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Soldatenleben. «MM

(Nach Capritii.)

Wer kommt gemächlich schleudernd durch den Park
An einem Werktag Nachmittag gebummelt?
Behandschuht? Extramütze? Es ist stark!

Und alle Knöpfe spiegelblank gefummelt!

Steh, Unglücksmensch Poll Pflichtvcrgessenhcit!
Schämst dn dich nicht? Man wird dich denunziren!
Du bist Soldat, hast folglich gar nicht Zeit,

An einem Wochentage zu flaniren.

Wer kommt daher in dem geputzten Schwarm
Am Sonntag Nachmittag, schon halb im Tralla?
Gehcimraths Jette hängt an seinem Arm,

Und aufgedonnert obendrein, in Galla?

Steh, Unglücksmensch! Zur Auskunft fei bereit!
Woher dies Weib? Du wirst mir nicht entschlüpfe».
Du bist Soldat; woher nahmst du die Zeit
Das Techtelmechtel mit ihr anzuknüpfcn?

Eh' Jette Sonntags dich znm Tanze führt,

Muß das Bcrhältniß sich doch erst gestalten;

Sie hält auf sich — du mutzt, wie sich's gebührt,
Bor ihrem Hause die Flancllwacht halten.

Sag, Unglücksmensch! Wie kamst d» nur so weit?
Ihr kennt euch längst — da hilft kein Rcnommiren!
Du bist Soldat; woher nahmst du die Zeit
Das hübsche Balg nach Vorschrift zu pousfiren?

Du stellst dich dumm? Meinst du, mein Grenadier,
Wir wüßten nichts vom Leben des Soldaten?

Im Gegeuthcile — Alles wisse« wir!

Der neue Kanzler hat es uns vcrrathen.

Ihr lernt so viel, daß sich im Kopfe drehn
Die Angen euch, für Felddienst und Parade —

Ihr könnt des Werktags nicht spazieren gehn
Und habt nicht Zeit zur lumpigste» Poussade!

Weeßte, Jacob, wat ick eijentlich möchte? Ick möchte wirklich mal 'n
richtijer reicher Mann sind, bet hecßt so Eener, den et uff 'ne Handvoll
Hundertmärker so leichte nich ankommt.

Ick sehe schon, lieber Jacob, Du machst schon Widder Dein jnietschijct
Jcsicht un denkst bei Dir: „Nu kick mal blos Eener Jotthilf Naucke'n an,
det Luder is wirklich nich so dämlich, wie er ausseht." Aber da bist De
jut un jeruc wenijsteus in fälschet Papier jcwickclt, wenn De etwa jloobst,
det ick zn de Habjierijcn jehecre! Keene Spur! Uff den Draht selbst kommt
et mir ville weniger an, als wie dadruff, det ick ferne wissen mechte, wie
so'n reichen Protzen richtig in sein Jnnerstet zu Muthe is. Sechste, so in
die jetzijc Jahreszeit, Ivo et in'n Alljemeenen de Hitze 'n bisken deitlich
mecnt, da kannste so recht sehen, worin sich eijentlich der Besitzende von den
Hungerleider unterscheidet. Der Hungerleider, der jeht, um sich de Beene
'n bisken zu vertreten, det Abends heechstens mal in'n Mariannenpark un
setzt sich uff 'ne Banke, un det Sonntags jeht er mit Kind un Kejel in den
Treptower Park, damit er doch ooch weeß, det de Natur nich blos aus
Miethskascrncn und Fabrikheiser besteht.

Aber die anderen Brieder sind damit nich zufrieden. Wat meenstc woll,
Jacob, wat da de Elle von kost't! Det muß natierlich in die sojenannten
Sommerfrischen, oder an de See — aber nich nach Plötzcnsee — oder in't

Jebirje, wo se ihre sogenannten Nerven Widder ufffrischen missen. Ick habe
mir schon verschiedentlich un merschtendechls verjeblich mein jeehrtet Haupt
darieber zerbrochen, wo nu eijentlich bei den Arbeeter de Nerven sitzen, weil
doch de Arbeeter niemals in die Lage versetzt werden, irjend wat vor ihre
Nerven zu duhn. Ick muß daher zu den Schluß kommen, det de Arbeeter
ieberhaupt keene Nerven haben, un det se ieberhaupt der Erholung jarnich
bedirftig sind, denn sonst wirden sc natierlich doch ooch in de Sommer-
frischen jehen. Also det verfluchtste Jeld macht den Menschen blos nervös,
un da muß ick denn als eene janz besondere Stete der Vorsehung Preisen,
det se so verninftig jewescn is, un hat uns de Kapitalisten in de Welt je-
setzt, die sich alle Lasten un alle Krankheiten un alle Nerveniebel vor uns
uff ihre Schultern jeladen haben. Sechste, Jacob, der Arbeeter hat wirk-
lich allen Jrund, mit sein Schicksal zufrieden zu sind, denn det bisken
Stoob und Rooch, wat er alle Dage schlucken muß, uu die muffige Luft,
die er sich so nebenbei rinekelt, die machen den Menschen nämlich jarnischt; da
is Kouponabschneiden 'ne janz andere Sache, die reibt den Menschen uff, jrade so
wie die Liebe un der Suff: die sollen nämlich ooch dieselben Eijenschasten besitzen.

Na, Jacob, ick mach ja meinen Stillverjniejten, un ick foljc meinen
ollen Jrundsatz: Wohl dem, dem et schmeckt un hat nischt, der bleibt bei
juten Appetit.

Wat ick sagen wollte, Jacob — ick wollte Dir eijentlich mal wat fragen.
Sage mal, wat denkste denn eijentlich von die neic Militärvorlage? Ick

Ein verunglückter Staatsmann.

