^KgeZzeitrmg für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, Eberbach, Mosbach, Buchen,
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Heidelberg, Donnerstag, 21. Sept. 1922
Nr. 221 * 4. Jahrgang
Verantwort!.: Für innere u. Süßere Politik, Volkswirtschaft ».Feuilleton:
Dr. E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales:
O.Geib el; für die Anzeigen: A. Friedmann, sämtl. in Heidelberg.
Druck u. Verlag der Unterbadischen Vsrlagsanstalt G. m. b. H., Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schröderstraße 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahms 2673, Redaktion 2648.
Sozialdemokratie und Völkerbund.
Für den Beitritt Deutschlands. — Gegen den Wucher.
Augsburg, den 26. September.
Am Metten Tage der Aussprache über den Bericht der Neichs-
tagsfraMsn kamen Redner einer etwas oppositionell eingestellten
Stimmung ergiebig zu Wort. Ihr geistvollster Kopf, Hermann
Wendel, trug ein witzig schillerndes, politisches Feuilleton vor,
mit manchem guten Gedanken über politisches Philistertum und
über den Wert der Begeisterung in der politischen Bewegung, Viel
Zustimmung fand seine Kritik an der Reichswehr und ihrem Mi-
nister. Der Frankfurter Genosse Markwald polemisierte mit
weniger Glück gegen die Taktik der Fraktion in den Fragen des
Steuerkompromisses und der Erfassung der Sachwerte. Löbe und
Hermann Müller rückten die Schiefheiten in den Vorwürfen
hegen die Fraktion in sehr eindrucksvollen Roden und in kamerad-
schaftlichen Formen zurecht. Die Auseinandersetzung war ein Be-
weis, wie in unserer Partei taktische Gegensätze sich ohne Heftigkeit
und Gehässigkeit gegeneinander abwägen können, wenn die Sorge
um das Wohl der Partei und die Zukunft des Sozialismus beide
Strömungen beherrscht. Die Begründung der zusammenfasseuden
Entschliessung des Parteivorstandes gegen die Wirtschastsnöte und
den Wucher gab wirkungsvoll Genossin Bohm-Schuch, Ne auch
noch einmal die Notwendigkeit des Kampfes gegen den Alkoholis-
»tits hervmchob. Wiederholt wurde die Frage erörtert, ob nicht ein
Vorstotz zur Ausnahme Deutschlands in den Völkerbund zu machen
sei, Vor allem Dr. Strecker rind Löbe sprachen sich in diesem
Sinne aus. Der in den letzten Tagen vielfach angegriffene Genosse
Sol! m a n n erhielt heute in seiner Auffassung über die nationale
Bewegung lebhafte Unterstützung durch den oberschlesischen Ge-
nossen und den Vertreter des Saargebiets, Genossen Schäfer. Hin-
sichtlich des Verhältnisses zwischen Arbeitern und Bauern traten
der Landarbeiterführer Schmidt und der bayerische Kleinbauer
Genosse Gentner an Sollmanns Seite. Nach einem kurzen
Schlußwort Hans Bogels wurden die überaus zahlreichen An-
träge, die zum Fraktionsbericht gestellt waren, zu einem großen
Teil angenommen. Ein anderer Teil wurde der Fraktion zur Be-
rücksichtigung überwiesen. Ein Antrag Markwald und Getroffen,
der die schnellste Ersetzung des Reichswehrministers Getzler durch
einen tatkräftigen Republikaner forderte, war nicht mehr genügend
unterstützt, weil er durch einen anderen Antrag, der in entschieden-
ster Weise die Republtkanisierung der Reichswehr fordert, über-
flüssig geworden war. Markwald erklärte im Namen einer Reihe
von Delegierten, sie hielten es für die Pflicht der Reichstagsfrak-
tton, die Konsequenz aus dem Beschluß auf Republikanisierung der
Reichswehr zu ziehen.
*
Dritter Verhandlungstag.
Um 9^ Uhr eröffnete Genosse Wels die Verhandlungen. Er
stellt zunächst richtig, daß dem Genossen Broßwitz nicht, Wie die
sollst schätzenswerte „Frankfurter Zeitung" behauptete, am Montag
das Wort entzogen worden ist. Darauf wird die Diskussion über
den Bericht der Reichstagsfraktion fortgesetzt.
Nachdem sich verschiedene Redner zum Bericht der Reichstags-
fraktion geäußert hatten, erhält Gen. Dr. Strecker-Darmstadt
das Wort: Mit unseren inneren Nöten werden wir nicht fertig,
solange der außenpolitische Druck auf uns lastet. Deswegen ist
die Frage, was wir tun können, um im Wege der Außenpolitik
unsere innenpolitische Lage zu erleichtern. Unser Volk hat den
Rapallovertrag begrüßt, weil er der erste wirkliche Friedensvertrag
war. Er hat uns aber im Ausland nicht die Früchte gebracht, die
wir erwarteten. Das Ausland kennt sehr wenig von der wahren
Stimmung des deutschen Volkes, die Meinung des Auslandes wird
durch die Attentatspolitik unserer Reaktionäre bestimmt. Wir
Mussen alle Anstrengungen machen, daß jeder Wähler und jede
Wählerin die schwere Verantwortung begreift, die sie auch auf dem
Gebiete der auswärtigen Politik zu tragen Haven. Das Proletariat
muß sich die Einrichtung des Völkerbundes erobern. Wir müssen
in unserer Außenpolitik den Machtfaktor des Völkerbundes, hinter
dem die Entente steht, einstellen. Deutsch sind wir gerade dann,
wenn wir die Völkerbundsideen im Sinne unserer besten Denker
erfassen. (Beifall.)
