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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (4) — 1922 (September bis Dezember)

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Nr. 203 - Nr. 210 (1. September - 9. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.48724#0015

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Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppinger», Ebsrbach, Mosbach, Buchen,
Adelsheim, Borrberg, Tauberbischofsheim und Wertheim* '

Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 90.— Ml., Anzeigenpreiser
Die einspaltige Petitzelle (36 mrn breit) 6.— Ml., Reklame-Anzeigen
w8mm breit) IS.— Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Geheimmittelanzergen werden nicht ausgenommen.
Eeschästsstunden:8—-l/ztz Uhr. SprechstundenderRedaktion: 11—12Ahr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22S77. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.

Heidelberg, Montag, 4. September 1922
Nr.20S * 4. Jahrgang

Verantwort!.: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft u. Feuilleton:
Dr. E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales:
O.Geibel; für dis Anzeigen: A. Friedmann, sämtl. in Heidelberg.
Druck u. Verlag der Unterbadischen Berlagsanstalt G. m. b. H-, Hsidelbsr g.
Geschäftsstelle: Schroderstraße 39.
Fernsprecher: Änzeigen-Annahms 2873, Redaktion 2343.

Ein Jahr Parteiarbeit.
Bericht des Parteivvrstandes an den Parteitag.
V«l stärkere Mitarbeit am poKtisch-en Leben als in früherer
Veit erfordert Heute unsere schnellbeweMche Zeit von den polit-i-
Wew Körperschaften. Der umfansveiche Bericht der Reichstags-
fraktion an Den Parteitag logt Zeugnis ab von der ungeheuren so-
zialdemokratischen Tätigkeit auf dem Gebiet Der Gesetzgebung. In
engem Zusammenhänge mit dieser Tätigkeit steht die Arbeit des
Partelivorslandes, der in seine»: Bericht an den Parteitag -gewft-
s er masten die Kristallisation politischer, agitatorischer und organisa-
torischer Parteiarbeit widerspiegelt. Hinter Diesem lurzgedrängten
Bericht verbirgt sich mehr körperliche Arbeit als der Außenstehende
erkennet: kann. Die politischen Ereignisse werden im allgemeinen
Bericht des Vorstandes nur in großen Zügen erwähnt, wievicl Be-
ratungen, Konferenzen und Sitzungen aber mögen notwendig sein,
nm in der für die junge deutsche Republik immer noch stürmischen
Zeit ihr tzelfend und richtunggebend zur Seite zu stehen. Die Tren-
nung wertvoller Gebiete Oberschlesiens und starker Gruppe:: des
deutschen Volkes Mts der deutschen Staatsgemeinschaft, Die Ver-
handlungen von Cannes und Genua, die Morde an Erzbevger und
Nathenlaln, die gewissennlose Agitation der Rechtsputschisten, der
Konflikt mit Bayern, die Fragen Der Reparation, der Teuerung und
Währung brauchen nur erwähnt'M werden, um im Geiste zu reka-
pitulieren, in Wie hohem Maße gerade unsere Partei, die stärkste
Politische Partei in Deutschland, mit diesen Fragen sich beschäftigen
mußte. Für die Erhaltung der Republik besorgt, erwuchs ihr dis
Aufgabe, tatkräftig in die Geschicke der deutschen Politik mit ein-
zugreifen. Der ParleivorstauD war dabei in hohen: Maße beteiligt.
Unsere Agitation wurde im Berichtsjahre durch die wirtschaft-
liche Bedrückung Des Volkes, dstrch die ungeheuere Teuerung sehr
erschwert. Der Bericht des Vorstandes führt mit Recht Ms Diese
Umstände den geringfügigen Rückgang in der Mitgkiederzahl zu-
rück, Der nach den günstigen Entwicklnngsjahren zu verzeichnen ist.
Die Zahl der Mitglieder sank gegen Das Vorjahr um 46 854. Sticht
alle . Bezirke batten Rückgänge; 12 Bezirke hatten Zunahmen; die
Abnahme betrug noch nicht sauft 4 Prozent. Unsere Partei ist aber
immer noch Die Millionenpartsi, 1174 105 Mitglieder zählte sie am
Schlüsse des Berichtsjahres, darunter 184 099 weibliche. Die Zahl
