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tarise: Die einspaltige Petitzeile
»der deren Raum <34 mm breit)
Wik.38.--. Neklameanzeigen(74mm
breit)Mk.100—. Bei Wiederholun-
gen Nachlaß n. Taris. Geheimmittel-
«nzeigen finden leine Aufnahme.
T«sch8ftspnnr>en:8-8Mr. Sprech-
stunden der Redaktion: :t—LUbr.
Pvstschecktonto Karlsruhe Ar.W77,
Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg,
Druck u. Verlag der Unterbadischen
Wcrlagsanstalt E. in. b. H., Heidel-
berg. Geschäftsstelle: Schröderstr.8S.
Tel.: Erpedirivn W73 u.Redatt.MS.
lWkL'ZkUU Bk die EeMWeVeKNMg ver «Sezirke ZMelöerg, Wiesloch. EMeim. ssWlMN. Werblich. MZbüch. VMM. MWU. BMerg.TMberbWgNelN n. WerlhkM
4. Jahrgang Heidelberg, Samstag, den S. Dezember 1922 Nr. 288
Heldenkaiser a. D.
Unter diesem Titel schreibt der „Vorwärts"
auf Grund des neuesten Buches von K. Fr. N ow ack
zum Abgang Wilhelms II.:
Wilhelms Charakterbild schwankt Wohl
nicht mehr in der Geschichte. Einst viel geseiert und
gepriesen, am meisten und am längsten von sich sel-
ber, zeigte er sich in den entscheidenden Tagen seines
Lebens als ein kleiner, nur um sich selbst besorgter
Mensch. Einen kraftmeternden Schwäch-
ling hatte ihn sein Onkel Eduard genannt, so
Nannte ihn auch die deutschnationale „Post", als er
einst in der Marokkokrise nicht so wollte wie die
Alldeutschen. Ihre Enttäuschung war begreiflich,
denn stets endete bet ihm mit kläglichem Versagen,
was mit einer pathetischen Kraftgebärde begonnen
worden war.
Das Denkmal, das sich Wilhelm selber in seinen
Randnotizen zu den Krtegsakten gesetzt hat, ist von
Karl Kautzky enthüllt worden. Mit gespreizter
Schnoddrigkeit beginnend, klingen diese Randglossen
in verzagtes Jammern aus. Noch charakteristischer
ist die Haltung des Mannes in den Tagen des
Zusammenbruchs. Wie er da jeder Grötze,
auch nur der bescheidensten Mannhaftigkeit erman-
gelte, kann man in dem neu erschienenen Bande
„Chaos" des Historikers Karl Friedrich No-
ch a k nachlesen. (Verlag für Kulturpolitik, München.)
Das Buch schließt sich als zweiter Band an den be-
kannten „Sturz der Mittelmächte" an und analysiert
die letzten Tage des Zusammenbruchs, vielleicht
manchmal als Geschichtswerk zu dramatisch aufge-
vaut, aber doch überall auf gute Quellen fundiert.
Kem deutschen Kaiser ist ein besonderes Kapitel, ein
weiteres seiner Abdankung gewidmet. Die Dar-
stellung gibt manchen Zug zum Charakterbild des
Mannes, der Deutschland in den Abgrund re-
giert hat.
. Als Ende Oktober 1918 zuerst der preußische Ge-
sandte in München, Herr von Treutler, meldete, daß
Volk lind Regierung in Bayern dieAbdankung
des Kaisers begehrten, verlangte Wilhelm, daß der
Staatssekretär Sols dem Gesandten „den Kopf
wasche". Er fand es „ganz ungeheuerlich, daß sein
Gesandter ihm solche Sachen mitteile". In seiner
Zrotzsprecherischen Art ereiferte sich Wilhelm: „Was
verlangt denn das Volk von mir? Ich kann doch
Ä l s a l t e r S o l d a t n i ch t a u s d e m S ch ü tz e ir-
graben gehen."
Im Schützengraben war er ja noch nicht ge-
wesen, sondern allerhöchstsns dreißig Kilometer da-
hinter, aber seine erste Handlung nach dieser Absage
war tatsächlich, „aus dein Schützengraben zu gehen".
UeSerstürzt verließ er Berlin, um sich ins
Große Hauptquartier zu begeben, wo er sich sicherer
fühlte. So schnell siel die Entscheidung, daß noch
einige Stunden vor dem Aufbruch, wie Nowak be-
richtet, nicht einmal alle Männer der nächsten kaiser-
lichen Umgebung vor» ihr wußten. Der Kanzler
wurde nicht verständigt. Er suchte im letzten
Augenblick den Monarchen am Rockzipfel zu halten,
ihm klarzumachen, daß seine Pflicht sei, in Berlin zu
bleiben. Aber umsonst! Wilhelm dachte in den
Tagen, wo fein Reich zusammenbrach, an nichts als
an seine Sicherheit — darin übrigens dem ihm sonst
sehr unähnlichen Karl von Habsburg durchaus ähn-
lich. Auf alle Bemühungen des Kanzlers kam als
Antwort: „Es bleibt bei der Abreise!" Am 29. Ok-
tober abends reiste der Kaiser nach Spa, wo er, dem
ersten Generalquartiermeister Gröner völlig unerwar-
tet, eintraf. Auch der Generalfeldmarschall v. Hin-
denburg schien gänzlich verblüfft," notiert Nowak,
„er wisse von nichts-oder wenigstens er 1 at so.
Max von Baden, der eingesehen hatte, daß
Wilhelm nicht mehr zu retten sei, verfolgte den Plan,
durch eine rechtzeitige freiwillige Abdankung
den Monarchen vor dem Schimpflichsten zu be-
wahren. Er sandte den preußischen Minister Drews
ins Große Hauptquartier nach, um Wilhelm diesen
Gedanken nahezulegen. Wilhelms Antwort ist be-
kannt: er schnauzte Drews in erregtem Tone an, wie
er als Beamterso etwas wagen könnte.
Interessant ist die Haltung des Generalquartier-
Meisters Grö ne r. Dieser ging von der Idee aus,
datz eine freiwillige Abdankung zu wenig sei. Weil
Mehr müßte geschehen. Der Kaiser selbst müßte
Zeigen, daß die Erziehung und die Heldenlieder der
Jahrhunderts nicht nur Schall und Klang waren.