Zeitgemäße politische Enthüllungen.

Von Ssgmund Schivartz.

ctzt ist Deine Zeit gekommen; Du mußt nach Berlin!" So sprach
zn ihrem Manne mit wichtiger Miene die Professorin Hcinsins.
„Dn mußt zur Stelle sein!"

„Ich denke auch", sagte der Professor mit großer Würde. „Fürst
Bismarck tritt zurück; man braucht neue Staatsmänner. Wenn ich auch nicht
gleich Reichskanzler werde, so kann ich doch einstweilen Minister werden;
etwa das Innere, den Kultus oder die Justiz könnte ich übernehmen, denn
ich bin gottlob Jurist!"

„Dein Ministergehalt wird ausreichen, meine Toilette zu vervollstän-
digen, damit ich endlich einmal Deiner Bedeutung entsprechend in den Bädern
austreten kann", sagte die Gattin. „Meine Toiletten sind so elend"--

„Aber Frau", meinte der Professor, „in erster Linie handelt es sich
aber doch um die Politik und nicht um Deine Toiletten!"

„So!" fuhr die Gattin auf, „nun willst Du mich hintausetzeu, die ich
zwanzig Jahre laug das Professorcu-Elend geduldig mit Dir getragen habe?"

„Amalie!" sagte er begütigend, aber sie schluchzte schon. Dann fuhr sie
empor.

„Nein!" rief sie, „ich lasse mich nicht zurücksetzen, ich gehe mit nach Berlin!"

Der Professor blickte niedergeschlagen vor sich hin. Aber was wollte
er machen? Er gehörte zu den Gelehrten, welche in ihren Werken oftmals
sehr kühne Ideen verfechten und mit allem Rüstzeug des Wissens gewappnet
sind, aber einem weiblichen Pantöffelchen nicht zu widerstehen vermögen.

So nahm er nach einigem Widerstreben seine Frau mit und stieg mit
ihr in einem Hotel Unter den Linden in Berlin ab. Sonst wohnte er in
einem kleinen Hotel garni. Aber der zukünftige Minister durfte sich nicht
lumpen lassen.

Der Herr Professor war ein langjähriger parlamentarischer Vertreter
der „liberalen" Richtung. Er hielt sich für einen großen Redner und An-
dere glaubten ihm das! Seine Sätze waren alle genau nach den Vorschriften
der Grammatik gedrechselt und seine Handbewegungen und Gesten genau
nach einem berühmten Lehrbuch der Rhetorik geregelt. Darum hielt sich der
Herr Professor auch für einen Staatsmann. Sein Liberalismus war sehr
anpassungsfähig; er hätte auch unter einem konservativen Regiment mitthun

können. Gerade diese eine Eigenschaft betrachtete der Herr Professor für
sehr staatsmäunisch.

Die Professorin trat im Hotel sehr stolz auf und der Oberkellner lvußte
sich vor der gnädigen Frau nicht tief genug zu verbeugen.

„Morgen muß er mich hoffentlich mit Exzellenz aureden!" sagte sie zu
ihrem Manne.

Am Abend verließ der Herr Professor seine Gattin, um sich mit einigen
politischen Freunden zu besprechen.

„Ich werde Dir inzwischen Deinen schwarzen Frack schön Herrichten!"
sagte sie.

Der Herr Professor ging sinnend von dannen. Einmal stieg ihm ein
leiser Zweifel aus, obwohl der Monarch ihn zur Regierung berufen werde?
Aber da erinnerte er sich, daß ja auch im Anitsblatt seiner Universitätsstadt
gestanden hatte, der verehrte und geistvolle Abgeordnete Heinsius habe alle
Aussicht auf einen Ministcrposten. — Da konnte es nicht fehlen.

Vorläufig hatte der Professor kein besonderes Glück, denn er traf keinen
der politischen Freunde, die er suchte. Ermüdet trat er in eine Restauration;
als er sich eben niederlassen wollte, erscholl aus einer Ecke der Ruf:

„Ah, da bist Du ja, lieber Heinsius! Das ist schön, daß ich Dich wieder
einmal treffe, altes Haus!"

Der Professor sah sich um und erblickte eine ihm wohlbekannte Persön-
lichkeit, Fritz Springer, den man den ewigen Studenten nannte, weil er sich
immer mit Studenten umhcrtrieb und nie ausstudirt hatte. Wovon er lebte,
wußte mau nicht; man sagte, von Pump und von Bettelbriefen. Er hatte
schon seinerzeit mit dem Professor studirt. Jetzt saß er mit drei jungen
Studenten da.

Dem Professor war diese Gesellschaft jetzt nicht gerade die angenehmste,
allein Fritz Springer ließ sich nicht abwcisen. Er nöthigte das „alte Haus"
an den Tisch und schließlich sagte sich der Professor, cs könne für sein künf-
tiges Amt nicht schaden, wenn er sich die studirende Jugend von Berlin in
der Nähe beschaue.

Mau trank Weißbier mit Doppelkümmel. Der Professor that kräftig
Bescheid, denn er war sehr durstig geworden. Zum letzten Mal wollte er
ungenirt kneipen, denn damit war es in der hohen staatsmännischen Lauf-
bahn auf immer vorbei.

„Du treibst immer noch hohe Politik?" sagte schließlich Fritz Springer.

„Ja", antwortete der Prosessor, „und mit Erfolg".

„Dann sieh zu, daß Du einmal Minister wirst", meinte Springer,
„dann kannst Du mich zu Deinem Sekretär machen."
 
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