Georg Schmidt-Köpenick: Die Landwirtschaft ist schuld
daran, daß das Umlagcgesetz nicht so geschaffen wurde, wie es den
landwirtschaftlichen Verhältnissen entspricht. Der Stand des Dol-
lars darf für Die Landwirte nicht ausschlaggebend sein bei der Fest-
setzung der Preise.
Hermann W e n d e l - Frankfurt a. M-: Die Einigung bedeutet
gefühlsmäßig und in der Sehnsucht der Massen Alles. Aber auch
die Einigung ist nur ein tönendes Erz und eine klingende Schelle,
wenn nicht der feste Wille dahinter steht, sie in politische Energie
umzumnnzen. (Sehr richtig.) Ich habe die feste Hoffnung, daß die
Einigung beflügelnd wirken wird. Die Sendboten einer großen
vorwärtsdrängenden Partei können aber nicht arbeiten, wie die
Agenten einer Versicherungsgesellschaft, die die Leute nur von den
Vorteilen ihrer Firma überzeugen wollen. Wehe uns, wenn wir
die Hochspannung der Seelen ausschalten wollten von unserer
Arbeit. — Die Reichswehrfrage ist die zentrale Frage von Leben
und Sterben. Das weiß in Deutschland jeder außer dem Unglück»
-Eigen Herrn Getzler, daß die Wehrmacht der Republik leider eine
Armee gegen die Republik ist. (Sehr richtig!) Seit dem Kapp-Putsch
»at sich eine gewisse Umbildung der Reichswehr vollzogen. Sie
besteht darin, daß seither aus der Reichswehr alle Elemente heraus -
gedrängt wurden, die nur entfernt einer republikanischen Gesinnung
Mdäcbtigt waren. (Lebhafte Zustimmung. Aber daß es möglich
ist, eine republikanisch-zuverlässige Truppe zu schaffen, hat ja Oester-
reich bewiesen. Treffen wir unsere Vorkehrungen, ehe es zu spät
ist. (Lebh. Beifall.)
Es sprachen noch verschiedene Redner zu der Frage der Reichs-
wehr, außerdem noch gegen den Wucher, besonders scharf wandte
sich Gen. Markwald-Frankfurt gegen die Reichstagsfraktion.
In Görlitz ist gesagt worden, daß wir nicht in die Regierung gehen
Würden, wenn nicht die monarchistischen Offiziere aus der Reichs-
wehr entfernt werden. Auch später ist Aehnliches wiederholt ge-
sagt worden. Und noch ist nichts in dieser Richtung geschehen.
Ohne Erfassung der Sachwerte können wir nicht mehr mit neuen
Steuern vor das Volk treten. Redner verlangt schließlich, daß die
Fraktion stärkeres Gewicht ayf die Frage der Sozialisierung legt,
denn ohne Sozialisierung ist eine Hebung der Produktion unmög-
lich. (Beifall.)
Lö Le-Berlin: Es hat in vielen Kreisen unserer Partei eine
gewisse Verstimmung darüber gegeben, daß sich die Fraktion mit
der Zwangsanleihe an Stells der Erfassung der Sachwerte absinden
mußte. Wir müssen aber im Parlament auch Forderungen erhebe»,
die nicht im ersten Ansturm durchgesetzt werden können (Sehr
richtig!), und wir können nicht immer die letzten Konsequenzen
ziehen, wenn unsere Forderungen nicht sofort durchgesührt werden.
(Sehr gut!) Als zum ersten Male die Frage der Getreidepreise
in der Fraktion zur Debatte stand, waren Wir uns darüber schlüssig,
daß Wir an einer bestimmten Höhe der Umlage und an einem be-
stimmten Preise festhalten und, wenn wir nicht ^durchdringen, die
Verantwortung für Not und Teuerung dm bürgerlichen Parteien
rechts von uns überlassen müssen. In diesem Augenblicke kamen die
Schüsse gegerr Rathenau, es pntstaud eine neue Situation Konnten
wir da noch sagen: wir überlassen die Verantwortung den anderen?
Es muß immer die Wichtigkeit der Fragen gegeneinander abge-
wogen werden. (Sehr richtig!) Redner geht noch auf verschiedene
politische Vorgänge ein und spricht zum Schluß für dm Eintritt in
den Völkerbund und schließt mit den Worten: Unser Eintritt in
dm Völkerbund wird volles Verständnis in der ganzen WM finden.
(Lebhafter Beifall.)
Nach weiteren Aeußerurrgm sprechen noch in der Vormittags-
sitzung Adolf Braun und Hermann Müller.
Adolf Braun: Wie es in den Wald hineinschallt, so schallt
es zurück. Die Parteigenossen sollten nicht so empfindlich sein,
das sind zumeist diejenigen, die ihre eigenen Worte gar nicht
wissen.