„Der Kaiser mutz andteSpttzederTr uppen
auf das Gefechtsfeld." Das war Gröners
Rat. Der freiwilligeTod des Monarchen auf
dem Schlachtfeld schien ihm als die beste und ehren-
hafteste Lösung.
Interessant ist, daß gerade die Männer diesen
Rar aufnahmen, die später in tendenziösen Schilde-
rungen der letzten Vorgänge in Villa Freneuse Grö-
ber nur jeden erdenklichen Schimpf anzuhängen
suchten, die Hofgenerale v. P l e s s e n, M a r sch a l l
usw. „Erstaunt, fast entsetzt hörten sie dem General-
quartiermeister zu." Uebrigens hatten Pommersche
Adlige durch Vermittlung des früheren Reichskanz-
lers Michaelis der Kaiserin einen ähnlichen Vor-
schlag unterbreiten lassen: sie verlangten den heroi-
? chenToddes Kaisers und wollten ihn persönlich
aus dem letzten schweren Gang begleiten. Michaelis
batte diesen Plan befürwortet. Hören wir von No-
wak den Ausgang:
Romantisch war der frühere Kanzler, demokra-
tisch nüchtern General Gröner zu gleichen Grund-
gedanken gekommen. Einheitliche Antwort aber
hatten die Generale Plessen und Marschall:
Man könne doch unmöglich den Kaiser solchen Ge-
fahren aussetzcn . . .
Gröner wandte sich an Hindenburg. Viel-
leicht verstand ihn dieser als alter Soldat. Aber,
fährt Nowak fort:
Es schien freilich, als ob der Generalfeldmar-
schall das Entscheidende überhaupt nicht be-
griffe. Denn er brach, erschreckt vor dem Un-
möglichen, kurz ab: „Aber das geht ja
Nicht!"-
Zwei Tage später fuhr Kaiser Wilhelm an die
Front. Er hielt bei Alost und Nin über die
Truppen Paraden ab.
ZwetParaden hinter der Front — das war
Wilhelms Ersatzheldentod. Wie er auch die
Gelegenheit zu einer rechtzeitigen freiwilligen Abdan-
kung verpatzte, wie er, als endgültig schon der Thron
verspielt war, sich an die Unmöglichkeit klammerte,
als deutscher Kaiser, aber nicht als König von Preu-
ßen abdanken zu wollen, wie er schwur, an der Spitze
seiner Truppen dem Aufstand zu begegnen, dann
aber doch lieber den Hofzug bestieg, diese Ding« sind
bereits hinlänglich bekannt. Ohne jede Spur tragi-
scher Grötze hat sich der letzte Träger der deutschen
Kaiserkrone davongemacht. Die Erwägungen, mit
denen er in seinen „Erinnerungen" sein Verhalten
bemäntelt, sind nichts als die Ausreden eines rein
egozentrisch denkenden Menschen, eines, bet dem sich
alles nur um setn liebes Ich dreht.
ZU MM MsklM.
Poincares Befetzrmgspläne.
Paris, 8. Dez. Hier wird folgend« Darstel-
lung des Poincareschen Planes veröffent-
licht: Der Hauptpunkt des PoincarLschen Planes sei
die Besetzung des Ruhrgebtetes. Die
Kompensierung der interalliierten Schulden könne
wegen der Stellung Amerikas nicht erfolgen. Frank-
reich könne so eine Verminderung der im Londoner
Ultimatum vom 5. Mai 1921 festgesetzten Schuld-
summe Von 133 Milliarden Goldmark nicht zugeben.
An die Möglichkeit einer internattonalen
Anleihe glaubt man in Frankreich nicht, ehe
nicht die deutschen Finanzen in Ordnung gebracht
seien. Die Besetzung eines großen Teiles des Ruhr-
gebietes sei unbedingt notwendig, um einen
Druck auf die deutsche Industrie aus-
üben zu können. Gleichzeitig mit dem Beginn der
deutschen Finanzreform müsse die Besetzung erfol-
gen. Eine Verstärkung der französischen Truppen
würde nicht notwendig sein. Die Alliierten könnten
ihre Aktion aus die 50 Kilometer lange neutrale
Zone beschränken, die der Versailler Vertrag östlich
vom Rhem vorsehe, dadurch würde man das ganze
Kohlengebtet mit Ausnahme einiger Punkte besetzen
können.
Wünsche nach neuen deutschen
PlLnen.
Landau, 8. Dez. (Prw.-Tel. -der „Frist Atg.")
Entgesen verschiedenen Gerüchten wird von offiziel-
ler Seite versichert, daß bei der englischen Regierung
bisher keinerlei offizielle oder inoffizielle In-
formation von deutscher Seite vorlicge, be-
züglich der angeblichen Absicht des deutschen Reichs-
kanzlers Cuno, alsbald neue Reparations-
bor s ch l ä g e zu überreichen. Das Auswärtige Amt
ist lediglich im Besitz der Wirthschen Vor-
schläge, die zwar als Fortschritt, aber nicht als
genügend angesehen werden. Das Bedürfnis
nach wcitergeh enden deutschen Plänen ist
sicherlich vorhanden. Da di« englische Regierung
ihrerseits der morgen beginnenden Konferenz keinen
Plan vorlegen, sondern avwarten wird, was Poin-
care und andere Vorschlägen» ist offensichtlich, welch«
Rolle ein neuer deutscher Plan spiele» könnte,
Paris, 8. Dez. Der „Temps" schreibt: Frank-
reich kann auf die Durchführung der jüngst gefaßten
Beschlüsse unter keinen Umständen ver-
zichten, und es hat dabei das Recht auf feiner
Seite. Ein Moratorium ist ausgeschlossen, wenn
Frankreich nicht als Pfand dafür die Verfü-
gung über die deutschen Kohlen erhält
Erst im Besitz des Ruhrgebietes habe der Versuch
einer finanziellen Sanierung Deutschlands Aussicht
aus Erfolg. Zu Len angekündigteu deutschen
Vorschlägen schreibt das Blatt, sie kämen zu
spät, um wirklich aufrichtig gemeint zu sein.