der Ortsvereinc vermehrte sich sogar um 46 gegenüber Dem Vor-
jahre; sie betrug am JahreSMusz 9678. Die Agitation war im be-
schien Gebiet, im Saarrevier und in Oberschlesien durch Die Zen-
sur der BesatzungsbchörDen besonders erschwert. Alle Diese poli-
tischen und wirtschaftlichen Widerstände behindern die Werbearbeit
der Partei. Dazu kommt, wie Der Bericht sagt, das; der politische
Kurzsichtige vielfach der Partei das -entgelten läßt, was die politisch
abnormen Zustände verschulden. Von unserer Partei wird ver-
langt, daß eine soziale Hebung Der Arbeiterklasse sofort erfolgen
soll. Alle Sünden einer früheren Zeit werden auf sie abgewälzt.
Verkannt wird dabei vielfach, daß unsere Partei hierbei mit star-
ken -Gegenkräften zu rechnen hat und daß es nicht in ihrer Macht
liegt, diese im Wirtschaftlichei: Leben in: Handumdrehen zu beseiti-
gen. Die Parteibeiträge werden in einzelnen Familie:: als lästig
empfunden, ohne oft dabei zu bedenken, daß diese Sparsamkeit am
falschen Objekte geübt wird und eine kleine Einschränkung an an-
deren Ausgaben besser am Platze wäre.
Mit diesen Schwierigkeiten bat auch unsere Parteipresse zu
tänkpfen. Die fabelhaft gestiegenen Papierpreise erfordern fortge-
setzte Erhöhungen des Mbounementspretses. Em Rückgang der
Abonneinentszisfer ist die Folge. Hunderte von Zeitungen mußten
im Laufe der Zeit ihr Erscheinen einstellen; auch einige Parteizei-
tungen mußten ihre» Betrieb schließen.
Der Frauenbewegung wurde besondere Aufmerksamkeit zu.ge-
wendet. Schon aus Den beiden letzten Parteitagei: war ein Rück-
gang in der Zahl Der weiblichen Mitglieder zu verzeichnen. Par-
teivorstauD, Parteiausschuß und eine Konferenz der Führerinnen
in Der Frauenbewegung beschäftigte diese Frage eingehend. Die
Beratungen führten zu Beschlüssen, die eine Belebung der Frasteu-
agitation erhofft» lassen. Die Berichte «ins den einzelnen Bezirken
zeigen, daß überall fleißig Aufklärungs- und Orgaittfatioilsarbeit
geleistet wird. — Von der ArbeiterwohMhrt wurden gute Fort-
schritte berichtet.
Erfreuliches zeigt unsere Slrbeiteritigendbesvegung. Ein über-
aus reges und wirksames Leben! Der Verband zählte in 1305
Ortsgruppen rund 85 000 Mitglieder. Das Berbaudsorgan, „Die
Arvsilerjngend", das am Jahresanfang 56 000 Bezieher hatte,
tonnte seine Auslageziffer auf 75 000 im Laufe des Berichtsjahres
steigern. Die Unterhaltungsäbeud- und Bilduugsveranstattuwgcn
Waren Durchweg sehr gut besucht, der zweite Arbeiterjugendtag in
Bielefeld gestaltete sich zu einer machtvollen Kundgebung, die die
innere und äußere Kraft der Jugendbewegung offenbarte. Auch
die Bilduugsarüeit im allgemeinen erfuhr gute Forderung, wie der
Bericht des ZcutralbildungsauZschusses und zeigt, wenn auch eine
planmäßige, intensive Bildungsarbeit infolge der politisch und
wirtschaftlich -unruhigen Zeit nicht recht entsetzen konnte. Au eine
Parteischule, wie wir sie früher Hatto», ist natürlich gar nicht zu
denken, die Volkshochschule tu Schloß Tinz bei Gera bot insofern
Ersatz, als einem sehr kleinen Kreis unserer -Genossen die Möglich-
keit einer wissenschaftlichen Ausbildung geboten wurde.
Die Internationale entfaltete eine außerordentlich intensive
Tätigkeit. Der Gedanke der Zusammenarbeit mit der Wiener Ar-
beitsgemeinfchast wurde unausgesetzt gefördert. Auch die. Frage
der Bildung einer Einheitssrout beschäftigte sie rege. Die Kom-
munisten, waren bekanntlich auf Das taktische Manöver verfallen,
diesen Raff nach der Einheitsfront m die Welt zu senden. Die Wie-
ner Arbeitsgemeinschaft glaubte wohl an den guten Willen der
Moskauer, mutzte aber bald auch die Erfahrung machen, daß mit
diesen Politisch unzuverlässigen Kantonästen eine wirtliche Einheits-
front nicht hergestellt werden kann. Die guten iulcrnatiorralen
Beziehungen, die jetzt Wieder mit säst allen europäischen Pariere»