Das Problem der Sachwerte hatten wir schon in der Na-
lionalpersamnklung. In der Steuervorlage von Erzberger, als es
sich um das ReichsNotopfer handelte, war der Gedanke vollstänDi-g
enthalten, daß das Reich an allen großen industriellen und ähn-
lichen Unternehmungen teilhaben soll. Damms warm wir stär-
ker als heute im Parlament, und es ist uns dennoch Nicht gelun-
gen, diese Forderung durchzusetzen. Auch ich bin der Meinung,
daß die Erfassung der Sachwerte eine Notwendig-
keit für uns ist. Das Verständnis für die Agrarfrage ist in
der Partei sehr erheblich gestiegen. Die Landarbeiter müssen die
Verdesürung ihrer Levenslage gegen die Agrarier und nicht mit
den Agrariern durchsetzen. Es ist richtig, daß wir alles tun
müssen, damit der Boden sehr viel trägt. Wir Müssen aber auch
alles tun, damit die Arbeiter die Erträgnisse des Bodens kaufen
können. Der Schrei nach der freien Wirtschaft war einer der
größten Fehler. In der Frage der Reichswehr Haven wir
alles Interesse, gegen die deutschnationalen Offiziere, die aus dem
alten Heer übernommen wurden, mit aller Entschiedenheit aufzu-
treten. Aber der Kampf gegen die Reichswehr an sich ist das un-
politischste, was ich mir vorstellen kann. Wir müssen der Reichs-
wehr zeigen, daß die Demokratie ganz andere Zustände geschaffen
hat, als sie im alten Heere bei der elenden Entlohnung und schlech-
ten Unterkunft warm. (Zustimmung.)
Hermann Müller-Berlin Wenn man hier der Fraktion
den Rücken stärken will, so sind wir damit einverstanden. Was
die Behandlung der kulturellen Fragen im Reichstag betrifft, so
gibt es keinen in der Fraktion, -der davon befriedigt wäre. Aber
die Dinge liegen in Deutschland so, daß wir infolge der schwieri-
gen finanziellen Lage auf kulturellem Gebiete nicht immer Las
durchsetzen konnten, was wir durchsetzen wollten, und daß uns
die großen außenpolitischen Fragen und die Brotfrage noch immer
mehr auf die Nägel brennen. Nach dem Görlitzer Parteitag Haven
wir bei den Verhandlungen, die wir Wer die Regierungsbildung
führten, die Forderung der Erfassung der Sachwerte in den Vor-
dergrund gestellt. Damals Haven alle bürgerlichen Parteien er-
klärt, daß sie diese Politik nicht mitmachen werben, wenn nicht die
Reparationslasten erleichtert werden. Für uns stand Die Sache so,
ob wir uns in die Ecke stelle» sollten, weil wir in Dem Augenblick
diese Forderung nicht durchsetzen konnten. Auch in Der Frage der
Zwangsanleihe Haven wir zunächst an- der Goldanleihe s-estge-
halten. Wenn das in der letzten Zeit nicht mehr der Fall war, so
ist das eine Folge der Geldknappheit, die überall vorherrscht. Wir
brauchen eine gewisse Stetigkeit in der Politik. (Sehr richtig!)
Wenn -wir dauernd aus der Regierung herausgingen und eine
Oppositions-Politik machten, so fände das vielleicht bei den Massen
vier und da Anklang, Wer das wäre eine Politik, die der deut-
schen Bourgeoisie und dem deutschen Kapital zugute kommen
würde. Die Pattei kann nicht auf die Dauer das Schicksal der
Republik der Deutschen Volkspartei und dem Zentrum überlassen,
die von -den Deutschnationalm gestützt werden müssen, wenn sie
die Mehrheit erhalten wollen-. (L.'bhaf'w Bei-M.)
Vorsitzender Simon schließt um 1 Uhr die Vormittags-
sitzung.
Nachmi 1 tagssitzung.
Vorsitzender Wels eröffnet die Verhandlungen nachmittags
kurz nach 3 Uhr. Die Diskussion über den Bericht der Reichstags-
fraktion wird fortgesetzt. Auch die Aussprache in der Nachmittags-
sitzung drehte sich in der Hauptsache- um die Bekämpfung des
Wuchers und uM die Reichswehr, auch wurde noch manche Kritik
am Verhalten der Reichstagsfraktion bet verschiedenen Fragen
geüvt.
Voge l- Nürnberg (Schlußwort): Die Kritik, die an der Frak-
tion geübt wurde, war wohl mehr der Ausdruck der Unzufrieden-
heit mit den Verhältnissen, die wir in Deutschland haben. Jeder
von uns hat das Geschick, in Versammlungen ebenso radikal zu
sprechen, wie irgend ein anderer. Uns liegt aber daran, Klarheit
über die Schwierigkeiten zu schassen, mit denen wir in Deutschland
zu rechnen haben; Dazu besteht besondere Veranlassung im Hin-
blick aus den außerordentlich schweren Winter, der uns bevorsteht.