Trotzdem werde Frankreich jeden deutschen Vor-
schlag mit gebührender Aufmerksamkeit prüfen, da
ein solcher aber notwendigerweise offen oder ver-
steckt ein Moratorium in sich schließe, bleibe der
französische Standpunkt unverändert: Kein Mo-
ratorium ohne Pfand! Nur auf dieser
Grundlage sei in London etwas zu erreichen,
Lloyd George gegen Poinears.
Berlin, 9. Dez. (Delegr. Meldung.) Lloyd
George hat eine Artikelserie über die wrlier-
ivationE Politik begonnen. Er wendet sich zunächst
gegen den französischen Chauvinismus im allgemei-
nen unk» Glemenceau im besonderen, betont die Tat-
sache, daß MMionen Deutscher im Rheinland
unter fremder Macht sich en und bezeichnet die Ge-
fahr, daß die 15jährige Besetzung ins ungemessene
verlängert wird, als tatsächlich bestehend.
Komme wicht bis zum Ablauf der 15jährigen Frist
in Fmnkreich ein Kabinett zustande, Las dem Chau-
vinismus widerspricht, dann sei der Friede der
Wett in Frage gestellt. England und Frmrkveich
können allein die Katastrophe auch alten.
Verworrenheit in der Reichs-
regierung.
Aus Berlin geht uns vor Redaktionsschluss fol-
gendes Telegramm zu, das dieurrgeheureVer-
worrenheit in der jetzigen Reichsre-
gierung zu einer Zeit zeigt, wo angesichts der
heutigen Londoner Verhandlungen
unbedingte Klarheit vonnöten:
Eine Meldung, die offenbar nicht ganz unbeein-
flußt von der Retchsregierung ist, besagt, das G e -
samt la bi nett sei sich über das Reparations-
programm «och keineswegs tm klaren. Es
habe als solches noch gar nicht zu der Frage Stel-
lung genommen. Die Entwürfe, von denen in letz-
ter Zeit die Rede gewesen sei, stammten aus einem
engeren Kreise innerhalb des Kabinetts. Diese
Meldung ist sehr interessant. Es ist bekannt,
daß die Bestrebungen, an die Entente mit einem
positiven und möglichst fest umrissenen Vorschlag zur
Regelung der Reparationssrage heranzutreten, von
dem jetzigen Reichsfinanzminister Dr. Hermes
ausgehen. Es hat fast den Anschein, als verfolge
die angezogene Meldung den Zweck, Herrn Dr. Her-
mes innerhalb des Kabinetts zu isolieren. Wün-
schenswert wäre es, zu wissen, von welcher
Stelle die Quertreibereien ausgehen. Oder han-
delt es sich um mehr als das? Sollte derGegen -
satz im Kabinett Cuno so stark geworden sein, daß
man sich genötigt sieht, eine verschleierte Fluch 1 in
die Oessentltchkett zu ergreifen?
AVer die Zeit eilt. Heute treten die Entente-
minister zu der Londoner Vorbesprechung zusammen,
die wahrscheinlich entscheidender sein wird als
die Konferenz in Brüssel, deren Zusammenkom-
men ja von dieser Vorbesprechung abhängt. Es
liegt sehr nahe, dieser Konferenz Vorschläge
vorzulegen, um etwaigen Anschlägen Poin-
eareö auf das Rheinland und Ruhrgebiet von vorn-
herein die Spitze avzubrechen. In der fran-
zösische» Presse ist das Thema wieder ausgenommen
worden. Die Reichsregierung dagegen hüllt sich in
Dunkel. Sie wußte der Parteiführerkon-
serenz am Freitag nichts wesentliches über die
Reparationsfrage mitzuteilen. Wann gedenkt die
Reichsregierung aus ihrer Reserve herauszutreten?
Wartet sie etwa auf die höfliche Einladung der En-
tente in Form eines Ultimatums nach Art der
aus der großen Londoner Finanzkonferenz beschlosse-
nen 132 Milliarden-Fordcrung? Die Situation er-
innert lebhaft daran. MU dem Unterschied ledig-
lich, datz Deutschland diesmal dem Frankreich Poin-
cares gegenübersteht, das nicht länger warten kann.
Zur französischen Sühnefordernng.
Berlin, 8. Dez. Der Reichskanzler in-
formöerte gestern abend dis Parteiführer nacy-
eincmder über die beabsichtigte Antwort auf die
Sühne wo l e der Botschastevkonfereuz. Die So-
zialdemokraten sollen dabei dem Außenmini-
ster erklärt haben, daß sie mit der Uebernahme der
moralischen und materiellen Sühne durch das Reich
unzufrieden seien. Auch der „Vorwärts" protestiert,
und zwar mit Recht, dagegen, daß das Reich dauernd
für Provokationen bayrischer Nationalisten dis Ber-
antwortnng übernehmen solle.
Heute vormittag hat sich das Reichskavinett aber-
mals iin einer dreistündigen Sitzung minder Ant-
wort auf die Sühnenote beschäftigt. Die Einzel-
heiten stohcn nunmehr soweit fest, Latz die Absen-
dung Morgen abend erfolgt. Die Antwortnote
wird am Montag vormittag überreicht
werden, so daß ihre Veröffentlichung Wohl am
Montag mittag zu erwarten ist. Heute nachmittag
wurden die Parteiführer von dem Außen-
minister empfangen, um über den Charakter der
Antwortnote unterrichtet zu werden. Gleichzeitig
fand Ms Aussprache Wer die akl g e meine P o l i-
tiische Lage statt.
München, 8. Dez. In dm „Münch. Ne-uest.
Nachrichten" veröffentlicht der bekannte Stcmts-
rechtslehrer Geheimrat Rsirchavd Frank völker-
rechtliche Ausführungen zum Fall Ingolstadt und
Passau, die in der Feststellung gipfeln, daß nirgends
ln der VMcrrechtsliieratur der Kulturstaatsn die
Behauptung angetreten wurde, daß ein in FrieLsns-
zeiten verletzter Staat von einer Gemeinde,
in deren Gebiet die Schädigung vorgekommen ist,
eine ideelle oder materielle Genugtuung ver-
langen kann.
