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Vöge, Wilhelm; Panofsky, Erwin [Bearb.]
Bildhauer des Mittelalters: gesammelte Studien — Berlin, 1958

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https://doi.org/10.11588/diglit.31190#0018
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Zum ersten Male wurde eine große Anzahl wichtiger, bisher noch unverbundener Hand-
schriften zu einer »Schule« zusammengefaßt, und demgegenüber ist es von sekundärer
Bedeutung, wenn sich das Zentrum dieser lange als »die Vögesche Malerschule« bezeich-
neten Werkstattgruppe, das er selbst zuerst in Köln und dann in Trier zu suchen geneigt
war, zehn Jahre später nach der Reichenau verschieben sollte. Zum ersten Male gelang es,
»ein Bild des Lebens und Arbeitens« einer solchen Schule zu gewinnen und, insbeson-
dere, den Nachweis zu führen, daß die Familienähnlichkeit der einzelnen Manuskripte
meist nicht in einer direkten Beziehung »zwischen Handschrift und Handschrift«, sondern
in dem Vorhandensein eines »der Oberlieferung dienenden Vorbilder- und Skizzen-
materials« begründet ist (»es gab Malerbücher«, lautet der lapidare Schlußsatz des
»libellus«). Zum ersten Male — und das erscheint heute, nach mehr als zwei Menschen-
altern, als das bedeutsamste — ergab sich aus der geduldigen Erforschung von »oft nur
winzig kleinen Problemen und Aufgaben«13 eine klare Erkenntnis der »Ottonischen
Kunstperiode als eines Phänomenes sui generis und sui juris; und, insbesondere, eine
endgültigeDefinitionihres Malstils im Gegensatz zu dem der romanischen und gotischen
Zeit: »Der Kontur scheidet nur (die farbigen Teile unter einander), er umgiebt nicht. So
finden wir denn auch die Gewänder noch ganz und garnicht von schwarzen Konturen um-
laufen, wie sie regelmäßig in der Buchmalerei des hohen Mittelalters erscheinen; nur da,
wo das Gewand mit den in Deckfarben ausgeführten nackten Teilen zusammentrifft
(Hals- und Ärmelausschnitt, und da, wo die Füße aus dem Gewand heraustreten), tritt
derselbe ein14.« Besser kann man es nicht ausdrücken, und besser ist es bis heute nicht
ausgedrückt worden.

WANDERJAHRE (FRANKREICH UND ITALIEN)

Mit dem Erscheinen seiner Dissertation, deren sachliche Bedeutung und sprachliche Ori-
ginalität sofort anerkannt wurden, hatte sich der dreiundzwanzigjährige Vöge als ein
Meister der Handschriftenkunde bewiesen; und da das Vorwort »eine Reihe weiterer
Abhandlungen zur Kunstgeschichte des 10. Jahrhunderts« ankündigte, wird man erwartet
haben, daß seine Tätigkeit sich lange Zeit auf das Gebiet seiner Erstlingsarbeit beschrän-
ken werde. Dies war aber nicht der Fall. Mit Ausnahme einiger kürzerer Artikel und
Besprechungen, die mehr als addenda et corrigenda denn als neue Anläufe zu betrachten
sind, ist er nie wieder auf die vorromanische Buchmalerei zurückgekommen. Seine weitere
Arbeit war im wesentlichen dem Studium der hoch- und spätmittelalterlichen Plastik
geweiht, und man darf vermuten, daß diese Neuorientierung unmittelbar mit den in
Straßburg empfangenen Eindrücken zusammenhängt. Weder in Leipzig noch in Bonn
oder München hatte er Gelegenheit gehabt, wirklich bedeutende nachklassische Skulptur
zu sehen. In Straßburg aber stellte ihm das Münster allein — von andern Bauten, Samm-
lungen und der Umgebung ganz zu schweigen — die Entfaltung der mittelalterlichen

13 Ibidem,S.y.

14 lbidem, S.162 (Sperrdruck in Vöges Text).

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