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Vöge, Wilhelm
Die Anfänge des monumentalen Stiles im Mittelalter: eine Untersuchung über die erste Blütezeit französischer Plastik — Heitz, 1894

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https://doi.org/10.11588/diglit.31188#0039

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Meinung entstehen konnte. Der Grund liegt in dem
freien und malerischen Stile der authentischen Portraits
der Karolinger. Neben den Portraitdarstellungen in den
Handschriften Karls des Kahlen oder Lothars mit der
Breite und Weichheit ihrer Modellierung mussten sich
diese Säulenslatuen allerdings wie die Vertreter einer
älteren Generation ausnehmen. 1
In ihrer ganzen Länge mit dem Säulenschafte2 ver-
wachsen, schweben diese Figuren, auf gebrechlichen Kon-
solen fussend, zwischen Erde und Himmel. Seihst säu-
lenhaft, die Schultern schmal, brustlos die Frauen wie
die Männer, die Gliedmassen unter dem Fallenwerk der
Gewänder verborgen, nur mit den Unterarmen agierend,
den Kopf hoch, das Kinn angezogen, so erscheinen sie
wie Wesen einer anderen Welt, einer offenbar unvoll-
kommneren, wenn auch nicht gesetzlosen. Was diesen Ein-
druck noch steigert : sie sind ohne lebendige Beziehung
zum Beschauer und zu einander. Keine Hand streckt
sich vor, kein Gesicht wendet sich zur Seite, kein Attri-
but verrät ein persönliches Erlebnis; ein Scepter, einen

1 Merkwürdig', dass die alte These noch lieuts ihre Beweiskraft
nicht verloren hat; Hermann Weiss versucht noch in der zweiten
Auflage seiner Kostümkunde, diese Figuren für die Schilderung
merowingischer Tracht heranzuzichen; auch herrscht noch hier und
da die Tendenz, diese Figuren zurückzudatieren. Buhot de Kersers
möchte die verwandten Statuen ven Bourges in das 9. oder 10. Jahr-
hundert hinaufrücken!
2 Man vgl. zum folgenden die gute Charakteristik Lübke’s in
dessen „Plastik“, Bd. I3. S. 426. Ich habe allerdings nicht den Ein-
druck von „kommandierten Dienern“, die Figuren sind feierlich und
majestätisch, wie das auch von Viollet-le-Duc, von Itigollot (Histoire
des arts du dessin. Paris 1863, Bd. II, S. 74 ff.) und anderen ist
betont worden; auch kann man nicht von einer gesenkten Kopf-
haltung sprechen, das Kinn ist angezogen. Man hat geradezu eine
eigene Terminologie erfunden, um diesem Stile gerecht zu werden.
Pottier sprach von colonnes habillees, Langlois von draperies en
bottes d’asperges, Viollet-le-Duc nannte sie „emmaillottees dans leurs
vetements comme des momies dans leurs bandelettes“ iD. A., Bd. VIII,
S. 118), an anderer Stelle spricht er von den „plis en tuyaux
d’orgues“, etc.
 
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