Bet der Kritik an der Fraktion wurde vielfach vergessen, daß wir
in der Minderheit tm Reichstag sind. Aber selbst wenn wir die
Mehrheit hätten, hätten wir mit ungeheuren Hemmungen zu rech-
nen, die aus den Krieg und seine Folgeerscheinungen zurückzuführen
sind. Wir verkennen ganz gewiß nicht Dis Gefahren, die der Repu-
blik durch die Reichswehr erwachsen können und zum Teil erwachsen
sind, aber wir- dürfen auch in dieser Frage nicht nervös sein. Bei
einer Kritik der Reichswehr dürfen wir nicht vergessen, daß die
Arbeiterschaft selbst einen nicht geringen Teil Schuld daran hat,
wenn die Reaktion heute in der Reichswehr sehr stark vertreten ist.
(Sehr wahr!) Wenn sich wirklich ein Arbeiter gesunden hat, der
in die Reichswehr hineingegangen ist, daun wurde er als Bluthunds
als Arbeiterverräter bezeichnet. (Sehr gut!) Die Arbeiter, die in
die Einwohnerwehren hineingegangen sind, wurden in ihrem Ar-
beitsveryältnis boykottiert. Wenn die Industrie nicht so stark be-
schäftigt wäre, würden allerdings auch mehr Arbeiter in die Reichs-
wehr gehen. Die Besetzung des Postens des ReichstvehrmintsterS
ist natürlich in hohem Matze auch eine Personenfrage, über die die
Fraktion in einer Unzahl von Sitzungen gesprochen hat. Es ist bis
zu einem gewissen Grade nicht verwunderlich, wenn sich die mo-
narchistischen Offiziere nicht von heute auf morgen umgestellt haben.
In der französischen Republik gibt es noch heute monarchistische
Offiziere, und Frankreich hat die dritte Republik. Wir werden
allerdings alles daran setzen, daß bet uns die erste Republik er-
halten bleibt. In bezug auf die Koalittonspolttik bitten wir, es
bei dem zu lassen, wie es im vorigen Jahr in Görlitz beschlossen
worden ist. Der Fraktionsvorstand ist auch sicher gern bereit, dem
Parteitag jeweils Bericht über die Behandlung der überwiesenen
Anträge zu erstatten. Der Fraktion ist es im übrigen nur erwünscht,
wenn möglichst viel Anregungen an sie herankommen. Jedes ein-
zelne Mitglied der Fraktion ist bemüht, in vollem Maße seine Pflicht
zu erfüllen. Die Fraktion Muß aber vom Vertrauen der breiten
Massen gestützt und gestärkt werden. Möge die Kameradschaft und
das Zusammengehörigkeitsgefühl, das bisher die Fraktion be-
herrscht hat, auch in der verstärkten Fraktion vorherrschen, zum
Nutzen der gesamten Arbeiterschaft und unserer geeinten starken
Partei. (Beifall.)
In der nunmehr folgenden Abstimmung wird zuerst der An-
trag des Part-eivorstandes gegen den Levensmittelwucher ange-
nommen:
„Die enorme Preissteigerung aller Lebensmittel und Be-
darfsartikel, die der Entwertung der Mark folgten, drückt die
Lebenshaltung Der Arbeiterklasse, der Angestellten, Beamten und
weitere Schichten des -Mittelstandes auf einen Tiefstand, der
politisch für die deutsche Republik eine schwere Gefahr
bedeutet. Wenn auch anerkannt werden muß, daß die Entwer-
tung der Mark im wesentlichen durch das rücksichtslose Verhalten
der Entente hervorgerufen wurde, so darf nicht übersehen wer-
den, daß die hieraus resultierenden Ukbelstiinde sich durch Trei-
bereien an der Börse und am Warenmarkt verschlimmerten.
Der Parteitag fordert, daß die Regierung alle notwendigen
Maßnahmen viersogen ergreift, insbesondere mutz einge-
schritten werden gegen Geschäftsabschlüsse, die im inländi-
schen Warenverkehr in fremder Währung erzwungen
werden. Es muß Vorsorge getroffen werden, daß die Speku-
lation im DeviseNhaMe-l vessiHgt wird. Die Einfuhr ist auf
das ntow-endigste Maß zu beschränken, die Produktion und die
Ausfuhr zu fördern, um sine Besserung der Handelsbilanz Her-
beiguführen. Die Regierung mutz gegenüber der P r eispol i-
t -i k der Kartelle und Trusts eine strenge -Kontrolle aus-
üb em
Zur Sicherung unserer Leb-ensmittelversorgung HM der
Parteitag solgenD-e Maßnahmen für notwendig:
1. Die im Gesetz als Umlage f-estges-etzte Getreidem-enge
-ist restlos abzuliesern. Der G e tre»dcprciS bat iich in. den
Grenzen zu halten, daß das Brot zu erschw-inMche-n Preisen für
die Miudervemittellen abgegeben werden kann.
2. -Verbot gewerbsmäßiger Herstellung und FeWaltung von
K u ch e n und KonDitoröiwaren.
3. Heranziehung aller ieislungsfätngen Kreise von Handel
und Industrie zur Ausbringung der Mittel für den Lcbensb.e-
darf Der am schwersten leidenden Volksleile (Sozial-, Klein-
rentner UsW.t.