Geheimrat Frank hat Recht. Er hätte sogar noch
Weiter gehen und kritisieren können, daß die Genug
tunng von einem Einzeistaat Les Reiches, also
Bayern, verlangt wird statt vom ReW — aber
Bayern war es ja, das die .ganze Zeit nach dem
Nimbus außenpolitische r Gloriole
stvevte. Mm. ist ja sein Ziel, erreicht, wm.n a-uch
nicht irr erfreulichem Sinns.
Ak WÄW iN WkMU
Statt der Sanierung Oesterreichs
die schwerste Wirtschaftskrise.
Unser Wiener Korrespondent schreibt uns:
Die GenserProtokolle und das von der
Regierung so genannte Wiederaufbaugesetz
sind nun endlich beschlossen, wen» auch nicht in der
Form, wie die Regierung es gewünscht hätte, und
damit kommt der Zeitpunkt näher, in dem Oester-
reich unter der Kontrolle der Entente gerettet wer-
den soll. Der Gedanke der Kontrolle ist dem Völker-
bund nicht von selbst eingefallen. Diese Kontrolle
wurde ihm, wie jetzt seststeht, von der österreichische«
Regierung erst suggeriert. Zwei Gründe waren für
die christlich-soziale Regierung dabei maßgebend:
vor allem der Grund, daß sie fürchtete, nicht nutz
gegenüber der Arbeiterschaft, sondern besonders auch
gegenüber den besitzenden Klassen, den Kapitalisten
und Agrariern, ohne Zwang von außen die schwere«
Opfer, die die Sanierung Oesterreichs von ihnen er-
fordert, nicht durchsetzen zu können; dann aber die
Hoffnung, mit Hilfe des Auslandes die
Macht, die sich die Arbeiterschaft seit der Re-
volution errungen hat, münden zu können. Das war
die Hoffnung, die die Bourgeoisie aus die fremde Kon-
trolle fetzte und die ihr Len Verzicht auf die staatliche
Souveränität so leicht machte. Der Weg, den der
Bundeskanzlev für seine Beeinflussung des Völker-
bundes wählte, ging über die Wiener Nunziatur,
die durch die italienischen Klerikalen, die „Popo-
lari", die italienische Regierung im Sinne der Kon-
trolle beeinflußte. Tatsächlich ist der Plan, der von
Italien in Genf vorgelegt wurde, viel weiter ge-
gangen als auf eine bloße Kontrolle der Verwen-
dung der Kredite und der richtigen Finanzmatznah-
men. Die Kontrolle sollte legislative Gewalt in
Oesterreich haben. Dieser Plan wurde durch Bal-
four verhindert, der eine solche Beschränkung der
staatlichen Souveränität Oesterreichs ablehnte. ES
kam dann im Kompromißweg jene Bestimmung zu-
stande, nach der das österreichische Parlament der
Regierung die Vollmacht geben sollte, zwei Jahre
lang, ohne an das Parlament herantreten zu müssen,
alle Maßnahmen zu ergreifen, die nach ihrer Mei-
nung notwendig sind, das budgetäre Gleichgewicht
wieder herzustell-en.
Auch mit dieser Bestimmung war Oesterreich
der Diktatur des Auslandes ausgelisfert, in seiner
Souveränität beschränkt, war die österreichische Ar-
beiterschaft in Gefahr, ihrer sozialen Errungenschaf-
ten beraubt zu werden. Gegen diese Gefahrkon«
Lrolle hat darum der außerordentliche sozialdemo-
kratische Parteitag nicht nur den schärfsten Kampf
sondern die Einleitung einer Volksbewegung be-
schlossen. Man hoffte auf dem Parteitag, daß es
gelingen werde, durch diese Volksbewegung auch
einen Teil des Bürgertums zum Kampf gegen die
Fremdherrschaft miizureißen. Mit dieser Hoff-
nung hat nmn sich aber getäuscht. Diese Bewegung
hat im Bürgertum nicht den geringsten Widerhall ge-
sunden. Das ganze Bürgertum war bereit, der aus-
ländischen Kontrolle und der FinanzdMatur der Re-
gierung zuzustimmen.
So war die Sozialdemokratie ganz isoliert.
Trotzdem hat sie ganz allein den Kampf sowohl
gegen die Ausschaltung des Parlaments, wie gegen
die Art der Sanierung, die die Regierung Plante,
geführt, und es ist ihr in diesen: Karnpf, der nur
wenige Wochen dauerte, da die VölkerbundSdele-
gterken rasche Annahme der Genfer Protokolle ver-
langten und schließlich den 26. November als End-
termin erklärten, gelungen, einen Teiler-
folg zn erringen. Am schwierigsten war es
natürlich, gegen die Genfer Protokolle die Ausschal-
tung des Parlaments zu beseitigen. Der Bundes-
kanzler hatte anfangs sich das Entgegenkommen
gegenüber dem Parlament so vorgestellt, daß er das
Parlament von Zeit zu Zett ein be-
rufen und chm Gelegenheit zur Kritik geben
werde. Er mutzte, als die Sozialdemokraten darauf
bestanden, zustimmen, daß das Parlament einen
eigenen Ausschuß wähle, der über die Vor-
schläge der Regierung entscheiden soll und daß auf
Verlangen eines Viertels der Abgeordneten jeder-
zeit das Parlament binnen vier Tagen einberusen
werden müsse. Da aber die Genfer Protokolle be-
stimmen, daß die Entscheidung über finanzielle
Fragen nicht das Parlament, also auch nicht ein
Parlamentsausschuß, sondern dis Regierung habe,
wurde der Regierung die „Konzession" gemacht, daß
der Ausschuß mit der Regierung zusammen in
einem „autzerordemlichen Kabinettsrat" berate, wenn
auch die Mitglieder der Regierung an der Abstim-
mung nicht tciinchrn.cn dürfen. Auch das „Wie-
der a ufb au g r f e tz" wurde wesentlich ver-
bessert und namentlich das Rech! der Regierung,
die Agrarzölle wieder einzusühren, ge-
lt r i ch e n.
Wohl ist der Erfolg nur ein Teilerfolg, und in
dc-u „Wiederausbaugesetz" sind noch genug
schwere Belästigungen der breiten Massen
erhalten geblieben. Die Sozialdemokraten haben
omy sowohl gegen dieses Gesetz wie gegen die Gen-
fer Protokolle und u ur fü r d a s V er f a f s u n g s-
ge setz über den „außerordentlichen Kcibinettsrat"
gestimmt, das die Ausschaltung des Parla-
ments auf hebt. Die Verantwortung für
die Genfer Vereticharungen und für die An, wie
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T«sch8ftspnnr>en:8-8Mr. Sprech-
stunden der Redaktion: :t—LUbr.
