Nr. 286
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!W«.zeilMg sir Sie mrMlige BeMlenim der Amtsbezirk Melberi. MesIO, SimWm, WWe,, Mrba», Msbach, WW, »Meim, Anberg. rMerbNoMiw«. Werchew
4. Jahrgang
Heidelberg, Dienstag, den 10. Oktober 1922
Der W W WM.
Eine ungeheure Welle der Erbitterung geht durch
vas arbeitende Volk aller Stände. Die schamlose
Wsplünderiung derjenigen. Kreise, die kaum noch
^iivas haben, ihre Blöße zu bedecken, hat Formen
angenommen, Die Uber kurz oder lang zur Kata-
u r opHe führen müssen. Es ist dem Volke ein-
fach glattweg unnrögtich, länger diesen Zustand zu
Mlden, wenn es sich nicht selbst ausgeben will.
Die Warnungszeichen, die am Horizont stehen,
sind bitter ernst. Zn Thüringen ist nach einer amt-
nchen Mitteilung schon an verschiedenen Stellen
Eundskorbut ausgebrochen, jene Krankheit der
Hungernden, die das Zahnfleisch zu dicken, schwam-
migen Wülsten anschwellen läßt und dann auf den
kanzen geschwächten Körper übergreift. Das ist die
r-olge von schlechter und mangelhafter Ernährung
und Uebemnstrengttng des Körpers; die ersten Zei-
ten, daß die Substanz der deutschen Arbeitskraft
ungegriffen ist und bedrohlich zusammenschrumpft.
Angesichts dieser Tatsache noch von einer Verlänge-
rung des Arbeitstages, Von einer Beseitigung der
"«Mündigen Arbeitszeit zu reden, ist nicht nur stnn-
'"s, sondern geradezu ein Verbrechen.
Doch nicht genug damit: das Gespenst der
Arbeitslostgkeit, das uns seit Jahren drohte
Mw Mr durch die Verschleuderung deutscher Arbeits-
msrte ins Ausland infolge der mangelhaften Ent-
chhuung unserer Arbeiterschaft gebannt werden
wnnte, erscheint in diesem Winter kn voller unheim--
ucher Größe. Das kommt in erster Linie daher, daß
"us dem Jnlandsmarkt, diesem größten Absatzgebiet
'edes Jndustrievolkes, die Kaufkraft zusam-
men g e b r o ch e n ist. In dem Wettlauf Mit dm
streifen ist die große Masse der Arbeiter und An-
Mellten ermattet zurückgeblieben, und der Atem ist
Uns ausgegangen, während die Preisbewegung nach
"oen unbeirrt weitergeht. Schon kommen die ersten
stieldungen Uber größere Betriebseinschrän-
l Ung en, die Zahl der Arbeitslosen steigt und das
Staatswesen steht vor schwersten Erschütterungen,
-llles deshalb, weil Löhne und Gehälter nicht mehr
"usreichen, das Notdürftigste zu beschaffen.
Das ist das freie Spiel der Kräfte in einem
Lande, dessen VorMtsräume und Scheunen bis in
me letzte"Ecke leergekratzt sind; Las freie Spiel der
Kräfte und die Beseitigung jeder staatlichen und
Gesellschaftlichen Kontrolle, wie es die bürgerlichen
starteten in ihrem Kamps gegen die Zwangs-
U'irtschaft durch ihren Mehrhettswillen im
Reichstag durchgeführt haben. Das furchtbare Elend
M. s schutzlos dem Wucher preis gegebenen Volkes
wrW blitzartig erhellt durch die Tatsache, daß viele
Wichtige Bedarfsartikel auf dem deutschen Markt
bereits Die Weltpreise überflügelt haben,
während unsere Löhne einen Bruchteil der
Löhne des Auslandes betragen. In einem
Lande entsetzlicher Warmknappheit die Zügellosig-
keit der sogonantm freien Wirtschaft einzuführen, be-
hütet nichts anderes, als sich auf Gnade oder Un-
Made dem schamlosesten Wucher auszultefern. Das
cht der Erfolg, den die bürgerlichen Mehrheitspar-
nien als Vertrauensmänner der Kapitalisten und
Agrarier dem deutschen Volke, das sie gewählt
Mr, darbieten können.