bestehen, sind in Dem Bericht eingehend 'gewürdigt. Die Fnterna-
tiowale wirkt für ihren Teil sehr stark daran, die »»würdigen poli-
tischen Verhältnisse der Nationen wieder für die Arbeiterklasse er-
träglich zu gestalten. Wünschen wir ihren bisher sichtbaren Erfolgen
für die nächste Zukunft noch weitere Erfolge.
WÄlch überaus reges politisches Leben in unserer Partei
herrscht, zeigen die überaus zahlreichen Anträge, die zum diesjäh-
rigen Parteitag gestellt sind. Das Streben nach der Medervep-
einigung beider sozialistischer Parteien ist auf beiden Seiten vor-
handen, diverse Anträge zum Parteitag Sekunden das noch beson-
ders. Endgültige Beschlüsse sollen die beiden Parteitage fassen.
Es ist kaum daran zu zweifeln, da-tz sie im iSnne der baldigen Ver-
einigung aüsfallen werden, da Masten und Führer sich Darüber
einig sind, daß Die organisatorische Zersplitterung der Arbeiterklasse
nur den Reaktionären dienstbar ist. Die taktischen Meimrngsver-
schiedsnheiten in der politischen Auffassung beider Parteien sind
durch die Zeitumstände abgeschlifsen; alle Vorbedingungen für di«
Einigung sind gegeben. Nur eine Gruppe Proletarier steht noch
unter dem Einfluß kommunistischer Tiraden. Bleibt erst der rus-
sisch« Rubel für die deutschen Kommunisten aus, WM Moskau die
Erfolglosigkeit der kommunistischen Bewegung in der deutschen Fi-
liale einseben muß, dann werden die Linksbolschewisten hier zu
Lande auch bald am Ende ihres Lateins sein. So bietet wenig-
stens die sozialistische Arbeiterbewegung in Deutschland ein hosf-
nuwgsfr-ohes Bild für die nächste Zukunft. Unter dem Zeichen der
proletarischen Einigung steht unser Parteitag. Möge er gute Ar-
beit leisten, im Interesse des arbeitenden Volkes.
Die deutsch-belgischen Verhand-
lungen.
Beginn am Dienstag. — Schroeders Bericht. — Die
Instruktionen der Belgier.
Berlin, 2. Sept. In der Reichskanzlei fand heute vormittag
eine Chefbesprechung statt über die Reparationssrage. Der aus
Paris zurückgekchrte Staatssekretär Schroeder erstattete Bericht
über die Verhandlungen mit der Reparationskommission. Aus der
Regierung zugekommenen Nachrichten ist bekannt geworden, datz
die Vertreter der belgischen Regierung Delacroix und Bemel -
n: ans zu Anfang der nächsten Woche in Berlin eintreffen, um die
Verhandlungen mit der Reichsrrgierung wegen der äuszustellenden
Schatzwechsel aufzunehmen.
Die in Aussicht genommene Fortsetzung der Besprechung mit
den Parteiführern wird ebenfalls zu Anfang der nächsten
Woche stattfinden.
Paris, 2. Sept. Dienstag beginnen die Verhandlungen
zwischen den deutschen und belgischen Unterhändlern über die wegen
der Schatzwechsel noch zu vereinbarenden Einzelheiten und Sicher-
heiteu. Die belgischen Vertreter Delacroix und Bemelman reisen
morgen von Paris ab und werden Montag bereits in Berlin ver-
handeln. Die Einzelheiten der Verhandlungen wurden bereits
zwischen den beiden Delegierten und Staatssekretär a. D. Berg-
mann in Paris besprochen. Die Belgier haben von ihrer Regie-
rung alle Vollmachten, Haven aber darum ersucht, einige Finanz-
sachverständige zu delegieren.
Ministerpräsident Theunis empfing gestern »ach einer
Audienz beim König die Vertreter der Presse und äußerte ihnen
gegenüber, daß er zuversichtlich hoffe, daß die Verhandlungen in
Berlin zu einem ersprießlichen Erfolg führen werden.
Brüssel, 2. Sept. Nach einer Meldung der Agence Bclge
Wird die vorgestern von der ReParaUonskommission einstimmig
getroffene Entscheidung in Belgien im allgemeinen mit deutlicher
Genugtuung begrüßt. Nur in gewissen Kreisen scheint man zu
glauben, daß Belgien die Kosten der Lösung zu tragen haben werde.
Man erklärt in diesen Kreisen, daß bis zum Ende des Jahres Bel-
gier: keinerlei tatsächliche Zahlung erhalten würde, und daß es ihr»
unmöglich sein werde, sich hinsichtlich der Pfänder, durch die die
Schatzscheine zu garantieren sind, mit den Deutschen zu verständigen.
Demgegenüber werde aber betont, daß alle Vorsichtsmaß-
re g e l n g et r o s f e n seien. Die Rote der Reparattonskommisstorr
enthalte folgenden Satz: „Diese Schatzscheine werden durch ein
Golddepot in einer Belgien genehmen auswärtiger: Bank sicher-
gestellt." Es verlaute, daß der Ministerpräsident Theunis schon
Delacroix, Bemelman und den Bankier, die zusammen nach Berlin
reisen werden, angewiesen habe, in Ermangelung von Golddepots
gute Bürgschaften anzunehmciy die eine leichte Diskontierung der
deutschen Schatzscheine ermöglichen.
Ni üstcrvräsident Th eunis hatte, United Telegraph zufolge,
eine ti »gere Besprechung mit dem Außenminister Ja spar, in der
die Frage der Garantien, die von Deutschland gefordert werden
sollen, eingehend erörtert wurde. Im Anschluß daran fand eine
Konferenz im Finanzministerium statt, an der Jafpar teilnahm.
Das Finanzministerium ist beauftragt worben, bis Montag ein
Expose sertigzustellen, das Die Grundlagen für die Verhandlun-
gen Delacroix mit dem Kabinett Wirth bilden soll. Nach den In-
formationen der Presse ist die belgische Regierung entschlossen, dem
deurfchen Standpunkt bis zur äußersten Grenze entgegenzukommrn
und die Verhandlungen nicht dadurch zu erschweren, daß Bedingun-
gen gestellt werden, die Deutschland nicht akzeptieren kann. Trotz-
dem Belgien formell volle Verhagdlungssreiheit hinsichtlich der
Berliner Verhandlungen besitzt, bleibt die belgische Regierung in
enger Fühlung mit Downing Street und dem Quai d'Orsay. So-
bald sich die belgische Regierung darüber schlüssig geworden ist,
welche Garantien sie von der deutschen Regierung verlangen will,
werden Paris und London von dem Inhalt der belgischen Vor-
schläge Kenntnis nehmen und sich zu diesen äußern. Von der
Stellungnahme, die England und Frankreich zu diesen Vorschlägen
einnelhmen, wird cs abhängen, ob diese vor ihrer irebermittlung
an die belgischen Unterhändter rwch eine Abänderung erfahren.