Pvstschecktonto Karlsruhe Ar.W77,
Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg,
Druck u. Verlag der Unterbadischen
Wcrlagsanstalt E. in. b. H., Heidel-
berg. Geschäftsstelle: Schröderstr.8S.
Tel.: Erpedirivn W73 u.Redatt.MS.
lWkL'ZkUU Bk die EeMWeVeKNMg ver «Sezirke ZMelöerg, Wiesloch. EMeim. ssWlMN. Werblich. MZbüch. VMM. MWU. BMerg.TMberbWgNelN n. WerlhkM
4. Jahrgang Heidelberg, Samstag, den S. Dezember 1922 Nr. 288
Heldenkaiser a. D.
Unter diesem Titel schreibt der „Vorwärts"
auf Grund des neuesten Buches von K. Fr. N ow ack
zum Abgang Wilhelms II.:
Wilhelms Charakterbild schwankt Wohl
nicht mehr in der Geschichte. Einst viel geseiert und
gepriesen, am meisten und am längsten von sich sel-
ber, zeigte er sich in den entscheidenden Tagen seines
Lebens als ein kleiner, nur um sich selbst besorgter
Mensch. Einen kraftmeternden Schwäch-
ling hatte ihn sein Onkel Eduard genannt, so
Nannte ihn auch die deutschnationale „Post", als er
einst in der Marokkokrise nicht so wollte wie die
Alldeutschen. Ihre Enttäuschung war begreiflich,
denn stets endete bet ihm mit kläglichem Versagen,
was mit einer pathetischen Kraftgebärde begonnen
worden war.
Das Denkmal, das sich Wilhelm selber in seinen
Randnotizen zu den Krtegsakten gesetzt hat, ist von
Karl Kautzky enthüllt worden. Mit gespreizter
Schnoddrigkeit beginnend, klingen diese Randglossen
in verzagtes Jammern aus. Noch charakteristischer
ist die Haltung des Mannes in den Tagen des
Zusammenbruchs. Wie er da jeder Grötze,
auch nur der bescheidensten Mannhaftigkeit erman-
gelte, kann man in dem neu erschienenen Bande
„Chaos" des Historikers Karl Friedrich No-
ch a k nachlesen. (Verlag für Kulturpolitik, München.)
Das Buch schließt sich als zweiter Band an den be-
kannten „Sturz der Mittelmächte" an und analysiert
die letzten Tage des Zusammenbruchs, vielleicht
manchmal als Geschichtswerk zu dramatisch aufge-
vaut, aber doch überall auf gute Quellen fundiert.
Kem deutschen Kaiser ist ein besonderes Kapitel, ein
weiteres seiner Abdankung gewidmet. Die Dar-
stellung gibt manchen Zug zum Charakterbild des
Mannes, der Deutschland in den Abgrund re-
giert hat.
. Als Ende Oktober 1918 zuerst der preußische Ge-
sandte in München, Herr von Treutler, meldete, daß
Volk lind Regierung in Bayern dieAbdankung
des Kaisers begehrten, verlangte Wilhelm, daß der
Staatssekretär Sols dem Gesandten „den Kopf
wasche". Er fand es „ganz ungeheuerlich, daß sein
Gesandter ihm solche Sachen mitteile". In seiner
Zrotzsprecherischen Art ereiferte sich Wilhelm: „Was
verlangt denn das Volk von mir? Ich kann doch
Ä l s a l t e r S o l d a t n i ch t a u s d e m S ch ü tz e ir-
graben gehen."
Im Schützengraben war er ja noch nicht ge-
wesen, sondern allerhöchstsns dreißig Kilometer da-
hinter, aber seine erste Handlung nach dieser Absage
war tatsächlich, „aus dein Schützengraben zu gehen".
UeSerstürzt verließ er Berlin, um sich ins
Große Hauptquartier zu begeben, wo er sich sicherer
fühlte. So schnell siel die Entscheidung, daß noch
einige Stunden vor dem Aufbruch, wie Nowak be-
richtet, nicht einmal alle Männer der nächsten kaiser-
lichen Umgebung vor» ihr wußten. Der Kanzler
wurde nicht verständigt. Er suchte im letzten
Augenblick den Monarchen am Rockzipfel zu halten,
ihm klarzumachen, daß seine Pflicht sei, in Berlin zu
bleiben. Aber umsonst! Wilhelm dachte in den
Tagen, wo fein Reich zusammenbrach, an nichts als
an seine Sicherheit — darin übrigens dem ihm sonst
sehr unähnlichen Karl von Habsburg durchaus ähn-
lich. Auf alle Bemühungen des Kanzlers kam als
Antwort: „Es bleibt bei der Abreise!" Am 29. Ok-
tober abends reiste der Kaiser nach Spa, wo er, dem
ersten Generalquartiermeister Gröner völlig unerwar-
tet, eintraf. Auch der Generalfeldmarschall v. Hin-
denburg schien gänzlich verblüfft," notiert Nowak,
„er wisse von nichts-oder wenigstens er 1 at so.
Max von Baden, der eingesehen hatte, daß
Wilhelm nicht mehr zu retten sei, verfolgte den Plan,
durch eine rechtzeitige freiwillige Abdankung
den Monarchen vor dem Schimpflichsten zu be-
wahren. Er sandte den preußischen Minister Drews
ins Große Hauptquartier nach, um Wilhelm diesen
Gedanken nahezulegen. Wilhelms Antwort ist be-
kannt: er schnauzte Drews in erregtem Tone an, wie
er als Beamterso etwas wagen könnte.
Interessant ist die Haltung des Generalquartier-
Meisters Grö ne r. Dieser ging von der Idee aus,
datz eine freiwillige Abdankung zu wenig sei. Weil
Mehr müßte geschehen. Der Kaiser selbst müßte
Zeigen, daß die Erziehung und die Heldenlieder der
Jahrhunderts nicht nur Schall und Klang waren.
