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Winckelmann, Johann Joachim; Balensiefen, Lilian; Borbein, Adolf Heinrich [Editor]; Kunze, Max [Editor]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Editor]; Deutsches Archäologisches Institut [Editor]; Winckelmann-Gesellschaft [Editor]
Schriften und Nachlaß (Band 4,5): Statuenbeschreibungen, Materialien zur "Geschichte der Kunst des Alterthums", Rezensionen — [Mainz am Rhein]: Verlag Philipp von Zabern, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.58927#0040

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Statuen im Belvedere-Hof

Laokoon
Entwurf der Laokoon-Beschreibungfür die „ Gedancken 1755
486 Diese Seele schildert sich in dem Gesichte des Laocoons bey den heftigsten Leiden. Der Schmertz der 5
sich in allen Muskeln und Sehnen des Körpers entdecket, u. welchen man gantz allein, ohne das Gesicht
u. andere Theile zu betrachten <durch die Bewegung> Action der großen Muskeln unter den Ribben u.
<durch> an dem schmertzlich eingezogenen Unterleib u. durch die Action der großen Muskeln dersel-
ben beynahe selbst zu empfindet [empfinden] scheinet, dieser Schmertz sage ich, äußert sich dennoch
mit keiner Wuth in dem Gesichte u. in der gantzen Stellung. Der Schmertz des Körpers u. die Größe 10
der Seele sind <gleich starck ausgetheilet> durch den gantzen Bau der Figur mit gleicher Stärcke ausge-
theilet u. <abgewo[gen]> gleichsam gegeneinander abgewogen. <Er> Laocoon leidet wie des Sophocles
Philoctetes: sein Elend gehet uns bis an die Seele, aber wir wünschten so wie dieser große Mann das
Elend ertragen zu können. Der Ausdruck einer so großen Seele gehet weit über die Bildung der schönen
Natur. <Dem> Der Künstler muste die Stärcke des Geistes <eigen seyn> <fühlen> in sich selbst fühlen, 15
welche er in seinem Marmor einprägete; <ja sie muste ihm eigen sein, wenn> <aber er könte die schönste
Natur bilden ohne von derselben begabt zu seym> Griechenland hatte <Mahler> Künstler u. <Welt>
Weltweisen in einer Person, u. mehr als einen Metrodor; <u.> die Weißheit reichte der Kunst die Hand,
<ehe> <u. die Wercke der K. derselben wurden zu schönsten u. zugl. die weisesten.> u. bließ den Figuren
derselben mehr als gemeine Seelen ein. I Unter einem Gewände, welches der Künstler dem Laocoon 20
als einem Priester hätte geben sollen, würde uns sein Schmertz nur halb so sinnlich <u.> <u. rührend>
gewesen seyn. Bernini hat so gar den Anfang der Würkung des Gifts der Schlange in der einen Lende des
Laocoons an den <Schwund> Erstarrung derselben entdecken wollen. Im Laocoon würde der Schmertz
allein gebildet, Parenthyrsis gewesen seyn; der Künstler gab ihm daher, um das bezeichnende u. edle der
Seele in eins zu vereinigen eine Action die dem Stande der Ruhe in solchem Schmertz der nächste war. 25

Laokoon-Beschreibung in den „Gedancken“, 1. Auflage, Friedrichstadt 1755 S. 19—20
486 Diese Seele schildert sich in dem Gesicht des Laocoons, und nicht in dem Gesicht allein, bey dem hef- 30
tigsten Leiden. Der Schmertz, welcher sich in allen Muskeln und Sehnen des Cörpers entdecket, und
den man gantz allein, ohne das Gesicht und andere Theile zu betrachten, an den schmertzlich eingezo-
genen Unter-Leib beynahe selbst zu empfinden glaubet; dieser Schmertz, sage ich, äussert sich dennoch
mit keiner Wuth in dem Gesichte und in der gantzen Stellung. Er erhebet kein schreckliches Geschrey,
wie Virgil von seinem Laocoon singet: Die Oeffnung des Mundes gestattet es nicht; es ist vielmehr ein 35
ängstliches und beklemmtes Seufzen, wie es Sadolet beschreibet. Der Schmerz des Cörpers und die
Grösse der Seele sind durch den gantzen Bau der Figur mit gleicher Stärcke ausgetheilet, und gleichsam
abgewogen. Laocoon leidet, aber er leidet wie des Sophocles Philoctetes: sein Elend gehet uns bis an die
Seele; aber wir wünschten, wie dieser grosse Mann, das Elend ertragen zu können.

10—12 Der Satz steht mit einem Verweiszeichen unter dem Absatz 23—25 Text des Oktavblattes
 
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