4. Begünstigung der Abschlüsse von Lieferun-gsperträge für
Kartoffeln. Ist die Versorgung durch freiwillige Vertragsab-
sMüffe nicht zu er reichen, so i st die Lieferung zu erzwinge».
s. Der Zucker aus der -heimischen Erzeugung ist zunächst
Mr den V-er'Srauch im Haushalt freiWM'b-en. -Gewerbe, sw
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Nr. 221 * 4. Jahrgang
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Sozialdemokratie und Völkerbund.
Für den Beitritt Deutschlands. — Gegen den Wucher.
Augsburg, den 26. September.
Am Metten Tage der Aussprache über den Bericht der Neichs-
tagsfraMsn kamen Redner einer etwas oppositionell eingestellten
Stimmung ergiebig zu Wort. Ihr geistvollster Kopf, Hermann
Wendel, trug ein witzig schillerndes, politisches Feuilleton vor,
mit manchem guten Gedanken über politisches Philistertum und
über den Wert der Begeisterung in der politischen Bewegung, Viel
Zustimmung fand seine Kritik an der Reichswehr und ihrem Mi-
nister. Der Frankfurter Genosse Markwald polemisierte mit
weniger Glück gegen die Taktik der Fraktion in den Fragen des
Steuerkompromisses und der Erfassung der Sachwerte. Löbe und
Hermann Müller rückten die Schiefheiten in den Vorwürfen
hegen die Fraktion in sehr eindrucksvollen Roden und in kamerad-
schaftlichen Formen zurecht. Die Auseinandersetzung war ein Be-
weis, wie in unserer Partei taktische Gegensätze sich ohne Heftigkeit
und Gehässigkeit gegeneinander abwägen können, wenn die Sorge
um das Wohl der Partei und die Zukunft des Sozialismus beide
Strömungen beherrscht. Die Begründung der zusammenfasseuden
Entschliessung des Parteivorstandes gegen die Wirtschastsnöte und
den Wucher gab wirkungsvoll Genossin Bohm-Schuch, Ne auch
noch einmal die Notwendigkeit des Kampfes gegen den Alkoholis-
»tits hervmchob. Wiederholt wurde die Frage erörtert, ob nicht ein
Vorstotz zur Ausnahme Deutschlands in den Völkerbund zu machen
sei, Vor allem Dr. Strecker rind Löbe sprachen sich in diesem
Sinne aus. Der in den letzten Tagen vielfach angegriffene Genosse
Sol! m a n n erhielt heute in seiner Auffassung über die nationale
Bewegung lebhafte Unterstützung durch den oberschlesischen Ge-
nossen und den Vertreter des Saargebiets, Genossen Schäfer. Hin-
sichtlich des Verhältnisses zwischen Arbeitern und Bauern traten
der Landarbeiterführer Schmidt und der bayerische Kleinbauer
Genosse Gentner an Sollmanns Seite. Nach einem kurzen
Schlußwort Hans Bogels wurden die überaus zahlreichen An-
träge, die zum Fraktionsbericht gestellt waren, zu einem großen
Teil angenommen. Ein anderer Teil wurde der Fraktion zur Be-
rücksichtigung überwiesen. Ein Antrag Markwald und Getroffen,
der die schnellste Ersetzung des Reichswehrministers Getzler durch
einen tatkräftigen Republikaner forderte, war nicht mehr genügend
unterstützt, weil er durch einen anderen Antrag, der in entschieden-
ster Weise die Republtkanisierung der Reichswehr fordert, über-
flüssig geworden war. Markwald erklärte im Namen einer Reihe
von Delegierten, sie hielten es für die Pflicht der Reichstagsfrak-
tton, die Konsequenz aus dem Beschluß auf Republikanisierung der
Reichswehr zu ziehen.
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Dritter Verhandlungstag.
Um 9^ Uhr eröffnete Genosse Wels die Verhandlungen. Er
stellt zunächst richtig, daß dem Genossen Broßwitz nicht, Wie die
sollst schätzenswerte „Frankfurter Zeitung" behauptete, am Montag
das Wort entzogen worden ist. Darauf wird die Diskussion über
den Bericht der Reichstagsfraktion fortgesetzt.
Nachdem sich verschiedene Redner zum Bericht der Reichstags-
fraktion geäußert hatten, erhält Gen. Dr. Strecker-Darmstadt
das Wort: Mit unseren inneren Nöten werden wir nicht fertig,
solange der außenpolitische Druck auf uns lastet. Deswegen ist
die Frage, was wir tun können, um im Wege der Außenpolitik
unsere innenpolitische Lage zu erleichtern. Unser Volk hat den
Rapallovertrag begrüßt, weil er der erste wirkliche Friedensvertrag
war. Er hat uns aber im Ausland nicht die Früchte gebracht, die
wir erwarteten. Das Ausland kennt sehr wenig von der wahren
Stimmung des deutschen Volkes, die Meinung des Auslandes wird
durch die Attentatspolitik unserer Reaktionäre bestimmt. Wir
Mussen alle Anstrengungen machen, daß jeder Wähler und jede
Wählerin die schwere Verantwortung begreift, die sie auch auf dem
Gebiete der auswärtigen Politik zu tragen Haven. Das Proletariat
muß sich die Einrichtung des Völkerbundes erobern. Wir müssen
in unserer Außenpolitik den Machtfaktor des Völkerbundes, hinter
dem die Entente steht, einstellen. Deutsch sind wir gerade dann,
wenn wir die Völkerbundsideen im Sinne unserer besten Denker
erfassen. (Beifall.)
