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774

(Europa Amerika.

(Siehe Seite 772 und 773.)

Ein ficbcrgcschütteltcs, bleiches Weib, statt einer blühenden Augenweide!
Wie schmerzt ihr der junge, der zarte Leib vom engen Panzer, vom Eisenkleide;
Wie späht umher sie in Sorg' und Hast, daß unerwartet kein Hieb sie träfe, —
Wie drückt ihr des wuchtenden Helmes Last die brennende Stirn und die

hämmernden Schläfe!

Und immer noch tastet sie scheu und wild umher mit angstvoll-bebenden Händen —
Die wuchtige Klinge, der eherne Schild, sie müssen die drohende Rüstung vollenden,
Damit sie jede Stunde zum Streit gewappnet bis an die Zähne finde,
Denn Unheil brütet die gährcndc Zeit und Trompctengeschmetter bringen die

Winde.

Nicht kann sie in sorglosem Kindermuth des Nachts das Haupt in die Kissen betten,
Denn was sie umwogt wie Halmenfluth, ist ein Wald von starrenden Bajonetten.
Und ein schweres Wetter am Himmel steht, und sie sieht durch des schwarzen

Vorhangs Ritze,

Sie sieht, wenn der Wind ihn zur Seite weht, die hastig zuckenden, fahlen Blitze.
Was aber zeigt ihr das Flackerlicht, ehe das Dunkel es nimmt von hinnen?
Riesengeschütze, drohend und dicht, flatternde Fahnen auf Mauern und Zinnen,
Und auf der Mcerfluth im schneeigen Schaum, drinnen sonst Fische nur regen

die Flosse,

Sieht sie geschaukelt, halb wach, halb im Traum, schwarze, gespenstige Eisenkolosse.
Träge noch schlummern sic, friedlich zum Schein, sie aber sicht sic bereits in

Gedanken

Feuer und Rauch ohne Ende spei'n aus den geöffneten, gähnenden Flanken,
Sie aber hört von dem zitternde» Strand, den sie in Dunkel am Tage hüllen,
Weit sie hinein in das blühende Land drohend aus eisernen Rachen brüllen.
Ruhe! Wer so sie verscherzt und verlor, sucht sie vergebens im Schlummer

zu lernen —

Frühe schon schreckt sie vom Lager empor Trommeln und Pfeifen aus weiten

Kasernen,

Hört sie, von Sehnsucht nach Frieden so voll, Taktschrilt und hastig ge-
bietendes Rufen,

Schwerer Geschütze dumpfes Geröll, flüchtig Getrappel von klirrenden Hufen.
Und um die Lippen, die blühenden, hat herb sich gelagert der Ausdruck des

Härmens —

Ist sie des Rüstens, des fiebernden, satt, müde des sinnevcrwirrendcn Lärmcns?
Fühlt sie brechen das wankende Knie, fühlt die gemarterte Kraft sie erliegen?
Fragt sie verzweifelnd, ob nie und nie Völker an Völker sich brüderlich schmiegen?
Armes, vom Fieber geschütteltes Weib! Wird von der Macht des Druckes, des

bösen,

Wie von der Rüstung den schmerzenden Leib, nie dich ein Tag von Damaskus

erlösen?

Ein junges, frohes, rosig-schöneS Weib, beglückt und stolz, daß es die Freiheit

schütze —

Im leichten Florgewand den schlanken Leib, auf dem Gelock die kecke Phrygermütze l
Sie schaut umher, im Auge Helles Licht, und auf den Lippen ihres Munds erblühte
Das stille Lächeln treu geübter Pflicht, das Lächeln edler Sinnigkcit und Güte,
Denn die, geschirmt, gesegnet und befreit, in ihres Reiches weiten Grenzen wohnen,
Sie bringen ihr voll Kindesdankbarkeit im Ueberfluß die Schätze dreier Zonen.
Sie bringen ihr, was ihrer Erde Grund in märchenhafter Ueppigkcit entsprungen,
Sic bringen ihr, was immer Stund' um Stund' dem Stoff die Hand ge-
duldig abgerungen.

Zu ihren Füßen wogt ein goldnes Meer, ein unabsehbar Meer vonblondcn Aehren;
Bald hat sie Brot genug, um nebenher die alte Welt, die kranke, zu ernähren.
Und von dem blauen, klaren Himmel lacht die Sonne so auf ernste, dunkle Tannen,
Wie auf die bunte, heitre Blumenpracht u. auf den Falterschimmer der Savannen.
Wohin sie schaut, ein Ernten, endlos fast, von Trauben übervoll des Herbstes

Bütten,

Und unter Aesten, brechend von der Last, der freien Männer friedlich-stille Hütten.
Wo sich die Fluth an ihre Küsten drängt, als ob im Kusse Mund u. Mund sich träfen,
Wie Schiff um Schiff sich durch die Molen zwängt und buntbewimpelt schwimmt

in ihre Häfen!

Wie weit sie spähen mag hinaus ins Meer — es zieht heran mit schwanen-
weißen Segeln,

Und stolze Flotten suchen den Verkehr, den täglich wachsenden, für sie zu regeln.
Sie bringen nimmer in der Jahre Lauf ihr blut'gc Opfer heim zu thcuren Sieges,
Und blitzt es je von ihren Borden auf, ist ein Salutschuß es, kein Gruß des Krieges.
Und Friede sinkt des Nachts auf ihren Pfühl und ihre Schläfe kränzt der Gott

der Träume,

Verebbte allgemach des Tags Gewühl, verödeten die dicht belebten Räume,
Und was sie früh aus sanftem Schlummer weckt, das ist der Eisenräder

sausend Schwingen,

Der Gruß des Niesen, der die Glieder reckt, und muntrer Hämmer takt-
gemäßes Klingen.