In der Londoner City herrscht die Ueverzengung, dass man in
Berlin zn einer Verständigung gelangen wird, ohne daß die vom
Kabinett Wirth als unmöglich bezeichnete Deponierung von Reichs-
bankgold tm Auslände gefordert werden braucht.
Frankreichs Antwort auf die englische
Kriegsfchuldennote.
Die Notwendigkeit einer neuen Konferenz.
Par 1 s, 3. Sept. Poincare betont in der soeben abgegangenett
Antwort aus die englische Balfournote, daß das Kriegsschuldenpro-
blem keine endgültige Lösung finden könne, wenn es nicht in irgend
einer Form mit deut Reparationsproblem verknüpft WM. Diese
Frage müsse baldigst nach jeder Seite hin durch eine Konferenz
geprüft werden, zu der alle beteiligten alliierten Staaten ohne
Ausnahme berufen würden. Es heißt dann tu der Note u. a.:
Es kann für Frankreich nicht die Rede davon sein, irgendeine
Regelung der Schulden, die es während des Krieges einging, in
Erwägung zu ziehen, so lange die Ausgaben, die es vorgenommen
hat und die es noch vornehmen mutz für den Wiederaufbau seiner
verwüsteten Gebiete, nicht durch Deutschland direkt oder durch eine
Kombination gedeckt find, die es gestatten würde, baldigst
einen genügenden Teil der Forderung zu mobilisieren. Sobald
Deutschland einmal dieser Verpflichtung nachgekommen ist, die vor
allen anderen den Vortritt Haven mutz, würde die französische Re-
gierung reinen Widerspruch dagegen erheben, datz man eine allge-
meine Regelung der interalliierten Schulden in Erwägung zieht.

