in einem seiner Briefe beschrieben hat: »ein sehr eleganter Herr, comme il faut, klein,
feingebaut; die Kunst, Cigarette, Ulmer Dogge und last not least >Daniela< seine Leiden-
schaften«8. Die meisten der Jüngeren (darunter der später als Botticelli- und Piero-di-
Cosimo-Forscher bekanntgewordene Hermann Ullman) sind, mit Jean Paul zu reden,
»ohne Accent«. In zweien aber erkennt man die Zeichen der Genialität sowohl als der
Tragik. Der eine ist Warburg, saturnisch-dunkel, aber scharf und aktiv, der Welt gehar-
nischt gegenübertretend und nur von seinem eigenen Dämon bedroht — der andere Vöge,
apollinisch-licht, aber versonnen und verwundbar, mit dichterisch emporgerichtetem Blick
der Welt sich entziehend.
Einen Tag nach seinem zwanzigsten Geburtstag, am 17. Februar 1888, teilte Vöge seiner
Familie mit, daß er »unter keinen Umständen« die »sehr bequeme und wenig aufreibende
Gymnasiallaufbahn« einschlagen werde: es stand ihm fest, daß er nur als Kunsthistoriker
leben könne, und er scheint schon damals intensiv an seiner Doktordissertation gearbeitet
zu haben. Im Herbst desselben Jahres nämlich finden wir ihn — zusammen mit Clemen —
in Mtinchen, wo sich »das Material auf der Hof- und Staatsbibliothek aufs gliicklichste
für seine Zwecke anläßt«9 (gemeint sind natiirlich vor allem die drei Handschriften
Cim. 57, 58 und 59, von denen die zweite, das beriihmte »Evangeliar Ottos III.«, recht
eigentlich im Zentrum seiner Doktorarbeit steht),und wo er bis zum Sommeri889 verbleibt.
Die Arbeit wurde im Friihjahr 1890 abgeschlossen, aber nicht in Miinchen oder Bonn,
sondern in Straßburg unter Hubert Janitschek, bei dem Vöge am 21. Februar des nächsten
Jahres die miindliche Doktorprüfung bestand. Wann er den Entschluß gefaßt hat, in
Straßburg zu promovieren, und ob er beide oder nur das zweite Semester des Jahres
1889—1890 dort studierte, ist nicht mehr festzustellen. Wir wissen nur, daß er Aby
Warburg wiedersah, mit dem Ägyptologen Wilhelm Spiegelberg Freundschaft schloß
und von dem examinierenden Ordinarius scharf angefaßt wurde: »Die Dozenten sind
außerordentlich liebenswürdig, das Ganze verläuft sehr angenehm. Allerdings hat mich
Janitschek wüst ausgefragt, hauptsächlich Architektur10.«
Vöges Dissertation, Eine deutsche Malerschule um die Wende des ersten Jahrtausends
(1891 gedruckt), war von den Referenten als libellus ampla eruditione et ingenii acumine
conspicuus bezeichnet worden. Sie ist aber mehr als das. Dieser »libellus« — ein Band
von beinahe vierhundert Seiten, der von den Spezialisten noch heute als »grundlegend«
und »durchdringend« zitiert wird — ist nicht nur ein Musterbeispiel der Akribie, der Stil-
kritik, der historischen und ikonographischen Analyse (die Fußnote über den Faltstuhl
auf S. 18 ff. ist legendär geworden), des Eindringens in die Beziehung zwischen Text und
Bild auf der einen Seite und in die Phänomene der Typenübertragung und Motivanglei-
chung auf der andern* 11: er erreicht auch, um Vöges eigene Worte zu gebrauchen, eine
»höhere Stufe der Arbeitstechnik«, die »nicht vom Ort, sondern vom Material ausgeht«
und »auch für diese Friihkunst eine eigentliche Kennerschaft ausbildet«12.