„Der Kaiser mutz andteSpttzederTr uppen
auf das Gefechtsfeld." Das war Gröners
Rat. Der freiwilligeTod des Monarchen auf
dem Schlachtfeld schien ihm als die beste und ehren-
hafteste Lösung.
Interessant ist, daß gerade die Männer diesen
Rar aufnahmen, die später in tendenziösen Schilde-
rungen der letzten Vorgänge in Villa Freneuse Grö-
ber nur jeden erdenklichen Schimpf anzuhängen
suchten, die Hofgenerale v. P l e s s e n, M a r sch a l l
usw. „Erstaunt, fast entsetzt hörten sie dem General-
quartiermeister zu." Uebrigens hatten Pommersche
Adlige durch Vermittlung des früheren Reichskanz-
lers Michaelis der Kaiserin einen ähnlichen Vor-
schlag unterbreiten lassen: sie verlangten den heroi-
? chenToddes Kaisers und wollten ihn persönlich
aus dem letzten schweren Gang begleiten. Michaelis
batte diesen Plan befürwortet. Hören wir von No-
wak den Ausgang:
Romantisch war der frühere Kanzler, demokra-
tisch nüchtern General Gröner zu gleichen Grund-
gedanken gekommen. Einheitliche Antwort aber
hatten die Generale Plessen und Marschall:
Man könne doch unmöglich den Kaiser solchen Ge-
fahren aussetzcn . . .
Gröner wandte sich an Hindenburg. Viel-
leicht verstand ihn dieser als alter Soldat. Aber,
fährt Nowak fort:
Es schien freilich, als ob der Generalfeldmar-
schall das Entscheidende überhaupt nicht be-
griffe. Denn er brach, erschreckt vor dem Un-
möglichen, kurz ab: „Aber das geht ja
Nicht!"-
Zwei Tage später fuhr Kaiser Wilhelm an die
Front. Er hielt bei Alost und Nin über die
Truppen Paraden ab.
ZwetParaden hinter der Front — das war
Wilhelms Ersatzheldentod. Wie er auch die
Gelegenheit zu einer rechtzeitigen freiwilligen Abdan-
kung verpatzte, wie er, als endgültig schon der Thron
verspielt war, sich an die Unmöglichkeit klammerte,
als deutscher Kaiser, aber nicht als König von Preu-
ßen abdanken zu wollen, wie er schwur, an der Spitze
seiner Truppen dem Aufstand zu begegnen, dann
aber doch lieber den Hofzug bestieg, diese Ding« sind
bereits hinlänglich bekannt. Ohne jede Spur tragi-
scher Grötze hat sich der letzte Träger der deutschen
Kaiserkrone davongemacht. Die Erwägungen, mit
denen er in seinen „Erinnerungen" sein Verhalten
bemäntelt, sind nichts als die Ausreden eines rein
egozentrisch denkenden Menschen, eines, bet dem sich
alles nur um setn liebes Ich dreht.
ZU MM MsklM.
Poincares Befetzrmgspläne.
Paris, 8. Dez. Hier wird folgend« Darstel-
lung des Poincareschen Planes veröffent-
licht: Der Hauptpunkt des PoincarLschen Planes sei
die Besetzung des Ruhrgebtetes. Die
Kompensierung der interalliierten Schulden könne
wegen der Stellung Amerikas nicht erfolgen. Frank-
reich könne so eine Verminderung der im Londoner
Ultimatum vom 5. Mai 1921 festgesetzten Schuld-
summe Von 133 Milliarden Goldmark nicht zugeben.
An die Möglichkeit einer internattonalen
Anleihe glaubt man in Frankreich nicht, ehe
nicht die deutschen Finanzen in Ordnung gebracht
seien. Die Besetzung eines großen Teiles des Ruhr-
gebietes sei unbedingt notwendig, um einen
Druck auf die deutsche Industrie aus-
üben zu können. Gleichzeitig mit dem Beginn der
deutschen Finanzreform müsse die Besetzung erfol-
gen. Eine Verstärkung der französischen Truppen
würde nicht notwendig sein. Die Alliierten könnten
ihre Aktion aus die 50 Kilometer lange neutrale
Zone beschränken, die der Versailler Vertrag östlich
vom Rhem vorsehe, dadurch würde man das ganze
Kohlengebtet mit Ausnahme einiger Punkte besetzen
können.
Wünsche nach neuen deutschen
PlLnen.
Landau, 8. Dez. (Prw.-Tel. -der „Frist Atg.")
Entgesen verschiedenen Gerüchten wird von offiziel-
ler Seite versichert, daß bei der englischen Regierung
bisher keinerlei offizielle oder inoffizielle In-
formation von deutscher Seite vorlicge, be-
züglich der angeblichen Absicht des deutschen Reichs-
kanzlers Cuno, alsbald neue Reparations-
bor s ch l ä g e zu überreichen. Das Auswärtige Amt
ist lediglich im Besitz der Wirthschen Vor-
schläge, die zwar als Fortschritt, aber nicht als
genügend angesehen werden. Das Bedürfnis
nach wcitergeh enden deutschen Plänen ist
sicherlich vorhanden. Da di« englische Regierung
ihrerseits der morgen beginnenden Konferenz keinen
Plan vorlegen, sondern avwarten wird, was Poin-
care und andere Vorschlägen» ist offensichtlich, welch«
Rolle ein neuer deutscher Plan spiele» könnte,
Paris, 8. Dez. Der „Temps" schreibt: Frank-
reich kann auf die Durchführung der jüngst gefaßten
Beschlüsse unter keinen Umständen ver-
zichten, und es hat dabei das Recht auf feiner
Seite. Ein Moratorium ist ausgeschlossen, wenn
Frankreich nicht als Pfand dafür die Verfü-
gung über die deutschen Kohlen erhält
Erst im Besitz des Ruhrgebietes habe der Versuch
einer finanziellen Sanierung Deutschlands Aussicht
aus Erfolg. Zu Len angekündigteu deutschen
Vorschlägen schreibt das Blatt, sie kämen zu
spät, um wirklich aufrichtig gemeint zu sein.
Trotzdem werde Frankreich jeden deutschen Vor-
schlag mit gebührender Aufmerksamkeit prüfen, da
ein solcher aber notwendigerweise offen oder ver-
steckt ein Moratorium in sich schließe, bleibe der
französische Standpunkt unverändert: Kein Mo-
ratorium ohne Pfand! Nur auf dieser
Grundlage sei in London etwas zu erreichen,
Lloyd George gegen Poinears.