Es ist charakteristisch, Daß die rapide Steigerung
"r Preise keinen Augenblick Halt gemacht hat, trotz-
en: der, außenpolitische Druck nachge-
s s e n und die deutsche Mark sich eine Zeitlang
"ns einer festeren Lage behaupten konnte. Der Beute-
oUg auf die Taschen der breiten Massen war einmal
w Gange und keine Kraft war da, ihn auszuhalten.
-tta wahrhaft demagogischer Weise wird den
-Achsen der Arbeiter, Angestellten, Beamten das Fell
.Mr Die Ohren gezogen. Erst verspricht Man ihnen
vom Himmel herunter, wenn Industrie
d > H""del sich frei ausleben könnten, und wenn
«e auf den Schwindel am allermeisten hereingesalle-
N-« F*"uen am Abend eines Lohntages nicht mehr
wchen, wovon sie die nächste Woche haushalten
'Men, dann zuckt man die Achseln und schweigt sich
wer dfg wahren Ursachen aus.
, . -uM sich jetzt in Berlin anläßlich der Heraus-
'mung der Preise für das erste Drittel Der G e -
"eideumlage abspielte, ist ein Kapitel, das
' w Volksgenossen die Wellen Der Erbitterung bis
a Me Schläfen treiben müßte. Trotz des Beschlusses
M wzialdemokratifchen Reichstagsfraktion hat das
.nciMavinett beschlossen, denk Reichstag eine Vor-
- Uber die Verdreifachung der Preise für das
Be^E"el des Umlagegetrctdes zugehen zu lassen.
d?»> Abhängigkeit der bürgerlichen Parteien von
m großagrarischen Einfluß besteht wenig Aussicht,
. * Vorlage im Reichstag von dieser Seite her
erwachsen. So wird denn die Tätig-
k^«^?"^Swmeinschaft Der Mitte
starken Verteuerung des wichtigsten Levens-
. beginnen. Diese Arbeitsgemeinschaft zeigt
rare» ^5." vornherein deutlich ihrm wahren Cha-
- rsr. Sie ist und kann nichts anderes sein als der
"^"block Segen die Arbeiterklasse.
Verdreifachung der Umlagepretse für das
N, ,7„ Drittel Lsdeutet, so schreibt Abg. Gen. Dr.
la "" „Vorwärts", eine wesentliche Be-
höa»"^ Reiches und eine starke Er-
'Aein,^? * Brotvreise. Die Belastung des
l-ikao 'uehr als 11 Milliarden. Dieser Be-
dolle/ecl? vermindert werden durch eine in
»er Höhe gar nicht mehr mögliche Abwälzung auf
die Verbraucher durch höhere Brotpreise. Diese
steigen zwar ohnedies, weil die Preise für das Aus-
landsgetreide, das zur Aufrechterhaltung der Brot-
versorgung in einer Menge von fast zwei Millionen
Tonnen erforderlich ist, parallel mit der Geldentwer-
tung steigen.
Ein Preis für das Vierpsundvrot von
weit über 100 Ml. ist absolut sicher, zumal wenn die
bürgerlichen Parteien die Verdreifachung der Um-
lagepreise beschließen. Ueber die Gefahren einer
solchen Maßnahme sollte man sich keiner Täuschung
hingeben. Sie belastet nicht nur den einzelnen, häuft
nicht nur ungeheure Sorgen über Millionen von
darbenden Menschen, sondern bringt auch die ge-
samte Wirtschaft in neue Unruhe. Das Rad
der Preissteigerungen wird aufs neue angedreht, so
daß die von der Regierung beabsichtigte an und für
Ist MM men
Neue Attentatsübfichten?
Leipzig, S. Oktober.
Die Kontrollmaßnahmen Der Polizei für die
Zuhörer des Nathcneu-Prozesses werden sehr
streng gehandhabt. Da eine große Anzahl der
Karten zur Erleichterung der Kontrolle zurückge-
zogen worden ist, ist der Zufchauerraum nicht an-
rrähernd so gefüllt, wie an den ersten Verhandlungs-
tagen. Die Angeklagten sind zum Teil noch nicht
ganz von ihrer Erkrankung genesen, besonders
Warnecke steht noch sehr blaß aus.
