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Winckelmann, Johann Joachim; Balensiefen, Lilian; Borbein, Adolf Heinrich [Editor]; Kunze, Max [Editor]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Editor]; Deutsches Archäologisches Institut [Editor]; Winckelmann-Gesellschaft [Editor]
Schriften und Nachlaß (Band 4,5): Statuenbeschreibungen, Materialien zur "Geschichte der Kunst des Alterthums", Rezensionen — [Mainz am Rhein]: Verlag Philipp von Zabern, 2012

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.58927#0076

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De ratione delineandi

Über die Art der Zeichnung der griechischen Künstler in der ersten Epoche der
Künste, wie sie aus den ältesten Münzen zu ermitteln ist

Die Künste, deren besonderes Ziel die Darstellung des menschlichen Körpers ist, die Malerei nämlich und die
Skulptur, nehmen für sich die uneingeschränkte Bezeichnung ,Kunst', die sie heute besitzen, zu Recht als eigen-
tümlich in Anspruch, und es sei uns erlaubt, diese [Bezeichnung] hier der Verkürzung der Darlegung wegen
anzuwenden.
Derjenige, der die Art der Zeichnung der ersten Zeit oder Epoche der Künste unter den Griechen betrachtet,
muss dieselbe zunächst gegenüber den übrigen Epochen abgrenzen, in denen sie [die Art der Zeichnung] ihren
Anfängen allmählich entwachsen, sich zum höchsten Ruhm erhob und später auf Abwege zu geraten und jäh
abzustürzen begann.
Tatsächlich können vier Epochen der Kunst festgestellt werden: die erste, die man als Jugend ansprechen
kann, bis zum Zeitalter des Phidias; die zweite, die diesen und die übrigen Leuchten der Kunst - Polyklet, My-
ron, Skopas und Polygnot - hervorgebracht hat, soll zu Recht mit dem Namen einer erhabeneren Kunst gefeiert
werden, auf sie folgte die Epoche der eleganteren Kunst, beginnend mit Praxiteles bis zu den Zeiten, in denen mit
der Freiheit auch die Künste in Griechenland ausgelöscht wurden; die vierte schließlich ist die Epoche des Verfalls
und der fehlgeleiteten Kunst.
Da in der gegenwärtigen Abhandlung unsere Aufgabe darin bestehen soll, die älteste von diesen Epochen zu
verfolgen, werden wir zuerst über die aus ihr erhaltenen Monumente [handeln], dann über deren Zeichnung, die
unsere Zeitgenossen ,Stil‘ nennen, ein Begriff, der von uns als gleichbedeutend auch im selben Sinn gebraucht
werden wird; weiterhin werden wir über die berühmten Künstler dieser Epoche handeln.
Aus dieser alten Epoche stammen — wie aus jeder — fünf [2] Gattungen von Denkmälern: Statuen, Reliefs,
Gemmen, Münzen und Tongefäße, von denen aus der ersten Epoche keine große Menge überkommen ist: Es
gibt Gemmen, Münzen und Gefäße; über Statuen und Reliefs jedoch, welche die Kunst des ältesten Zeitalters
aufweisen, mag das Urteil unsicher sein, ob sie griechisch oder eher etruskisch sind, da es feststeht, daß die Künst-
ler beider Völker in ihren Werken bewundernswert übereinstimmten, wie im Folgenden dargelegt werden wird.
Statuen dieser Art sind ein Apollo [GK DenkmälerNr. 297] alter Kunst im Kapitolinischen Museum, die Größe
eines Menschen überragend, und ein anderer [GKDenkmäler Nr. 296], diesem ähnlich, im Palast der Fürsten
Conti, gefunden auf dem Vorgebirge Circeo, das im Gebiet der Volsker, nicht der Griechen lag. Die einzige in
Rom verbliebene unter den griechischen Statuen, von der gesagt werden könnte, sie sei älter als das Zeitalter des
Phidias, scheint die Pallas [GKDenkmälerDr. 411] im Palazzo Giustiniani zu sein.
Dasselbe gilt für Reliefs beziehungsweise Monumente mit erhobener Arbeit, welche ein hohes Alter zeigen
— wenn man von jenem einzigen, nach England verbrachten absieht, auf dem ein junger Palästrit namens Man-
thus [GKDenkmäler Dr. 870] zusammen mit einem sitzenden Jupiter dargestellt ist; beigefügt ist eine griechische
Inschrift, die in der Art der Ackerfurchen [boustrophedon] angeordnet ist.
 
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