Der Kampf gegen die Teuerung.
Die gewerkschaftlichen Sviyeuorganisaiiouen haben am Frei-
tag zu den bisherigen Maßnahmen der Reichsregierung gegen di«
Teuerung Stellung genommen. Soweit die weiteren Pläne der
Rcichsregieruttg bekannt sind, werden sie von den Gewerkschaften
als vollkommen ungenügend erachtet Dis Spitzen-
organisatwuen haben deshalb in einen: Telegramm an den Reichs-
kanzler nm sofortige neue Verhandlungen mit der Reichsregierung
gebeten:
Hierzu schreibt der „Soz. Parlamentsdienst":
Die Reichsregierung war auf dem besten Wege, gegen Teuerung
und Wucher vorzugehen. Ihre angclünvigten Maßnahmen haben
bei den breiten Volksmassen größte Sympathie gefunden, aber lei-
der blieb es bisher nu r b e i d em A n s a ng. Die Veröffentlichung
einer Verordnung über die Beschränkung der Einfuhr, die übrigens
äußerst unzulänglich erscheint, und die Ausarbeitung einer Ver-
ordnung über die Erhöhung der AusfuhraSgabcn, von der man sich
ebenfalls nicht viel versprechen soll - das sind bis jetzt die ein-
zigen Maßnahmen —, können den Hunger des darbenden Volkes
nicht stillen. Wir verkennen keinesfalls, daß die Reichsregierung
i» den letzten Tagen durch die schwebenden Reparationsverhand-
lungcn außerordentlich stark in Anspruch genommen war, aber
wir Haven kein Verständnis dafür, datz das unbe-
dingt auf Kostender arbeitenden Schichte» geschehen
mußte. Inzwischen ist die Notgrötzer geworden. Die erfordert
weit ergeh ende Maßnahmen, als sie bisher von der Re-
gierung geplant waren. Zunächst verlamm: wir. daß, bevor man
hastet und eilt, um bald die Erhöhung der Umlagepreife, insbeson-
dere auch für das erste Drittel, vornehmen zu können. zunächst ein-
mal für unsere GehalkS- und Lohnempfänger gesorgt werden mutz,
deren Gehälter mit der Bewegung des Dollars nicht sortschreiien.
Jetzt mutz endgültig Klarheit darüber geschaffen werde,:, ob man
in ver gegenwärtige» Not den Handel weiterhin frei schalten und
walten lassen will und ob fermer weiterhin zugesehen werden soll,
wie sür den Gross- und Kleinhandel jede Entwertung der Mack
für neue Preisfestsetzungen massgebend ist. während das Linken
des Dollars keine Berücksichtigung findet. Wo bleibt die zuge-
sicherte schärfste Anwendung der Wucherges etze? Wann gedenkt
man dem endlosen unerhörten Taumel auf den: Produktenmarkt
durch energische Massnahme» emgegenzutceren? Wie lange soll sich
das Volk das Unwesen an der Börse noch gefallen lassen?
Es ist allerhöchste Zeit,, daß die R r i ch S r e g i er uu g end-
l ich cnt sch ieden z ug re ift. Das Volk wünscht mehr als ledig-
lich eine Ankündigung von Massnahmen, die bisher nuraufdem
Papier stehen. Hunger- tut weh, das möge die Rerchsregierung
gerade in diesen Tagen nicht vergessen!
Forderungen der Berliner Arbeiter.
Ein« Versammlung unserer Berstner Parteifunktionäre hat
folgende Entschließung gefaßt:
Angesichts der immer mehr uns mehr sich zu einer Katastrophe
auswirkenden Teuerung aller Lebensmittel und der nicht ge-
recht fertigen — nur auf das Steigen des Dollars gestützten
— maßlosen Verteuerung aller sonstigen Gcbrauchsgeg.'nMnde —
insbesondere auch der reinen I u lau ds e rzru gu is se —
ervcbk die Funtti-onÄrkonferen; der TB7. gegen diese willkürlich!!
Herauffttzung und einseitig« Festsetzung der Preise, dic einer- un-
erhörten Bewucherung der minderbemittelte« BrvSift-cn-m gleich-
kommen und die Not zu einer Katastrophe gestnltur, schärfste»
Protest.
Die Funktionäre verkennen- nickst, daß ein Tüt dieser Ver-
teuerung zurückzuführcn ist auf a u j; c n o o l i t i s ch e Vorgänge,
sür die ein Ausgleich in sofortiger E r v ö l> u u g aller Löhne
und GeliäUer geschaffen werden muß Dis Funktionäre fordern da-
her sofortiges Eingreifen der Regierung rur Sicherstellung del
notwendigsten Nahrungsmittel und Gebrauchsgegenständ: zu cr>
schw-iuMchen Preisen.
Die Funktionäre schliesse» sich vollinhaltlich den Ford-enm-ge»
der Gewerkschaften au und fordern Parteiusrstand und Frak
Ikon aus, gemeinsam mit der tt-SP. und den Spitze uorgauisa-
tiouen der freien Gewerkschaften r. - Maßnahmen zu ergreife!:
die geeignet sind, die Lebensmittel!!!» zu tiudern und die Eritäh-
 
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