Miit MiUer Verspätung erscheint Der Gerichts-
hof. Präsident Hagens teilt mit, es habe sich
ergeben, daß die Erkrankung der Angeklagten einen
ernsten Hintergrund habe. Es bestehe be-
gründeter Verdacht, Daß
ein Attentat ans das Leben eines Angeklagten
geplant war. Die Untersuchung sei noch nicht ab-
geschlossen; Doch seien inzwischen verschärfte Sicher-
heitsmaßnahmen getroffen worden.
Der Gerichtsarzt Dr. Schütz soll als Sachver-
ständiger über Den Geisteszustand Tünchers ver-
nommen werden.
Aus Antrag Des Verteidigers kommt es erst zu
einer Aussage eines früheren Schulkollegen
T ü n «Hers, . des- Berliner - Land-Wirtschaftsleh-
rers Duckhart. Seine Aussage bestätigt den Ein-
druck, den man von Günther hat: ein Phantast,
wenn es sich darum handelt, seine eigene Person
herauszustreichen, ein unklarer Kopf und Renom-
mist. Er redete immer großspurig von Beziehun-
gen, ohne daß etwas Dahinter steckte. Seine Tätig-
keit für die „nationale" Bewegung bestand nach der
Kenntnis des Zeugen dann, daß er MdressenMsn
schrieb und bei Vorträgen am Saa-loingang die
Karten abriß. — Dann kam es zu einer
direkten Befragung Günthers
über seine Beziehungen durch Präsident Hagens.
Günther erklärte, Daß er Durch seine Stellung bei
Jago-W zu LudenDorsf gekommen sei. Ueber
den Inhalt seines Gesprächs mit Ludendvrff drückte
er sich sehr undeutlich aus. Später habe er
Ludendorff noch um einen Fahnenspruch gebeten.
LuDendorffs Antwort ist bekannt.
Er halbe auch H etsf e r i ch besucht noch vor dem
Kapp-Putsch und ihn gebeten, in der nationalen
Vereinigung gegen Gewalttaten zu sprechen, und
Helfferich habe Diesem Wunsche entsprochen. Auch
Reventlow habe ihn zu Helfferich gesandt. SlUf
eine Frage des Österreichs anwatts erzählt er, er fei
zum ersten Male im September littst bei der Hin-
denburg-GMMstMsfeter mit Ludendorff zusam-
nwngekommen.
Dr. Schütz als Sachverständiger MV erst einen
Ueberblick über Die abenteuerlichen Reisen Günthers
und erklärte dann, Günther sei zweifellos, ein P s Y-
chopath schwerer Art. Intellektuell >ei ,er
weuW beschädigt, umsomehr Mer ethisch Md ge-
fühlsmäßig. Zusamme»gefaßt sei Günther aber
nicht geisteskrank, sondern nur v erminidert zu-
rechnungsfähig.
Zu Beginn der Sitzung erfährt man von neuen
Bedrohungen der Angeklagten. Der Angeklagte
Voß, der aus freiem Fuß ist, erzählt, daß er über
Sonntag nach Berlin gereist sei und dort in seiner
Stammkneipe (es handelt sich um ein Restaurant
Wolff in der Lutherstratze) einige junge eute getrof-
fen habe, die anscheinend der Organisation C ange-
hörten und ihn wegen feiner Aussagen mit dem
Tod bedroht Haven,
Der Verteidiger Bloch erzählt hierzu bestäti-
gend im Sitzungssaal, es habe sich um einen Herrn
von Mackensen gehandelt, aber beide Parteien
seien betrunken gewesen.
In Der Nachmittagssitzung wird die
Vernehmung Tillessens
fortgesetzt. Zu einer weiteren Aussprache, die Til-
lessen damals am Abend mit Kern und Fischer
in dem im Grünewald gelegenen Restaurant Hunde-
köhls hatte, hat es geschienen, als ob Fischer auf
seiner (Tillessens) Seite stehe. Kern aber habe ge-
sagt: Die Flucht ist vollkommen vorbereitet, wir
haben nur kein Geld.
Präs.: Wollte er Geld von Ihnen? Ange-
klagter: Nein. Ich bin auch der Ueberzaugung,
Daß tatsächlich die Flucht nicht vorbereitet war. Ich
riet Kern noch einmal eindringlich ab, Kern aber
erwiderte: „Wenn ich aus euch höre, dann muß
ich tatsächlich wie ein altes Weib im Pelt sterben."
