Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Michelangelo; Steinmann, Ernst [Hrsg.]
Die Portraitdarstellungen des Michelangelo — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 3: Leipzig: Klinkhardt & Biermann, 1913

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.47056#0021
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
geglückten Sonett an den Künstler wandte, ihn bittend, einer schönen Frau durch
seinen Pinsel die Unsterblichkeit zu schenken. Antonio Tebaldeo ließ seine Geliebte durch
Ercole Grandi malen, Bernardo Tasso wandte sich an Tizian, Francesco Molza an Giulio
Romano0. Als Giovanni della Casa die gleiche Bitte an Michelangelo richtete hat er in
seine Verse die ganze Kraft seiner Beredsamkeit und die ganze Innigkeit seiner Dichter-
seele versenkt0. Aber auch er hat den »Schöpfer neuer Ewigkeiten« vergebens angefleht,
»ein einziges Mal nur mit seiner geniusgeweihten Hand, der hochherzig und unerschöpflich
spendenden, ein einziges Mal nur das schönste Frauenlächeln nachzubilden, das der Natur
noch je gelungen sei«0.
Wie hätte sich auch Michelangelo entschließen können, für andere der Liebe Glück
und Schmerz in Bildern festzuhalten, wo er für seine eigenen persönlichsten Empfin-
dungen den Ausdruck in Stein und Farben nie gefunden hat? Wird es uns nicht ewig ein
Geheimnis bleiben, warum es ihm nicht gelungen ist, die Züge derVittoria Colonna fest-
zuhalten? Warum diese Frau, die doch seine Dichterseele so mächtig erregte, dem Künstler
nicht den Pinsel oder Meißel in die Hände zwang, das was sein Herz bewegte und seinen
Geist erfüllte in einem Bilde gleichsam von sich abzustoßen?
Vielleicht wäre es geschehen, vielleicht hätte es geschehen müssen, wäre Michelangelo
nur ein Künstler und nicht auch ein Dichter gewesen. Aber die Phantasie des Dichters
beruhigte in ihm die Unruhe des Künstlers mit wundervollen Gleichnissen und beglücken-
den Verheißungen. Er griff zur F eder und ließ den Meißel liegen: »Wie mag es nur kommen,
Geliebte,« so fragt er sie und sich, »was doch jeder sieht und jeden die Erfahrung lehrt,
daß das Bildnis, das ein Künstler in den harten Stein gemeißelt hat, ihn selbst überdauert,
den die Jahre doch in Staub und Asche wandeln? Die Ursache muß der Wirkung weichen,
und die Natur sieht sich von der Kunst besiegt. Ich weiß es wohl, daß diesem Marmor,
den ich bilde, der Tod und die Zeit nicht feindlich sind wie mir. So kann ich uns beiden
wohl langes Leben leihen, sei es in Farben, sei es in Stein. Und tausend Jahre noch
nachdem wir tot sind wird man wissen, wie schön du warst, wie elend ich gewesen bin.
Doch wird man sehen, ich war kein Tor dich so zu lieben, wie ich dich liebte«0.
Noch bestimmter spricht der Dichter in einem Madrigal die Absicht aus, das Bild der
Vittoria Colonna in Marmor auszuhauen. Aber er klagt auch zugleich, daß es ihm nicht
gelingen wolle. »Jedesmal, wenn ich sie meißeln möchte,« so schreibt er, »so nehme ich
mich selber zum Modell. Und anstatt ihre Schönheit zu bilden, forme ich meine eigenen,
schmerzzerrissenen Züge. Nur ein Glücklicher vermag die Schönheit zu gestalten«0. Ja,
1) Arduino Colasanti, Sonetti inediti per Tiziano e per Michelangelo in der Nuova Antologia 1903 p. 279 und 285.
2) Abgedruckt unter den Dichtungen des Gandolfo Porrino bei Frey, Dichtungen p. 273. Daß dies Gedicht von Giovanni
della Casa stammt (Rime. Napoli 1733 p. 274) bezeugt Moreni a. a. O. p. 96. Vgl. auch Baldinucci, Notizie de’ professori
del disegno. Torino 1813 ed. Piacenza. Vol. III p. 98. Hier und anderswo wird auch das heute unauffindbare Porträt
des Cremonesers Faerno für Michelangelo in Anspruch genommen, das sich einst in den Capitolinischen Sammlungen befand.
3) »Che la tua sacra man larga e pietosa di quella bella immago adorni il mondo.«
4) Frey, Dichtungen 194 CIX, 92. Guasti Rime p. 175. Das Büstenpaar, das Michelangelo dann — gleichsam das
Pfand dieses Versprechens einlösend — von sich selbst und von Vittoria Colonna ausgeführt hatte, wurde im Jahre 1874
in Florenz entdeckt! Aber die Entdeckung muß schon damals Mißtrauen erregt haben, denn niemals ist von ihr in
der Michelangelo-Literatur wieder die Rede. Das männliche Porträt scheint allerdings Michelangelo darzustellen und darf
als Beispiel dafür dienen, wie die Barockkunst das Bild des Meisters gestaltet hat. Vgl. Dom. Rembadi, Sullascoperta di
due busti in terracotta, rappresentanti l’uno Michelangelo Buonarroti e l’altro Vittoria Colonna. Firenze 1874 und Ottavio
Andreucci, Sulla scoperta di due busti in terracotta e di un quadro a tempera. Firenze 1875 p. 26.
5) Frey, Dichtungen 159. CIX, 53; 191. CIX, 89. Guasti, Rime 34 und 35.

4
 
Annotationen