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ZUM Jubiläum.

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i,sGjLiit Leser, der Dich liebt und bewundert,
Kratulirt Dir herzlich zu Numero sOO
Und wünscht, es möchte Dir gelingen,

Ls noch auf 1,000 000 zu bringen.

Nit Deinen Lpäßen, Witzen und Lcherzen
Heiterst Du auf des Volkes Herzen;

Ls sind Deine Bilder und Rarrikaturen
Kür betrübte Gemüther probate Kuren.

Wenn der Arbeiter fast den Nuth verlor.
Belebst Du ihn wieder mit Deinem Humor;
Begierig verschlingt er Prosa und Verse
Und vergißt seine Noth und leere Börse.

Du hast verstanden, die Klippen zu umschiffen
Und auszuweichen den gefährlichen Bisten,
verstricktest Dich niemals im tückischen Netze,
Wardst nie gefaßt vom bekannten Gesetze.

Wenn ich im Geist mit Dir vergleiche
I Die andern Witzblätter im Deutschen Reiche,
Lo find' ich: ein jedes ist gegen Dich, traun!
Nur ein ganz gewöhnlicher Zirkusklown.

Linen einz'gen Humoristen kenn' ich indessen,

I Nit welchem auch Du Dich nicht kannst messen:
' Ls macht noch bessere Witze als Du
Die Geschichte; vergleiche Kriedrichsruh!

Daß Lr zu rumoren jetzt angefangen
Und unter die „Reichsfeinde" ist gegangen.
Das ist ein Lpaß, desgleichen noch nie
Ausgeheckt eines Witzkopfs Phantasie.

Und wenn er erst in den Reichstag käme
Und Platz auf den Bänken der Linken nähme:
Die Götter im Himmel müßten lachen.

Daß die Himmelsgewölbe zittern und krachen.—

Glück auf, licberIacob, zu den weiterenNummern!
Lrwecke die Arbeiter, die noch schlummern
Und geißle die Proletarierverächter,

Gieb Preis sie dem Lpott und Hohngelächter.

Glück auf, mein Lieber, zur Weiterreise
Aus dem bisher bewährten Geleise.

Die Losung sei auch auf Deiner Bahn:
Der Kurs der alte! Mit Dampf voran!

Berlin, so um Fingsten rum.

Lieber Jacob!

Nu reiß de Fenster uff von Deine olle muffije Bude, koof Dir vor
een paar Nickels Maien, steck se Dir hinter'» Spiegel, birschte Dir Deinen
Bibi ab nn denn komm mit mir mit in't Jriene. Lieber Jacob, da kann
mir doch nu Eener sagen, wat er will: Fingsten, bet is een Fest, wo man
vcrjniegt sein muß wie'n Mops in'n Tischkasten, un wovon ja ooch schon
der olle Jöthc, Du weeßt doch, Jacob, den se in'n Thierjarten so fein in
Marmor ausjehanen haben, in eens von seine scheensten Werke sagt, Fingsten,
det wäre wirklich een lieblichct Fest. Det stimmt ooch, un in die Beziehung
hat Jöthe, objlcich sc'n zu seine Lebzeiten „Exzellenz" titulirt haben, janz
bestimmt Recht.

Aber, Jacob, v on't Luftschnappen un von de Poetische Naturschwärmerei
kennen wir Beedc natierlich uff de Dauer nich existiren, wir sind zu wat
Höheret jeboren, unser Feld is de hohe Politik, da leisten wir Beede wat
drin, un darum wollen wir unser Oogenmerk man Widder uff de welt-
bcwcjendcn Zeitereijnisse richten, damit unsere Leser ooch wissen, det wir
den Jang der Weltjeschichte nich außer Acht lassen.

Natierlich fallt Eenen dabei zuerst Friedrichsruh in. Ick jestehe ja nu
janz offen, det mir die Sache da nich wenig Spaß macht. Natierlich, um
de Situationslagc so janz un jar richtig uffzufassen, dazu mißte man eijcntlich
ooch Reichskanzler jewescn sind, aber von den Posten jiebt et in't Deitsche
Reich wirklich zu wenig, so det man sich in dieser Beziehung mit seiner eijenen
Phantasie behelfen muß.

Jacob, Du weeßt doch ooch, wat „Arbect" is. Natierlich — ick ooch
nich. Et jiebt doch een ollet Sprichwort: Wer Arbeet kennt, der drängelt
sich nich danach — aber hier scheint mir det Sprichwort jarnich 'n bisken
zuzutreffen. Wat meenfte woll, Jacob, wenn ick so'nen Park hätte, wie der
Privatmann von Friedrichsruh, wie ick mir denn nach de Arbeet in de
Willcmsstraße reißen wirde! Keene Spur von blasse Ahnung; ick setzte mir
in Friedrichsruh ruhig uff meine vier Buchstaben, un wenn ick denn wirklich
so'n jroßer Mann wäre, denn Wirde ick janz schcenekens zusehen, wie de
Welt langsam zu Jrunde jeht. Det Dämlichste is nu aber, det de Welt
nn ruhig weiter besteht, un det kcen Mensch sich um Privatleite belimmert.
In Berlin haben sich zwar een paar patriotische Zijarrcnfritzen un ähnliche
Staatsretter jcfunden, die 'ne Liste ausjelcgt haben, wo sich Jeder inzeichnen
kann, der den Ricktritt von den „jrroßen" Staatsmann bedauern duht —
aber denkste, Jacob, det De jemals in so'n Tobaksladen Eenen rinschliddern
schst? Wenn De det denkst, Liste schief jewickelt. Ick jloobe, det de Sache
I ziemlich nüeß ausfallt. Selbstredend hier uff unfern Kiez an'n Jörlitzer
Bahnhof sehste davon keene Spur, hier sind de Leite doch 'n bisken zu
praktisch vor sonne Jeschichte, aber in't feine Viertel, wo de Jeheimräthe
un andere nitzliche Mitjlicdcr der menschlichen Jesellschaft ihr Heim uff-
jeschlagen haben, da kannste Dir die Listen besehen, wenn De jetzt nach unser
Sprceathen kommen bähtest.