Am Schluß unserer Aussprache war Kern doch et-
was schwankend geworden. Kern war 5 bis 6
Jahre jünger als ich und Oberleutnant, während ich
Kapitäulentnanr war, ich glaubte also, Einfluß auf
ihn ausüben zu können. Es ist mir überaus pein-
lich, in eine Mordasfäre verwickelt zu fein. Ms
Christ verurteile ich jeden Mord.
sich ultwirksame Beeinflussung Der Arbeitsgemein-
schaften zwecks Erhöhung der Löhne und Gehälter
im Umfang der, Brotpreiserhöhung absolut unge-
rrügend ist. Genau wie von der Kohle geht auch
von der Erhöhung Des Brotpreises eine allge-
meine Steigerung der Warenpreise
aus.
So verschärft sich Dio wirtschaftliche und politische
Lage. Sie offenbart Die Absicht, trotz der Teilnahme
Der Sozialdemokratie an der Regierung die von ihr
zu vertretenden Interessen der Arbeiterklasse geringer
zu achten als die der Agrarier.
Wir stehen vor ernsten Dingen. Täuschen
wir uns nicht über die Erbitterung, die durch das
Land zieht und zur Katastrophe werden kann,
wenn nicht noch rechtzeitig Dämme gegen die
schrankenlose Ausbeutung geschaffen werden.
die Wemmdel
— Deutschnationale Feste.
Präs.: Sie bestreiten jede Beteiligung am
Mord UND wollen keine Kenntnis Davon gehabt
Haven? Angell.: Das Weitz ich nicht, ob ich das
so bestreiten kann (mit weinerlicher Stim-
m e): ich habe in Den 100 Tagen meiner Haft mir
oft die Frage vorgelegt, ov es nicht besser gewesen
Wäre, wenn ich in Berlin geblieben Md Kern bet
mir behalten oder nach Flensburg mitgenommen
hätte. Präs.: Es besteht aber doch eine Ver-
pflichtung, Den Mordplan auzuzeigen. An g e kl.:
Da ich Kern gern mochte, glaube ich nicht, daß mir
der Gedanke gekommen Wäre, ihn anzuzeigen.
Während einer nochmaligen Pause, Die durch
den leidenden Zustand des älteren Techow und des
Warnecke notwendig wird, erhält Rechtsanwalt Dr.
Bloch die Nachricht, daß ein neues Postpaket,
an Plans adressiert, aus Berlin eingegangen ist,
das
Obst
enthält. Ms Absender ist eine hannoversche Firma
angegeben, die Maas namens des Verteidigers
Dr. Bloch Birnen und A-ePsel überreichen ließ. Dr.
Bloch weiß nichts von Der Sendung und erklärt
schließlich, daß er an der Aushändigung des Pa-
kets an Den Angeklagten kein Interesse habe. Nach
W'ieDerauftiahme der Sitzung wird der frühere
Seeoffizier, Angeklagter Hartmut Plaas, ein gu-
ter Freund Tillessens, vernommen. Er war Re-
dakteur der „Völkischen Rundschau" in Frankfurt".
Maas bestätigt, er habe auf dem Spaziergang mA
Salomon, Brand und Ti'llefsen von Dem
Mordplan gehört MD fei Zeuge gewescu, wie Brand
zu Tillesssn sagte, er wolle Kern den Mordplan
aus red en. Er Habs keine Anzeige erstattet, weil
Kern ihm gesagt hatte, er könne wieder abfahren.
D araus schloß er, daß Ker n Den Mord plan aufge-
geben habe. Auch Tillesssn und Salomon sagten
ihm, daß die Sache unterbleiben werde.
Damit ist die Vernehmung der Angeklagten ab-
geschlossen und es VMnnt
das Zeugenverhör.
