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74«

UN kommt im bieder» Land der Eichen
w®«' Wmälig wieder man zur Ruh.
Man deckt des Wahlkampfs „schöne" Leichen
Mit Kalk und schwarzer Erde zu,

Jndcß man tiefbetrübt die Posten
Der Spesen sich zusammenstcllt,

Denn auch die Niederlagen kosten
Bekanntlich ja ein Heidengeld.

Ruhe nach dem Sturm.

Fürsorglich packt die Sonntagsphrase
Der Neichssreund nun in Watte ein,

Und die entrüstete Emphase
Verschließt er im polirten Schrein.

Es wandern selber die Posaunen
Voll Hast in irgend ein Verließ,

In die man zu der Hörer Staunen
Mit aufgeblas'nen Backen stieß.

Was aus dem großen, heil'gen Kampfe
An Wahlplakaten übrig bleibt,

Das wandert in die Lumpenstampfe,
Die achtlos ihre Räder treibt,

Und die mit souveräner Kühle,

Was der Kartell-Apostel schreibt,

Im Wallen heiligster Gefühle,

Zn einem grauen Brei zerreibt.

Zur Ruhe wieder sind gekommen
Die Herrn Studenten bunt bemützt,

Die zu des Reiches Heil und Frommen
Als Treiber sinnig man benützt,

Was man an Sängern, Turnern, Schützen
Und alten Kriegern laut beschwor,

Das schwer bedrohte Reich zu stützen,

Es legte sich erschöpft auf's Ohr.

Wie thut nach all' den Wahldepeschen,
Nach dem Getute dumpf und hohl,

Wie thut nach all' dem Zungcndreschen
Die Ruhe und die Stille wohl!

Zum Glück, ihr Herrn Kartellgcnossen,
War all' die Mühe für die Katz.

Ihr geht zerbläut, gerupft, begossen
Und krumm und lendenlahm vom Platz.

Berlin, Ende Februar.

Lieber Jacob!

Nu schlage Eener lang hin, nu sind wir dicke durch mit die Wahlen,
un propper war et ooch, »ich? Jena» so wie ick Dir vorher sagte. Uff
mir kannste wat jeden, wenn et aut Prophezeien jetzt, bet kann ick Dir sagen,
denn det is jrade meine Forsche. Die Soziahldemokraten und ihre „Be-
jünstiger" haben det Spiel jewonnen. Mit die sog. „Bejünstiger" mochte
ich mal 'n ernstes Wort reden, aber ick bin heile so kartellsprengerisch ufs-
jclegt, det ick mir nich ärgern mag. Eijecn soll sein Feit schon noch kriegen.

De Arbeeter haben ihren Friehling in '» Herzen und hier in Berlin
wird et so sachte ooch draußen Friehling, nn denn jetzt nischt icber unsere
Rcichshauptstadt. In det feine Viertel sollen se sogar schon eenen Spreng-
wagen jesehcn haben, u» det is vor jeden Berliner det feinste sämmt-
licher Jefichle. Et wird nich lange dauern, denn schwirren de Maikeeber
nich blos uff't Tempclhofer Feld rum, nee denn fliejen se durch de Luft
un denn sind wir hier immer scheenc raus mit siebzig nn een Freiloos.
Ratierlich meene ick hiermit de jeweehnlichc prcißsche Lotterie un nich
etwa de Schloßfreiheitslottcrie, wo de Berliner nu partuh nich ran
wollen. Da haben se een Haar drin jefunden, wat ick se icbrijens nich
verdenken kann. Spielst Du ooch Lotterie? Ick ooch nich. Det feinste
Jeschäft bei dem Rummel macht naticrlich Widder Eijeen Richter, der macht
in seine Zeitung vorne immer det Lotterie-Institut schlecht, aber hinten
nimmt er janz stillekens die jut bczahlren Annoncen nfs. Jeld riecht ja be-
kanntlich nich 'n bisken, det wird blos immer feste injesackt.