Berlin, 9. Dez. (Delegr. Meldung.) Lloyd
George hat eine Artikelserie über die wrlier-
ivationE Politik begonnen. Er wendet sich zunächst
gegen den französischen Chauvinismus im allgemei-
nen unk» Glemenceau im besonderen, betont die Tat-
sache, daß MMionen Deutscher im Rheinland
unter fremder Macht sich en und bezeichnet die Ge-
fahr, daß die 15jährige Besetzung ins ungemessene
verlängert wird, als tatsächlich bestehend.
Komme wicht bis zum Ablauf der 15jährigen Frist
in Fmnkreich ein Kabinett zustande, Las dem Chau-
vinismus widerspricht, dann sei der Friede der
Wett in Frage gestellt. England und Frmrkveich
können allein die Katastrophe auch alten.
Verworrenheit in der Reichs-
regierung.
Aus Berlin geht uns vor Redaktionsschluss fol-
gendes Telegramm zu, das dieurrgeheureVer-
worrenheit in der jetzigen Reichsre-
gierung zu einer Zeit zeigt, wo angesichts der
heutigen Londoner Verhandlungen
unbedingte Klarheit vonnöten:
Eine Meldung, die offenbar nicht ganz unbeein-
flußt von der Retchsregierung ist, besagt, das G e -
samt la bi nett sei sich über das Reparations-
programm «och keineswegs tm klaren. Es
habe als solches noch gar nicht zu der Frage Stel-
lung genommen. Die Entwürfe, von denen in letz-
ter Zeit die Rede gewesen sei, stammten aus einem
engeren Kreise innerhalb des Kabinetts. Diese
Meldung ist sehr interessant. Es ist bekannt,
daß die Bestrebungen, an die Entente mit einem
positiven und möglichst fest umrissenen Vorschlag zur
Regelung der Reparationssrage heranzutreten, von
dem jetzigen Reichsfinanzminister Dr. Hermes
ausgehen. Es hat fast den Anschein, als verfolge
die angezogene Meldung den Zweck, Herrn Dr. Her-
mes innerhalb des Kabinetts zu isolieren. Wün-
schenswert wäre es, zu wissen, von welcher
Stelle die Quertreibereien ausgehen. Oder han-
delt es sich um mehr als das? Sollte derGegen -
satz im Kabinett Cuno so stark geworden sein, daß
man sich genötigt sieht, eine verschleierte Fluch 1 in
die Oessentltchkett zu ergreifen?
AVer die Zeit eilt. Heute treten die Entente-
minister zu der Londoner Vorbesprechung zusammen,
die wahrscheinlich entscheidender sein wird als
die Konferenz in Brüssel, deren Zusammenkom-
men ja von dieser Vorbesprechung abhängt. Es
liegt sehr nahe, dieser Konferenz Vorschläge
vorzulegen, um etwaigen Anschlägen Poin-
eareö auf das Rheinland und Ruhrgebiet von vorn-
herein die Spitze avzubrechen. In der fran-
zösische» Presse ist das Thema wieder ausgenommen
worden. Die Reichsregierung dagegen hüllt sich in
Dunkel. Sie wußte der Parteiführerkon-
serenz am Freitag nichts wesentliches über die
Reparationsfrage mitzuteilen. Wann gedenkt die
Reichsregierung aus ihrer Reserve herauszutreten?
Wartet sie etwa auf die höfliche Einladung der En-
tente in Form eines Ultimatums nach Art der
aus der großen Londoner Finanzkonferenz beschlosse-
nen 132 Milliarden-Fordcrung? Die Situation er-
innert lebhaft daran. MU dem Unterschied ledig-
lich, datz Deutschland diesmal dem Frankreich Poin-
cares gegenübersteht, das nicht länger warten kann.
Zur französischen Sühnefordernng.
Berlin, 8. Dez. Der Reichskanzler in-
formöerte gestern abend dis Parteiführer nacy-
eincmder über die beabsichtigte Antwort auf die
Sühne wo l e der Botschastevkonfereuz. Die So-
zialdemokraten sollen dabei dem Außenmini-
ster erklärt haben, daß sie mit der Uebernahme der
moralischen und materiellen Sühne durch das Reich
unzufrieden seien. Auch der „Vorwärts" protestiert,
und zwar mit Recht, dagegen, daß das Reich dauernd
für Provokationen bayrischer Nationalisten dis Ber-
antwortnng übernehmen solle.
Heute vormittag hat sich das Reichskavinett aber-
mals iin einer dreistündigen Sitzung minder Ant-
wort auf die Sühnenote beschäftigt. Die Einzel-
heiten stohcn nunmehr soweit fest, Latz die Absen-
dung Morgen abend erfolgt. Die Antwortnote
wird am Montag vormittag überreicht
werden, so daß ihre Veröffentlichung Wohl am
Montag mittag zu erwarten ist. Heute nachmittag
wurden die Parteiführer von dem Außen-
minister empfangen, um über den Charakter der
Antwortnote unterrichtet zu werden. Gleichzeitig
fand Ms Aussprache Wer die akl g e meine P o l i-
tiische Lage statt.
München, 8. Dez. In dm „Münch. Ne-uest.
Nachrichten" veröffentlicht der bekannte Stcmts-
rechtslehrer Geheimrat Rsirchavd Frank völker-
rechtliche Ausführungen zum Fall Ingolstadt und
Passau, die in der Feststellung gipfeln, daß nirgends
ln der VMcrrechtsliieratur der Kulturstaatsn die
Behauptung angetreten wurde, daß ein in FrieLsns-
zeiten verletzter Staat von einer Gemeinde,
in deren Gebiet die Schädigung vorgekommen ist,
eine ideelle oder materielle Genugtuung ver-
langen kann.
Geheimrat Frank hat Recht. Er hätte sogar noch
Weiter gehen und kritisieren können, daß die Genug
tunng von einem Einzeistaat Les Reiches, also
Bayern, verlangt wird statt vom ReW — aber
Bayern war es ja, das die .ganze Zeit nach dem
Nimbus außenpolitische r Gloriole
stvevte. Mm. ist ja sein Ziel, erreicht, wm.n a-uch
nicht irr erfreulichem Sinns.