Ms erster Zeuge wird Kriminalkommif-
far Huth vernommen. Nach der Vernehmung
einiger Kriminalkommissare, Die aber wesentliche
Bekundungen nicht machen, wird Dtudienrat
Rentsch (Berlin) als Zeuge über den sogenannten
Nestabend des deutsch-nationalen Jugendbundes
vernommen. Einige Mitglieder sprachen mit dem
Zeugen über den Mord und als später Günther kam,
riefen ihm Dia jungen Leute aus Scherz zn, er
wäre doch der Mörder Rathenaus. Günther habe
darauf nichts erwidert. Zeuge hat auch mit
Günther gesprochen und ihm gesagt, daß er noch
keine linMteh'öNdeu Zeitungen Uber den Mord habe
lesen können. Günther sagte, er habe sich die Zei-
tungen rechtzeitig bestellt, weil er wußte, daß etwas
los ist. In einer Ansprache kam Zeuge an jenem
Abend auch auf den Mord zu sprechen. Er betonte,
es sei undeuttsch, einen Gegner von hinten zu
erschießen. Zeuge will bei seinen Zuhörern Zustim"
mung gefunden Haben. Er erklärt weiter, Der Nest-
abenD sei nicht ein Vergnügungsabend, sondern ein
Fest von hoher Bedeutung, an dem u. a. auch von
religiösen Problemen gesprochen werde.
Auf die Frage des Rechtsanwalts, Günther
solle gesagt Haven, er kenne die Mörder, erwiderte
Z e u g e, Das könne sein, aber sicher habe man ihn
dann auMcklacht, weil man ihn nicht ernst nahm.
Günther habe auch erzählt, man habe zuerst erwo-
gen, Rathenau mit einem Lasso aus dem Auto
zu z iehen.
Auf Befragen erklärt der Zeuge,
mißbilligt hätten die Teilnehmer aM Restabend
die Mordtat wohl kaum.
die Sache war ihnen ziemlich gleichgültig.
Es handle sich um junge Leute von 13—18 Jahren,
die die Tragweite des Attentats nicht faßten. Zeuge
stellt den deutsch-nationalen Jugcndbuud als völ-
lig unpolitisch hin. Es habe kein Parteiton,
sondern der Bismarckton geherrscht. Der
Bund solle das preußische Wesen, d, h. Pflicht-
erfüllung, fördern.
Ergab sich die Gleichgültigkeit gegenüber einem
Mord aus Der Art, wie die „religiösen Probleme"
»us deutsch-nationalen Festen behandelt werden?
(Die Red.)
Gegen die Frage eines Beisitzers, wie dem Bund
Denn Leute wie der jüngere Dechow ««gehören
könnten, die der Organisation C augefchlof-
sen sind, und Wie sich der JugendbunD Dazu- stellte,
wird von einWt TM Der Verteidiger Einspruch er-
hoben. Der Zeuge fährt fort: Wir wollen den
Geist von Potsdam
pflegen, damit ist aber nicht -gesagt, Daß Der Geist
von Weimar verschwinden soll.
Beisitzer Fehrenbach: Wollen Sie mit dem
Ausdruck „preußische Pflichterfüllung" Preußen ist
Gegensatz zu Deutschland stellen? Zeuge: Nein,
ich denke dabei an Kant und Friedrich den Großen.
F e h renb ach (erregt): Im übrige»
Deutschland stehen auch Männer, die groß genug
sind, um an Kant heranzureichen.
Der Bund verfolgt nach Angabe Des Zeugen
auch antisemitische Tendenzen,, es soll
Mer nicht Vas ganze Judentum bekämpft'werbem
sondern nur der Teil der Juden, der sich materiali-
stischen Tendenzen hingibt.
Nach Vernehmung dieses Zeugen wird die Ver-
handlung auf Dienstag früh 9 Uhr vertagt. Es
soll dann in der Vernehmung der übrigen Zeugen
fortgefahven werden. Nach vorläufiger Disposition
des Gerichtshofes ist das Urteil nicht vor Samstag
zu erwarten.
*
„Verräter gehen um die Ecke!"
Die Vergiftungsasfäre wirkt wie eine ungeheure
Sensation, schreibt Der „Vorwärts". Jeder-
mann Wirst Die Frage auf, woher die vergifteten
Pralinees gekommen sein Wunen. Wer hat ein
Interesse daran, dem Angeklagten Günther Gift in
die Zelle» senden? Und warum gerad e -d e m
Günther, Der doch von den Deutsch-nationale»
VerteiDigern als ein pathologischer Renommist hin-
gestellt wird? Allerdings hat Günther in keiner
komödienhaften Art mehr ausgeplaudcrt, als den
Drahtziehern lieb sein konnte. Vielleicht hätte er
noch mehr gesprochen; wenn er in schärferes Kreuz-
verhör genommen worden wäre. Und da „Verrä-
ter bei uns um die Ecke" gehen, wie der Mörder
Kern dem Garagenbesitzer Schütt erklärte, und da
die Feme gegen Verräter eine der gefährlichsten
Waffen der Organisation C ist — wie schon
im Erzberger-MorDProzeß festgestellt wurde — so
sind Vermutungen nach dieser Richtung Durchaus
naheliegend.