Denn kenntest De Dir ooch jleich mal um 'ne andere Sache bekimmern,
die ooch mit Unterschriften zusammenhängt. Det is nämlich de Petition Vör-
den achtstindijen Arbcctsdag, wo de Bourgeoisie sonne mächtijen Manchctten

Jack der Aufschlitzrr.

Bon Hans Flux.

^cr Herr Professor Sinnig war ein schwer gelehrter Mann. Beson-
ders hatte er das Strafrecht und den Strafvollzug studirt und
was er in diesen Dingen sagte, war von Gewicht.

„Sehen Sic, Kathi", sprach er zu seiner Haushälterin, „ich
bin eben immer noch der Meinung, daß man die politischen Gefangenen zu
milde behandelt. So ein versteckter Sozialdemokrat glaubt manchmal, er sei
in der Sommerfrische statt in einer Strafanstalt. Die Prügelstrafe muß mir
wieder her."

Kathi, eine nicht mehr junge aber sehr energische Person, die den Herrn
Professor zu behandeln verstand, stemmte die Arme in die Hüften und meinte:

„Herr Professor, wir sollten etwas menschenfreundlicher denken. Bei
den politischen Gefangenen sind viele liebenswürdige junge Männer — die
soll man nicht so sehr plagen."

„Oh", meinte er, „Sie fängt wieder an zu schwärmen in ihren alten
Tagen."

Kathi fuhr zornig herum:

„So, in meinen alten Tagen! Der Herr Professor wollen sich wohl
eine Jüngere suchen! Wohl, ich gehe; der Herr Professor werden ja sehen,
wie Sie mit einer Jüngeren zurechtkommcn und ob dieselbe auch solche Braten
machen kann, wie ich."

Da erschrak der Professor.

„Rein", rief er, „Sie geht nicht, ich will keine Jüngere."

Kathi mußte lachen, wie er komisch bittend die Hände nach ihr auS-
streckte. Es war ihr nicht so sehr Ernst gewesen; sie blieb gerne.

Der Herr Professor aber fand, daß ein so schöner Tag sei; er wollte einen
Spaziergang machen. Er beschloß, über die Berge hinweg nach dem Dorse
Flnrwinkel zu wandeln, wo es guten Landwcin und auch viele Versteiner-
ungen gab.

* *

In Flnrwinkel war cs sehr belebt. Es ging ans den Abend und die
Mägde standen am Brunnen und hatten überaus eifrig mit einander zu plaudern.

„Hui", rief die dicke Grete, des Ortsvorstehers Viehmagd, „das wird
eine Aufregung geben."

„Was, Was!" riefen die anderen.

Grete that sehr geheimnißvoll.

„Er kommt heute noch!" sagte sic und sah sich scheu um.

„Wer kommt? Wer kommt?"

Grete kämpfte mit sich:

„Ihr dürft cs aber Niemanden sagen!"

„Memandcn, Niemanden!"

„Bei allen Heiligen, gar Niemanden!"

„Bei allen Heiligen, bei allen Heiligen!"

So schrieen sie durcheinander, Grete aber legte bedeutsam den Finger
auf den Mund.

„Der Ortsvorsteher hat cs selbst gesagt."

„Was denn, was denn?"

„Nun ja," fuhr Grete fort, „beim Ortsvorsteher ist ein Brief ange-
kommcn."

„Ein Brief!"

„Jawohl, ein Brief, und in diesem Brief steht, daß Jack der Ansschlitzer
heute Abend noch nach Flnrwinkel kommen wird."

Mit einem Schrei fuhren die Mägde auseinander, denn der Name des
furchtbaren und gehcimnißvollen Londoner Frauenmörders ist ans den Dörfern
wohl bekannt.

„Hu! der Aufschlitzer!" schrie die lange Trine.

„So schweige doch", sagte Grete ärgerlich. „Dir wird er nichts thun,
er wird sich vor Deinem Bart fürchten."

Jetzt Wurde aber auch Trine wüthend.

„Und Deine Triefaugen werden ihn wohl auch abhalten", entgegncte sie.

Grete warf einen bitterbösen Blick herüber; dann fuhr sie fort:

„Oh, es hat keine große Gefahr. Er wird gleich festgenommen, sobald
er kommt. Die zwei Polizeidicner ans den Nachbardörfern sind schon da;
wie man ihn sieht, dann packt man ihn, sperrt ihn ein und liefert ihn an
das Gericht in London ab, damit er endlich einmal gehängt werden kann."

„Aber wie kennt man ihn?"

„Alles steht in dem Brief", sagte Grete mit gewichtiger Miene. „Er
stolzirt gravitätisch daher und hat sich wie ein Professor verkleidet."

„Professor — was ist das für ein Mann?" frug eine junge Magd.

„Ein Professor", sagte Grete, „das ist ein Mann, der immer nach den
Sternen guckt und deshalb nicht viel von dem merkt, was auf der Erde
vorgeht."

„Ah so", meinte die Andere.
 
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