Mauer einen doppelt so grofsen Durchmesser zeigen.
Zum Glück ist an diesen letzteren Stellen die Ringmauer von Tiryns besser erhalten als die von Mykenai
und sie zeigt, dass an den besonders stark profilirten Mauerstücken sich eine Doppelmauer befand,
d. h. dass man hier zwischen einer niederen äufseren und einer höheren inneren Mauer unterscheiden
muss. Während die äufsere niedere Mauer vollkommen massiv aufgeschichtet ist, hat man die innere
höhere zur Aufnahme spitzbogenförmiger Längsgalerien hergerichtet. Diese haben entweder nur zur
gesicherten Aufnahme der Besatzung gedient, wie die beiden parallelen Längsgalerien an der Süd-
mauer, oder aber sie hatten zugleich eine offensive Aufgabe, wie die Galerie im südlichen Stück der
Ostmauer. Hier sind nämlich sechs spitzbogenförmige Nischen senkrecht zur Längsrichtung der Galerie
angebracht. Dieselben gestatteten, da die Bodenfläche der Galerie und der Nischen sich in gleichem
Niveau mit der Krone der äufseren Mauer befindet, aus der Hauptgalerie direct auf die Krone der
niederen Mauer zu treten. Die in dieser Galerie befindlichen Schleuderer, Bogenschützen und Steinwerfer
konnten somit jederzeit zum Gebrauche ihrer Fernwaffen auf die niedere Mauer hinaustreten, und ebenso
schnell wieder in die Deckung zurückgelangen. Die Tirynthischen Galerien dieser Art sind also ge-
wissermafsen die Kasematten des heroischen Festungsbaues gewesen.

Nach der Analogie der südlichen Ostmauer hat auch die südliche Westmauer von Tiryns einst
solche Galerien gehabt.

Betrachtet man nun im Hinblicke auf diese Verhältnisse der Tirynthischen Ringmauer die
Maueranlagen von Mykenai, so ist die Annahme berechtigt, dass auch bei letzteren an den stark pro-
filirten Stellen sich eine Doppelmauer befunden, und die innere derselben Längsgalerien enthalten hat.
Von diesem Gesichtspunkte aus wurde an den bezüglichen Stellen nach Galerien gesucht, und es
gelang der Aufnahme, nach Entfernung weniger Steinschichten, in der Nordmauer ein Stück einer
solchen Längsgalerie aufzufinden. Die westlich davon befindlichen gradlinigen Schichtungen des
Mauerwerks scheinen der Fortsetzung derselben Galerie angehört zu haben.

Ob dies eine Offensivgalerie gewesen, wie die bei Tiryns, ist nicht mehr zu erkennen, doch
scheinen die verhältnissmäfsig geringen Dimensionen und die tiefe Lage mehr für reine Schutzräume

*) Die gegenwärtige Höhe der Mauern von Tiryns und Mykenai ist auf dem Kartenblatt II. dadurch an den wesentlichsten
Stellen zum Ausdruck gebracht, dass die absolute Höhe des Mauerfufses und die des vertical darüber befindlichen obersten Mauerrandes
angegeben ist. Die Höhe der Mauer ist gleich der Differenz beider Zahlen.

4
 
Annotationen