Ak WÄW iN WkMU
Statt der Sanierung Oesterreichs
die schwerste Wirtschaftskrise.
Unser Wiener Korrespondent schreibt uns:
Die GenserProtokolle und das von der
Regierung so genannte Wiederaufbaugesetz
sind nun endlich beschlossen, wen» auch nicht in der
Form, wie die Regierung es gewünscht hätte, und
damit kommt der Zeitpunkt näher, in dem Oester-
reich unter der Kontrolle der Entente gerettet wer-
den soll. Der Gedanke der Kontrolle ist dem Völker-
bund nicht von selbst eingefallen. Diese Kontrolle
wurde ihm, wie jetzt seststeht, von der österreichische«
Regierung erst suggeriert. Zwei Gründe waren für
die christlich-soziale Regierung dabei maßgebend:
vor allem der Grund, daß sie fürchtete, nicht nutz
gegenüber der Arbeiterschaft, sondern besonders auch
gegenüber den besitzenden Klassen, den Kapitalisten
und Agrariern, ohne Zwang von außen die schwere«
Opfer, die die Sanierung Oesterreichs von ihnen er-
fordert, nicht durchsetzen zu können; dann aber die
Hoffnung, mit Hilfe des Auslandes die
Macht, die sich die Arbeiterschaft seit der Re-
volution errungen hat, münden zu können. Das war
die Hoffnung, die die Bourgeoisie aus die fremde Kon-
trolle fetzte und die ihr Len Verzicht auf die staatliche
Souveränität so leicht machte. Der Weg, den der
Bundeskanzlev für seine Beeinflussung des Völker-
bundes wählte, ging über die Wiener Nunziatur,
die durch die italienischen Klerikalen, die „Popo-
lari", die italienische Regierung im Sinne der Kon-
trolle beeinflußte. Tatsächlich ist der Plan, der von
Italien in Genf vorgelegt wurde, viel weiter ge-
gangen als auf eine bloße Kontrolle der Verwen-
dung der Kredite und der richtigen Finanzmatznah-
men. Die Kontrolle sollte legislative Gewalt in
Oesterreich haben. Dieser Plan wurde durch Bal-
four verhindert, der eine solche Beschränkung der
staatlichen Souveränität Oesterreichs ablehnte. ES
kam dann im Kompromißweg jene Bestimmung zu-
stande, nach der das österreichische Parlament der
Regierung die Vollmacht geben sollte, zwei Jahre
lang, ohne an das Parlament herantreten zu müssen,
alle Maßnahmen zu ergreifen, die nach ihrer Mei-
nung notwendig sind, das budgetäre Gleichgewicht
wieder herzustell-en.
Auch mit dieser Bestimmung war Oesterreich
der Diktatur des Auslandes ausgelisfert, in seiner
Souveränität beschränkt, war die österreichische Ar-
beiterschaft in Gefahr, ihrer sozialen Errungenschaf-
ten beraubt zu werden. Gegen diese Gefahrkon«
Lrolle hat darum der außerordentliche sozialdemo-
kratische Parteitag nicht nur den schärfsten Kampf
sondern die Einleitung einer Volksbewegung be-
schlossen. Man hoffte auf dem Parteitag, daß es
gelingen werde, durch diese Volksbewegung auch
einen Teil des Bürgertums zum Kampf gegen die
Fremdherrschaft miizureißen. Mit dieser Hoff-
nung hat nmn sich aber getäuscht. Diese Bewegung
hat im Bürgertum nicht den geringsten Widerhall ge-
sunden. Das ganze Bürgertum war bereit, der aus-
ländischen Kontrolle und der FinanzdMatur der Re-
gierung zuzustimmen.
So war die Sozialdemokratie ganz isoliert.
Trotzdem hat sie ganz allein den Kampf sowohl
gegen die Ausschaltung des Parlaments, wie gegen
die Art der Sanierung, die die Regierung Plante,
geführt, und es ist ihr in diesen: Karnpf, der nur
wenige Wochen dauerte, da die VölkerbundSdele-
gterken rasche Annahme der Genfer Protokolle ver-
langten und schließlich den 26. November als End-
termin erklärten, gelungen, einen Teiler-
folg zn erringen. Am schwierigsten war es
natürlich, gegen die Genfer Protokolle die Ausschal-
tung des Parlaments zu beseitigen. Der Bundes-
kanzler hatte anfangs sich das Entgegenkommen
gegenüber dem Parlament so vorgestellt, daß er das
Parlament von Zeit zu Zett ein be-
rufen und chm Gelegenheit zur Kritik geben
werde. Er mutzte, als die Sozialdemokraten darauf
bestanden, zustimmen, daß das Parlament einen
eigenen Ausschuß wähle, der über die Vor-
schläge der Regierung entscheiden soll und daß auf
Verlangen eines Viertels der Abgeordneten jeder-
zeit das Parlament binnen vier Tagen einberusen
werden müsse. Da aber die Genfer Protokolle be-
stimmen, daß die Entscheidung über finanzielle
Fragen nicht das Parlament, also auch nicht ein
Parlamentsausschuß, sondern dis Regierung habe,
wurde der Regierung die „Konzession" gemacht, daß
der Ausschuß mit der Regierung zusammen in
einem „autzerordemlichen Kabinettsrat" berate, wenn
auch die Mitglieder der Regierung an der Abstim-
mung nicht tciinchrn.cn dürfen. Auch das „Wie-
der a ufb au g r f e tz" wurde wesentlich ver-
bessert und namentlich das Rech! der Regierung,
die Agrarzölle wieder einzusühren, ge-
lt r i ch e n.
Wohl ist der Erfolg nur ein Teilerfolg, und in
dc-u „Wiederausbaugesetz" sind noch genug
schwere Belästigungen der breiten Massen
erhalten geblieben. Die Sozialdemokraten haben
omy sowohl gegen dieses Gesetz wie gegen die Gen-
fer Protokolle und u ur fü r d a s V er f a f s u n g s-
ge setz über den „außerordentlichen Kcibinettsrat"
gestimmt, das die Ausschaltung des Parla-
ments auf hebt. Die Verantwortung für
die Genfer Vereticharungen und für die An, wie