Um ihre Lippen irrt, wenn sie erkannt, wie ihres Schicksals Herr'n all ihre Kinder,
Ein leises Lächeln, das dem Spott verwandt und doch dem echten Mitgefühl

nicht minder.

Sie blickt mit Staunen über'» Ozean und halber Unmuth liegt in ihren Augen:
„Wie lange wird der unheilvolle Wahn das Mark euch tückisch aus den

Knochen saugen?

Wann fällt die Eiseurüstung, die euch drückt, und wann vermählt ihr endlich

euch dem Frieden?

Wann ist, was uns, die junge Welt, beglückt, der alten, kriegzerrütteten, beschicden?

Märzcrrungenschaftcn.

Der Märzenwind stets wärmer weht,

Die Wiese grünt und der Kanzler geht.

Es pfeift der Fink so laut er kann,

Der Pindter ist jetzt ein schweigender Mann.

Die Schwalben komnien nun aus dem Süden,
Kompromiß-Eier will uns der Freisinn ausbrüten.

Wir wandeln gern im Sonnenschein,

Doch pechschwarz ist noch die „Nacht am Rhein".

Laut quackt der Frosch, der im Teich dort schwimmt,
Auch Eugen Richter ist sehr verstimmt.

Ich aber sag' nach des Winters Beschwerden:
Glückauf, nun muß cS doch Frühling werden!

Praktischer Kanzler.

A.: Wie kam man wohl auf den sonderbaren
Einfall, unter den Reichskanzleramts-Kandidaten
auch Puttkamer zu nennen?

B.: Na, na! Puttkamer wäre gar kein schlechter
Kanzler! Sobald ein Defizit in den Finanzen sich
zeigte, könnte er mit seiner großen Belagerungs-
kanonc dem Finanzmiuister etwas vorschießen.

Vor dem Schacht.

A. : Ihr streikt also wirklich? Ich glaubte, Ihr
wäret angcfahrcn.

B. : Sind wir auch; der Werkmeister hat
uns tüchtig angcfahren, als wir ihm unsere
Forderungen mittheilten.

Sächsische Kartclltvuth.

Mer sinn gans wiedig! Diese neie Acre

Die gommtweeß Gnebbchen uns recht dumm derQuere!

's Volk is ja so schon schrecklich iebcrmiedig!

Mer sein gans wiedig!

Gee Sozialisten-Ausnahmsrechd soll's gäben?

De Roden soll'n wie and're Bürger läben?

Nee, heernsemal, das wär' Sic gar zu ricdig!

Mer sein gans wiedig!

Nich blos mehr iebcr schlechde Lehne groll'n se,
Nee! Arbeidsschutz un Sonndagsruhe woll'n sc!
Un solchen Uffruhr underschditzd mer giedig!

Mer sein gans wiedig!

Was soll denn nu aus unfern Leibzig wer'en?
Mer missen ja den „Klecnen" gar entbehren!

Gar geene Ausweisung nich mehr! nu bidd' ich!
Mer sein gans wiedig!

Versammlungswielerei bis in de Bubbcn,

Un Boigodd, wenn ä Wärd nich druff will hubben;
Gemeenes Rechd iS daderfor zu giedig —

Mer sein gans wiedig!

Gee Debbchen schmeckd uns in der „guden Quelle";
's war so schon nischd mehr los mid'n Gardelle,
Doch nu is' aus! —MitWehmud schließ' meiLied ich:
Mer sein gans wiedig!

An Bismarck.

Man sagte: „ES gelingt Dir nichts mehr!"

Du hast widerlegt dies mit Hohn.

Deine letzte Mission ist gelungen Dir
Ganz prächtig: die Demission!

Fatales Leide».

A. : Nun, wie geht's jetzt in Eurer Fabrik?

B. : Hm, Arbeit hätten wir genug, aber unser
Chef ist so schwerhörig.

A. : Das kann Euch ja nicht benachthciligen.

B. : Doch; wir verlangen immer Abkürzung
der Arbeitszeit und er versteht uns falsch und
kürzt statt der Arbeitszeit die Löhne.

Zeitschtvingen.

Wir leben in gar thränenreicher Zeit,

Viel tausend Krokodile weinen heut.

* *

-t-

Wenn fliegen die Schwalben am Boden dicht,
Läßt warten auf sich der Regen nicht;

Und wenn der Stöcker redet so dreist,

Dann ist was Schlimmes im Werke zumeist.

* *

*

Die Junker schrei'n, die Juden sein stabil —
Ach, diese Junker sind doch gar fossil!

Sie wollen uns're neue Zeit verkleinern
Und merken nicht, wie sie dabei versteinern!

* *

*

Die Ordnungspartcien, sie bilden sich schon
Für Eigenthum und für Religion;

Sie wollen geschlossen beisammen bleiben
Und wollen die Sozialisten vertreiben;

Das Zentrum, es ist zum Schwanken bereit,
Herr Hänel fällt um zu jeder Zeit!

Ach, dieser Ordnungsbrci ist ein vertraktcr,

Er hat kein Salz und keinen Karakter!
 
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