Georg Schmidt-Köpenick: Die Landwirtschaft ist schuld
daran, daß das Umlagcgesetz nicht so geschaffen wurde, wie es den
landwirtschaftlichen Verhältnissen entspricht. Der Stand des Dol-
lars darf für Die Landwirte nicht ausschlaggebend sein bei der Fest-
setzung der Preise.
Hermann W e n d e l - Frankfurt a. M-: Die Einigung bedeutet
gefühlsmäßig und in der Sehnsucht der Massen Alles. Aber auch
die Einigung ist nur ein tönendes Erz und eine klingende Schelle,
wenn nicht der feste Wille dahinter steht, sie in politische Energie
umzumnnzen. (Sehr richtig.) Ich habe die feste Hoffnung, daß die
Einigung beflügelnd wirken wird. Die Sendboten einer großen
vorwärtsdrängenden Partei können aber nicht arbeiten, wie die
Agenten einer Versicherungsgesellschaft, die die Leute nur von den
Vorteilen ihrer Firma überzeugen wollen. Wehe uns, wenn wir
die Hochspannung der Seelen ausschalten wollten von unserer
Arbeit. — Die Reichswehrfrage ist die zentrale Frage von Leben
und Sterben. Das weiß in Deutschland jeder außer dem Unglück»
-Eigen Herrn Getzler, daß die Wehrmacht der Republik leider eine
Armee gegen die Republik ist. (Sehr richtig!) Seit dem Kapp-Putsch
»at sich eine gewisse Umbildung der Reichswehr vollzogen. Sie
besteht darin, daß seither aus der Reichswehr alle Elemente heraus -
gedrängt wurden, die nur entfernt einer republikanischen Gesinnung
Mdäcbtigt waren. (Lebhafte Zustimmung. Aber daß es möglich
ist, eine republikanisch-zuverlässige Truppe zu schaffen, hat ja Oester-
reich bewiesen. Treffen wir unsere Vorkehrungen, ehe es zu spät
ist. (Lebh. Beifall.)
Es sprachen noch verschiedene Redner zu der Frage der Reichs-
wehr, außerdem noch gegen den Wucher, besonders scharf wandte
sich Gen. Markwald-Frankfurt gegen die Reichstagsfraktion.
In Görlitz ist gesagt worden, daß wir nicht in die Regierung gehen
Würden, wenn nicht die monarchistischen Offiziere aus der Reichs-
wehr entfernt werden. Auch später ist Aehnliches wiederholt ge-
sagt worden. Und noch ist nichts in dieser Richtung geschehen.
Ohne Erfassung der Sachwerte können wir nicht mehr mit neuen
Steuern vor das Volk treten. Redner verlangt schließlich, daß die
Fraktion stärkeres Gewicht ayf die Frage der Sozialisierung legt,
denn ohne Sozialisierung ist eine Hebung der Produktion unmög-
lich. (Beifall.)
Lö Le-Berlin: Es hat in vielen Kreisen unserer Partei eine
gewisse Verstimmung darüber gegeben, daß sich die Fraktion mit
der Zwangsanleihe an Stells der Erfassung der Sachwerte absinden
mußte. Wir müssen aber im Parlament auch Forderungen erhebe»,
die nicht im ersten Ansturm durchgesetzt werden können (Sehr
richtig!), und wir können nicht immer die letzten Konsequenzen
ziehen, wenn unsere Forderungen nicht sofort durchgesührt werden.
(Sehr gut!) Als zum ersten Male die Frage der Getreidepreise
in der Fraktion zur Debatte stand, waren Wir uns darüber schlüssig,
daß Wir an einer bestimmten Höhe der Umlage und an einem be-
stimmten Preise festhalten und, wenn wir nicht ^durchdringen, die
Verantwortung für Not und Teuerung dm bürgerlichen Parteien
rechts von uns überlassen müssen. In diesem Augenblicke kamen die
Schüsse gegerr Rathenau, es pntstaud eine neue Situation Konnten
wir da noch sagen: wir überlassen die Verantwortung den anderen?
Es muß immer die Wichtigkeit der Fragen gegeneinander abge-
wogen werden. (Sehr richtig!) Redner geht noch auf verschiedene
politische Vorgänge ein und spricht zum Schluß für dm Eintritt in
den Völkerbund und schließt mit den Worten: Unser Eintritt in
dm Völkerbund wird volles Verständnis in der ganzen WM finden.
(Lebhafter Beifall.)
Nach weiteren Aeußerurrgm sprechen noch in der Vormittags-
sitzung Adolf Braun und Hermann Müller.
Adolf Braun: Wie es in den Wald hineinschallt, so schallt
es zurück. Die Parteigenossen sollten nicht so empfindlich sein,
das sind zumeist diejenigen, die ihre eigenen Worte gar nicht
wissen.
