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Winckelmann, Johann Joachim; Balensiefen, Lilian; Borbein, Adolf Heinrich [Editor]; Kunze, Max [Editor]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Editor]; Deutsches Archäologisches Institut [Editor]; Winckelmann-Gesellschaft [Editor]
Schriften und Nachlaß (Band 4,5): Statuenbeschreibungen, Materialien zur "Geschichte der Kunst des Alterthums", Rezensionen — [Mainz am Rhein]: Verlag Philipp von Zabern, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.58927#0050

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Statuen im Belvedere-Hof

verliehret das Gedächtniß den ersten Anblick des Steins und scheinet er weichliche zarte Materie zu
sehen <werden>. Ob dieses Stück schon ohne Kopf, Arme noch Beine ist, so bildet die Vollkommenheit
des übrigen in unseren Gedanken schönere Glieder, als wir jemahls gesehen haben. Die Gottheit und
Vollkommenheit erscheinet so wohl durch die Form als Zärtlichkeit der mächtigen Muskeln des vergöt-
terten Helden. Derjenige so eine Begrifvon der Großheit der Griechischen Künstler hat, wird in seinen 5
Gedanken leicht die verlohrnen Theile ersetzen. Denn da man im gantzen Körper keine Nothdürftige
theile als Härte der Knochen, angespannte Sehnen Nerven oder Adern siebet, so stellet man sich leicht
vor, wie in dem Haupt die Gottheit des Vaters gewesen sey, <auf?> aus den üb [rig ge]bliebenen Schultern
ersiehet man die Stärcke deßen der nach der Poet[isch]en Beschreibung] den Himmelsglobfus] getra-
gen. In der Leichtigkeit und Schmäle des Bauchs erscheinet die immer gesunde vollkommene Natur 10
[bricht ab]
[p. 25/168] Br. il Torso
Wenn ich den Torso von Belvedere besehe, so weiß ich nicht, ob ich mehr traurig über den Verlust der
schönen Glieder oder frölich über den wunderschönen Körper, so uns übrig bleibt, seyn soll. Dieses 15
Stück, so ohne Kopf Arme und Beine ohne Brust und Achseln [,] an welchen also nur der Rücken [,]
Seiten und Bauch mit ziemlich verdorbenen Schenkeln zu sehen, verdienet dennoch den Rang mit den
allerschönsten Werken des Alterthums, so uns übrig geblieben.
Man <siehet> findet in diesem Stück alle Ideen der grösten Kunst der alten Meister. In seiner großen
Art und Character <fmdet> erkennet man, wie schön ein Jupiter von solchen Künstler würde seyn 20
vorgestellet worden. Man findet gleichsam das Göttliche Wesen, was einen Leib, der nicht mehr mit
295 Menschlicher Speise genähret wird, zu kommt [.] Die flüßigen Conturen eines Apollos sind in dem
Systema der Kunst auch in diesem Stück zu finden. <Der> Ja ich kan sagen, daß er einer höheren Zeit
486 der Kunst näher kommt als wie der Apollo selbst. Es findet sich die Weißheit des Künstlers des Laocoons
und die Fleischigkeit findet sich in keinem anderen Bilde wie in diesem. 25
In der Form ist er mächtig und in der Arbeit zärtlich. Die Anatomie ist in ihrem höchsten Grad
verstanden und mit solcher Sparsamkeit gewiesen, daß der weise Künstler sie siehet, und der einfältige
sie nicht darin finden kan, noch es glauben kan.
Die Gebeine <sind> scheinen mit einer fettlichen Haut überzogen: die Muskeln sind feist ohne den
geringsten Überfluß. Die Sehnen sind sparsam gezeiget, die Adern siehet man gar nicht. 30
[p. 27/166] <Weil dieses ohne Zweifel> Daraus siehet man daß dieses Stück ohne Zweifel einen
schon vergötterten Hercules hat vorstellen sollen. Darnach sind alle Theile eingerichtet. Denn es ist
keine Härtigkeit <ohne> oder sehr starke Action der Muskeln zu sehen, wie es in Menschlichen Körpern
seyn könte. Um ein so schönes Stück in Malerey vorzustellen, so müste Raphael den ersten Riß davon
geben, Michel Angelo ihn mit seinen mächtigen Umschweifen vergrößern, und nur allein Correggio 35
könte ihn mahlen. Denn wer könte sonsten die immerwährend veränderten Formen so in diesem Körper
erscheinen, mahlen und mit Licht und Schatten ausdrücken.

Man welchen nachgetragen.
 
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