Aber et wird wirklich Friehling in Berlin. Det merkste am besten an
die mächtije Reiselust, die Plötzlich in janz bestimmten Jesellschaftsklassen ausge-
brochen is. Die is noch doller wie die Influenza, mit die wir ja nu jlicklicher

Weise so ziemlich fertig sind. Vorläufig hat se nn man erst die Kassirer von
verschiedene jroße Bankinstitute ergriffen, ick meene naticrlich de Reiselust, un
wenn Eener reisen will, denn is de Hauptsache, wenn er et sich een kleenet
Bisken jemiethlich unterwegs machen will, det er ooch 'n Paar Jroschcn Jeld
hat, denn sonst kann er naticrlich nich erster Siete abdampfen. Da wundert
et mir denn nu jarnich, wenn die Brieder, ehe se polnischen Abschied von
ihre Chefs nehmen, sich erst noch de Taschen orndtlich vollstoppen.

Det Anjenehmste bei die unerquickliche Sache is aber, det die Durch-
brcnnerei und die Mopscrci nich blos in de koofmännischen Kreise bleibt.
Nee, neilich haben se doch hier sojar eene sehr feine Stitze der christlichen
Kirche, der noch dazu Majistratsbeamter war, abjehalstert, weil der Bruder,
sich aus de Kirchenkasse die Kleinigkeit von sechzigdausend Märker, soville is
bis jetzt man blos sestjestellt, anjeeignet hatte. Ratierlich hatte der Onkel
et riesig neethig, er mußte, wenn er nich zufällig in 'ne Kneipe saß, zu
Hause eenen seidenen Schlafrock anhaben, wat ick bis jetzt jloobte, det et
blos bei de Ticken in de Tirkei Mode wäre. Aber wat Modesachen anbe-
trefft, da komme ick noch vierzehn Dage hinter de Russen, un deswejen
verstehe ick ooch von die Feinheiten nischt. Det so'n frommer Mann sich
von sein anstrengcndet Kisteraint jeden Sommer in de dhcierste Seebäder
zur Stärkung seiner Jesundheit uffhalten mußte, det finde ick blos selbst-
verständlich. Ratierlich hatte er sich bei sonne anjenehmen Beschäftijungen
det Kirchenjeld so nach un nach janz un jar zu Jemicthe jefiehrt, un nu
sitzen de Fremmsten von de janze Jemeinde — ick weeß nich, welche et is,
et is mir ooch ejal — mit dicke Koppe da un rechnen den jrnzen Tag,
weil se doch jerne rauskricjen möchten, wie un wo sich der liebe Jottesmann
eijentlich mit det ville Jeld amiesirt hat.

Aber et jiebt ooch noch anspruchslose Leite bei uns, det kann ick Dir

Ein Parlamrnksrnüdrr.

Moderne Erzählung von Siglirund Schwartz.

crr Piefke, der bekannte Abgeordnete, ist ein sehr frommer Mann,
©eine Wähler wissen das zu würdigen. Wenn er in seinen
Reden die Berderbniß und Verkommenheit der großen Städte,
^ namentlich Berlins, schilderte, wenn er von dem Luxus und dem
Laster sprach, dann konnte er seine Wähler so rühren, daß man in den Augen
alter wetterharter Männer eine verstohlene Thräne glänzen sah. Wenn die
Frauen seine Wählerversammlungen besucht hätten, so wären Ströme von
Thränen geflossen. Herrn Pieske's Wähler waren meistens Bauern, und
wenn sie sonst auch hartgesottene Leute waren, so ging die Zerknirschung
bei den Reden ihres Abgeordneten so weit, daß man behauptete, auch der
reiche Bauer Schulz von Hinterhausen, der sein Geld nur zu sieben Prozent
auslieh, habe einmal geweint, als Piefke sprach. Boshafte Leute behaupteten
freilich, es seien Krokodilsthränen gewesen. Aber man weiß ja, wie die
böse Welt nrthcilt.