Das Problem der Sachwerte hatten wir schon in der Na-
lionalpersamnklung. In der Steuervorlage von Erzberger, als es
sich um das ReichsNotopfer handelte, war der Gedanke vollstänDi-g
enthalten, daß das Reich an allen großen industriellen und ähn-
lichen Unternehmungen teilhaben soll. Damms warm wir stär-
ker als heute im Parlament, und es ist uns dennoch Nicht gelun-
gen, diese Forderung durchzusetzen. Auch ich bin der Meinung,
daß die Erfassung der Sachwerte eine Notwendig-
keit für uns ist. Das Verständnis für die Agrarfrage ist in
der Partei sehr erheblich gestiegen. Die Landarbeiter müssen die
Verdesürung ihrer Levenslage gegen die Agrarier und nicht mit
den Agrariern durchsetzen. Es ist richtig, daß wir alles tun
müssen, damit der Boden sehr viel trägt. Wir Müssen aber auch
alles tun, damit die Arbeiter die Erträgnisse des Bodens kaufen
können. Der Schrei nach der freien Wirtschaft war einer der
größten Fehler. In der Frage der Reichswehr Haven wir
alles Interesse, gegen die deutschnationalen Offiziere, die aus dem
alten Heer übernommen wurden, mit aller Entschiedenheit aufzu-
treten. Aber der Kampf gegen die Reichswehr an sich ist das un-
politischste, was ich mir vorstellen kann. Wir müssen der Reichs-
wehr zeigen, daß die Demokratie ganz andere Zustände geschaffen
hat, als sie im alten Heere bei der elenden Entlohnung und schlech-
ten Unterkunft warm. (Zustimmung.)
Hermann Müller-Berlin Wenn man hier der Fraktion
den Rücken stärken will, so sind wir damit einverstanden. Was
die Behandlung der kulturellen Fragen im Reichstag betrifft, so
gibt es keinen in der Fraktion, -der davon befriedigt wäre. Aber
die Dinge liegen in Deutschland so, daß wir infolge der schwieri-
gen finanziellen Lage auf kulturellem Gebiete nicht immer Las
durchsetzen konnten, was wir durchsetzen wollten, und daß uns
die großen außenpolitischen Fragen und die Brotfrage noch immer
mehr auf die Nägel brennen. Nach dem Görlitzer Parteitag Haven
wir bei den Verhandlungen, die wir Wer die Regierungsbildung
führten, die Forderung der Erfassung der Sachwerte in den Vor-
dergrund gestellt. Damals Haven alle bürgerlichen Parteien er-
klärt, daß sie diese Politik nicht mitmachen werben, wenn nicht die
Reparationslasten erleichtert werden. Für uns stand Die Sache so,
ob wir uns in die Ecke stelle» sollten, weil wir in Dem Augenblick
diese Forderung nicht durchsetzen konnten. Auch in Der Frage der
Zwangsanleihe Haven wir zunächst an- der Goldanleihe s-estge-
halten. Wenn das in der letzten Zeit nicht mehr der Fall war, so
ist das eine Folge der Geldknappheit, die überall vorherrscht. Wir
brauchen eine gewisse Stetigkeit in der Politik. (Sehr richtig!)
Wenn -wir dauernd aus der Regierung herausgingen und eine
Oppositions-Politik machten, so fände das vielleicht bei den Massen
vier und da Anklang, Wer das wäre eine Politik, die der deut-
schen Bourgeoisie und dem deutschen Kapital zugute kommen
würde. Die Pattei kann nicht auf die Dauer das Schicksal der
Republik der Deutschen Volkspartei und dem Zentrum überlassen,
die von -den Deutschnationalm gestützt werden müssen, wenn sie
die Mehrheit erhalten wollen-. (L.'bhaf'w Bei-M.)
Vorsitzender Simon schließt um 1 Uhr die Vormittags-
sitzung.
Nachmi 1 tagssitzung.
Vorsitzender Wels eröffnet die Verhandlungen nachmittags
kurz nach 3 Uhr. Die Diskussion über den Bericht der Reichstags-
fraktion wird fortgesetzt. Auch die Aussprache in der Nachmittags-
sitzung drehte sich in der Hauptsache- um die Bekämpfung des
Wuchers und uM die Reichswehr, auch wurde noch manche Kritik
am Verhalten der Reichstagsfraktion bet verschiedenen Fragen
geüvt.
Voge l- Nürnberg (Schlußwort): Die Kritik, die an der Frak-
tion geübt wurde, war wohl mehr der Ausdruck der Unzufrieden-
heit mit den Verhältnissen, die wir in Deutschland haben. Jeder
von uns hat das Geschick, in Versammlungen ebenso radikal zu
sprechen, wie irgend ein anderer. Uns liegt aber daran, Klarheit
über die Schwierigkeiten zu schassen, mit denen wir in Deutschland
zu rechnen haben; Dazu besteht besondere Veranlassung im Hin-
blick aus den außerordentlich schweren Winter, der uns bevorsteht.
Bet der Kritik an der Fraktion wurde vielfach vergessen, daß wir
in der Minderheit tm Reichstag sind. Aber selbst wenn wir die
Mehrheit hätten, hätten wir mit ungeheuren Hemmungen zu rech-
nen, die aus den Krieg und seine Folgeerscheinungen zurückzuführen
sind. Wir verkennen ganz gewiß nicht Dis Gefahren, die der Repu-
blik durch die Reichswehr erwachsen können und zum Teil erwachsen
sind, aber wir- dürfen auch in dieser Frage nicht nervös sein. Bei
einer Kritik der Reichswehr dürfen wir nicht vergessen, daß die
Arbeiterschaft selbst einen nicht geringen Teil Schuld daran hat,
wenn die Reaktion heute in der Reichswehr sehr stark vertreten ist.