Man muß erwarten, daß die Untersuchung Dieses,
neuen Verbrechens, das die Sühne für Das alte
hiNMszuschieven bestimmt ist, mit aller gebotenen
Gründlichkeit und aller Beschleunigung geführt
wird. Ihr Ergebnis könnte gerade für die Wetter-
führung des schwebenden Prozesses neues Licht
bringen. Die Kanäle d er mit Handgranaten,
Blausäure und Gift arbeitenden Dumkelkreiss
sind so zahlreich, Daß sie endlich einmal ganz ge-
stopft werden müssen.
- --- —-
Die Lage im Reich.
Die Sozialdemokratie gegen die
Spekulationstreiberei.
Berlin, 10. Okt. In dem heutigen Leitartikel
des „Borwkrt s", der sich mit dm» Marksturz be-
schäftigt, heißt es: Der Dollar steht auf fast 3000.
1 Milliarde Gold liegt untätig in den Kassen de«
Reichsbank und trägt nicht zur Stützung der Wäh-
rung bei. Das ist ein unhaltbarer Zustand.
Die Regierung mutz alle Energie darauf verwenden,
um den Sturz der Mark endlich aufzuhatten. Sie
darf dabei auch nicht vor dem subjektiven Urteil von
Männern zurückschrecken, deren Denken und Fühlen
in den Idealen der Vorkriegszeit befangen ist und
die mit dem Goldschatz eine nutzlose Prestigepolitik
treiben. Es ist unbedingt erforderlich, datz dem
Sinken der Mark endlich ein Ziel gesetzt wird.
Man schasse ein wertbeständiges Anlagepapier, etwa
Goldschatzwechsel, verbiete daun rücksichtslos jeden
spekulativen Deviseuhaudel, sorge dafür, datz die
vorhandenen Devisen auch wirklich dem dringenden
volkswirtschaftlichen Bedarf zugute kommen und be-
kämpfe rücksichtslos die Zahlung im Inland mit
ausländischer Währung. Wohl können auch diese
Mittel nicht den sicheren Erfolg verspreche^ aber sie
würden das willkürliche Spiel mit der Kaufkraft
des Volkes endlich einschräuken und der Welt zeigen,
datz das deutsche Volk nicht gesonnen ist, dem Trei-
ben der Spekulation seine Arbeitskraft und
sein Recht auf Leven zu opfern. Und darauf kommt
es an. Aber es ist die höchste Zeit!
Zur Präsidentenwahl.
Konstanz, 9. Okt. Wie das B. T. erfährt,
haben Vertreter der Regierungsparteien gestern in
Konstanz mit dem Reichskanzler wegen der Bildung
eines überparteilichen Ausschusses für eine Kandida-
tur Eberts Rücksprache genommen. Man kam zu
einem Einvernehmen. Nunmehr wird eine Füh-
lungnahme mit der Deutschen Volkspartei erfolgen.
Beginn der Ausgleichsverhand-
lnngsn.
Berlin, 10. Okt. Von zuständiger Stelle wil-
der Tel.-Union bestätigt, daß die Leiter des franzö-
sischen und des englischen Ausgleichsamtes, Alp-
hand und Grey, in Berlin eingetrossen sind.
Der Elberfelder demokratische
Parteitag
hat mit großer Mehrheit folgende Entschlie-
ßung angenommen:
„Der Parteitag erwartet von der Arbeits-
gemeinschaft daß sie dazu beitrügt, alle auf
dem Boden der Republik stehenden Kräfte zu ge-
meinsamer Arbeit zufammenzuschlietzen. Er nimmt
als selbstverständlich an, daß diese Arbeitsgemein-
schaft die Zuständigkeit der Partei und die SttM
rechierhaltung Mer Grundsätze nicht voeUitrM
tigen wird. Insbesondere ist das Ziel,
sammrusMuß nach den VEch'cdo-en