Pieske's Gattin, seine liebenswürdige Laura, theilte die Anschauungen
ihres Gatten vollständig, und was er ihr von der Berderbniß des modernen
Babel, wie er Berlin nannte, zu wissen that, das trug sie in ihre Kaffee-
kränzchen, wo ihr die Damen mit offenem Munde zuhörten.

„Ja, Berlin ist eine verderbte Stadl", pflegte sie mit frommem Angen-
aufschlag zu sagen. „Aber die Strafe der Vorsehung Ivird nicht auSbleiben."

Laura hätte sich die sündige Stadt auch einmal gerne in der Nähe an-
gesehen, allein ihr Gatte nahm sic niemals mit, wenn er auch die ganze
Session gewissenhaft in Berlin auf seinem Posten als Volksvertreter war.
Umsonst hat ihn Laura darum; er sagte dann immer mit Würde, eine zarte
und fromme Frau thäte am Besten, Berlin fcrnzubleiben.

Als er wieder fort war, hielt es Laura nicht mehr aus, denn sie war
sehr neugierig und Pieske's Schilderungen hatten ihre Sehnsucht, dies ver-
derbte Berlin einmal mit eigenen Augen zu sehen, auf's Höchste gesteigert.
Sie dachte ihrem Mann eine Freude zu bereiten, wenn sie ihn plötzlich
überraschte, denn er inußte doch auch Sehnsucht nach seinem lieben Weibchen
haben.

Gedacht, gethan; eines schönen Tages setzte sich Laura in den Schnell-
zug und fuhr nach Berlin. Sic ging vom Bahnhof sofort nach dem Hotel,
wo ihr Mann zu wohnen pflegte und wohin sie ihre Briefe adressirte.

Als sie dort ankam, srug sie beim Portier nach ihrem Manne. Der
Portier wies sie an den Oberkellner und dieser in seinem Frack, seiner weißen
Krawatte und mit seinem glattrasirten Gesicht, sah sie mit einem etwas un-
verschämten Lächeln an.

„Sie wünschen zu Herrn Piefke, licbeö Kind?" sagte er, indem er die
jugendliche und sehr einfach gekleidete Frau von oben bis unten musterte.

Laura war empört.

„Ich bin seine Frau", sagte sie mit Nachdruck.

„Ah", verbeugte sich der Oberkellner, „man kann das nicht wissen.
Verzeihen Sic, es sind hier oft so eigenthümliche Verhältnisse" ....

„Verhältnisse?" sagte Laura zornig, „was soll das heißen? Führen Sie
mich zu meinem Mann!"

„Er ist ausgegangen."

„Wohin?"

„In das Theater!"

„In das Theater?" stammelte Laura. Das konnte nicht wahr sein.
Denn Piefke hatte ja so oft gerade das Theater als eine Brutstätte der
Berderbniß bezeichnet. Nein, das war nicht möglich. Dieser widerwärtige
Mensch wollte sie zum Besten haben.

„Unmöglich!" sagte sie. Der Kellner sah sie erstaunt an.

„Doch", sagte er, sich verbeugend. „Wenn die gnädige Frau sich nur
selbst überzeugen wollen".

Laura war außer sich. Aber sie gewann ihre Ruhe tviedcr. Kurz ent-
schlossen ließ sie eine Droschke holen und suhr nach dem Theater, das ihr
der Oberkellner näher bezeichnet hatte; der unangenehme Mensch sah mit
einem recht malitiösen Lächeln hinter ihr drein.

Zitternd betrat sic das Theater, vor dem ihr Mann die sündige Welt
so ost gewarnt hatte. Sie hatte eine Loge genommen und setzte sich so,
daß sie sich leicht vor den Blicken des Publikums verbergen konnte. Ohne-
dies war sie verschleiert.

Sie spähte umher — richtig, im ersten Rang saß ihr Gatte. Während
er sonst immer sehr salbungsvoll aussah, that er hier, als tvärc er zu
Hause und plauderte lustig und ausgelassen, wie es schien, init einem gecken-
 
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