(Sehr wahr!) Wenn sich wirklich ein Arbeiter gesunden hat, der
in die Reichswehr hineingegangen ist, daun wurde er als Bluthunds
als Arbeiterverräter bezeichnet. (Sehr gut!) Die Arbeiter, die in
die Einwohnerwehren hineingegangen sind, wurden in ihrem Ar-
beitsveryältnis boykottiert. Wenn die Industrie nicht so stark be-
schäftigt wäre, würden allerdings auch mehr Arbeiter in die Reichs-
wehr gehen. Die Besetzung des Postens des ReichstvehrmintsterS
ist natürlich in hohem Matze auch eine Personenfrage, über die die
Fraktion in einer Unzahl von Sitzungen gesprochen hat. Es ist bis
zu einem gewissen Grade nicht verwunderlich, wenn sich die mo-
narchistischen Offiziere nicht von heute auf morgen umgestellt haben.
In der französischen Republik gibt es noch heute monarchistische
Offiziere, und Frankreich hat die dritte Republik. Wir werden
allerdings alles daran setzen, daß bet uns die erste Republik er-
halten bleibt. In bezug auf die Koalittonspolttik bitten wir, es
bei dem zu lassen, wie es im vorigen Jahr in Görlitz beschlossen
worden ist. Der Fraktionsvorstand ist auch sicher gern bereit, dem
Parteitag jeweils Bericht über die Behandlung der überwiesenen
Anträge zu erstatten. Der Fraktion ist es im übrigen nur erwünscht,
wenn möglichst viel Anregungen an sie herankommen. Jedes ein-
zelne Mitglied der Fraktion ist bemüht, in vollem Maße seine Pflicht
zu erfüllen. Die Fraktion Muß aber vom Vertrauen der breiten
Massen gestützt und gestärkt werden. Möge die Kameradschaft und
das Zusammengehörigkeitsgefühl, das bisher die Fraktion be-
herrscht hat, auch in der verstärkten Fraktion vorherrschen, zum
Nutzen der gesamten Arbeiterschaft und unserer geeinten starken
Partei. (Beifall.)
In der nunmehr folgenden Abstimmung wird zuerst der An-
trag des Part-eivorstandes gegen den Levensmittelwucher ange-
nommen:
„Die enorme Preissteigerung aller Lebensmittel und Be-
darfsartikel, die der Entwertung der Mark folgten, drückt die
Lebenshaltung Der Arbeiterklasse, der Angestellten, Beamten und
weitere Schichten des -Mittelstandes auf einen Tiefstand, der
politisch für die deutsche Republik eine schwere Gefahr
bedeutet. Wenn auch anerkannt werden muß, daß die Entwer-
tung der Mark im wesentlichen durch das rücksichtslose Verhalten
der Entente hervorgerufen wurde, so darf nicht übersehen wer-
den, daß die hieraus resultierenden Ukbelstiinde sich durch Trei-
bereien an der Börse und am Warenmarkt verschlimmerten.
Der Parteitag fordert, daß die Regierung alle notwendigen
Maßnahmen viersogen ergreift, insbesondere mutz einge-
schritten werden gegen Geschäftsabschlüsse, die im inländi-
schen Warenverkehr in fremder Währung erzwungen
werden. Es muß Vorsorge getroffen werden, daß die Speku-
lation im DeviseNhaMe-l vessiHgt wird. Die Einfuhr ist auf
das ntow-endigste Maß zu beschränken, die Produktion und die
Ausfuhr zu fördern, um sine Besserung der Handelsbilanz Her-
beiguführen. Die Regierung mutz gegenüber der P r eispol i-
t -i k der Kartelle und Trusts eine strenge -Kontrolle aus-
üb em
Zur Sicherung unserer Leb-ensmittelversorgung HM der
Parteitag solgenD-e Maßnahmen für notwendig:
1. Die im Gesetz als Umlage f-estges-etzte Getreidem-enge
-ist restlos abzuliesern. Der G e tre»dcprciS bat iich in. den
Grenzen zu halten, daß das Brot zu erschw-inMche-n Preisen für
die Miudervemittellen abgegeben werden kann.
2. -Verbot gewerbsmäßiger Herstellung und FeWaltung von
K u ch e n und KonDitoröiwaren.
3. Heranziehung aller ieislungsfätngen Kreise von Handel
und Industrie zur Ausbringung der Mittel für den Lcbensb.e-
darf Der am schwersten leidenden Volksleile (Sozial-, Klein-
rentner UsW.t.
4. Begünstigung der Abschlüsse von Lieferun-gsperträge für
Kartoffeln. Ist die Versorgung durch freiwillige Vertragsab-
sMüffe nicht zu er reichen, so i st die Lieferung zu erzwinge».
s. Der Zucker aus der -heimischen Erzeugung ist zunächst
Mr den V-er'Srauch im Haushalt freiWM'b-en. -Gewerbe, sw