8 Brief vom 14. Mai 1887.
9 Brief vom 6. November 1888.
10 Brief vom 22. April 1891.
11 Eme deutsche Malerschule, S. 241, 333.
12 Ihidem, S. 2 ff.
XIII
feingebaut; die Kunst, Cigarette, Ulmer Dogge und last not least >Daniela< seine Leiden-
schaften«8. Die meisten der Jüngeren (darunter der später als Botticelli- und Piero-di-
Cosimo-Forscher bekanntgewordene Hermann Ullman) sind, mit Jean Paul zu reden,
»ohne Accent«. In zweien aber erkennt man die Zeichen der Genialität sowohl als der
Tragik. Der eine ist Warburg, saturnisch-dunkel, aber scharf und aktiv, der Welt gehar-
nischt gegenübertretend und nur von seinem eigenen Dämon bedroht — der andere Vöge,
apollinisch-licht, aber versonnen und verwundbar, mit dichterisch emporgerichtetem Blick
der Welt sich entziehend.
Einen Tag nach seinem zwanzigsten Geburtstag, am 17. Februar 1888, teilte Vöge seiner
Familie mit, daß er »unter keinen Umständen« die »sehr bequeme und wenig aufreibende
Gymnasiallaufbahn« einschlagen werde: es stand ihm fest, daß er nur als Kunsthistoriker
leben könne, und er scheint schon damals intensiv an seiner Doktordissertation gearbeitet
zu haben. Im Herbst desselben Jahres nämlich finden wir ihn — zusammen mit Clemen —
in Mtinchen, wo sich »das Material auf der Hof- und Staatsbibliothek aufs gliicklichste
für seine Zwecke anläßt«9 (gemeint sind natiirlich vor allem die drei Handschriften
Cim. 57, 58 und 59, von denen die zweite, das beriihmte »Evangeliar Ottos III.«, recht
eigentlich im Zentrum seiner Doktorarbeit steht),und wo er bis zum Sommeri889 verbleibt.
Die Arbeit wurde im Friihjahr 1890 abgeschlossen, aber nicht in Miinchen oder Bonn,
sondern in Straßburg unter Hubert Janitschek, bei dem Vöge am 21. Februar des nächsten
Jahres die miindliche Doktorprüfung bestand. Wann er den Entschluß gefaßt hat, in
Straßburg zu promovieren, und ob er beide oder nur das zweite Semester des Jahres
1889—1890 dort studierte, ist nicht mehr festzustellen. Wir wissen nur, daß er Aby
Warburg wiedersah, mit dem Ägyptologen Wilhelm Spiegelberg Freundschaft schloß
und von dem examinierenden Ordinarius scharf angefaßt wurde: »Die Dozenten sind
außerordentlich liebenswürdig, das Ganze verläuft sehr angenehm. Allerdings hat mich
Janitschek wüst ausgefragt, hauptsächlich Architektur10.«
Vöges Dissertation, Eine deutsche Malerschule um die Wende des ersten Jahrtausends
(1891 gedruckt), war von den Referenten als libellus ampla eruditione et ingenii acumine
conspicuus bezeichnet worden. Sie ist aber mehr als das. Dieser »libellus« — ein Band
von beinahe vierhundert Seiten, der von den Spezialisten noch heute als »grundlegend«
und »durchdringend« zitiert wird — ist nicht nur ein Musterbeispiel der Akribie, der Stil-
kritik, der historischen und ikonographischen Analyse (die Fußnote über den Faltstuhl
auf S. 18 ff. ist legendär geworden), des Eindringens in die Beziehung zwischen Text und
Bild auf der einen Seite und in die Phänomene der Typenübertragung und Motivanglei-
chung auf der andern* 11: er erreicht auch, um Vöges eigene Worte zu gebrauchen, eine
»höhere Stufe der Arbeitstechnik«, die »nicht vom Ort, sondern vom Material ausgeht«
und »auch für diese Friihkunst eine eigentliche Kennerschaft ausbildet«12.
8 Brief vom 14. Mai 1887.
9 Brief vom 6. November 1888.
10 Brief vom 22. April 1891.
11 Eme deutsche Malerschule, S. 241, 333.
12 Ihidem, S. 2 ff.
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