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82»

Der Tod der Verbannten?)

Lzene aus einem sibirischen Kefängniß für Ltaatsverbrecher.

(Siehe umstehendes Bild.)

„In der weiten Wildniß Tvansbaikalicns, fast 5000 Meilen von Peters-
burg und 1000 Meilen vom Stillen Ozean, in einem reizlosen, einsamen
Thalc, zwischen zwei Ausläufern des Jablonoigebirges, befinden sich eine
Anzahl von Gefängnissen, Goldgruben und Niederlassungen von Sträflingen,
welche den Russen unter dem Namen chic Minen von Kara' bekannt sind.
Wenn man in der Zeitung liest, der Zar habe geruht, gewisse, zum Tode
verurtheilte .Nihilisten' zu Zwangsarbeit in den Minen zu begnadigen, so
sind die Minen von Kara darunter zu verstehen."

So berichtet uns der amerikanische Reisende George Kennan in seinem
in der ganzen zivilisirten Welt das größte Aufsehen erregenden Buche
„Sibirien".

Es ist hier nicht der Ort, von dem Leben der Verbannten in Sibirien
eine Schilderung zu geben, der Zweck dieser Zeilen ist, dem umstehenden
Bilde, welches in ergreifender Weise den Tod einer Verbannten darstcllt,
einige erklärende Worte hinzuzufügen.

Nicht alle sogenannten Verbannten sind „von Rechts wegen", d. h.
durch das Urthcil eines Gerichtshofs, in die grausigen Gefängnisse Sibiriens
geschickt, die Veranlassung dazu bot oft genug eine Denunziation, worin der
Betreffende als „verdächtig" bezeichnet worden ist. Die Prozedur ist eine
sehr einfache. Auf Anordnung des Chefs der dritten Abtheilung in Peters-
burg (geheime Polizei und Gensdarmerie) wird die Person verhaftet, in
irgend ein Zcntralgefängniß gesteckt und sodann bei erster Gelegenheit nach
Sibirien transportirt. Nach einem Bericht des General-Gouverneurs Anuschin
befanden sich im März 1882 zu Kara 213 Politische Gefangene, die durch
Richterspruch verschickt, und 217 Personen, die auf administrativem Wege
nach dort verbannt worden waren. Man hat den Aernistcn nie gesagt, was
die Veranlassung zu ihrer „Verschickung" gewesen ist.

Die Gefängnisse selbst sind haarsträubendster Art. Sie bestehen aus
sogenannten Kammern, die Pritschen für 25 Mann enthalten. Kennan giebt
i„' seinem Buche (II. Theil, S. 61—63) folgende Schilderung davon: Die
Kammer war 24 Fuß lang, 22 Fuß breit und 8 Fuß hoch. Von dreien
der schwarzen Wände gingen zirka 6 Fuß breite Holzpritschen aus, auf welchen
die Sträflinge, dicht aneinandergedrängt, mit dem Kopf an der Wand und
den Füßen nach der Mitte der Zelle ausgestreckt schliefen. Sie hatten weder
Kissen noch Decken und mußten sich des Nachts unentklcidet niederlegen,
indem sie ihre grauen Ueberröcke als Decke benutzten. Die Zelle enthielt
außer dem großen Holzkübel (Bedürfnißaustalt) keine Möbel. Alles
wimmelte von Ungeziefer, der Boden war mit einer dicken Kruste sest-
getretencm Koth überzogen. Die Luft ist unerträglich. „Man denke sich
Kcllerlnst", schreibt Kennan, „die oftmals durch menschliche Lungen ge-
gangen, so daß sic mit Kohlensäure vollständig gesättigt ist; diese Lust nun
durch die scharfen Ausdünstungen lange nicht gewaschener menschlicher
Körper, der Geruch von nassem, modrigem Holz und menschlichen Exkrementen
geschwängert, — und man wird doch nur einen annähernden Begriff davon

*) Mit Nummer 101 begannen wir eine Neuerung, die von nnsern Leser» srennd-
lich anfgenomme» worden ist: die letzte Seite des „Wahren Jacob" soll, soweit Stofs dazu
vorliegt, von jetzt ab Bilder ans der Zeitgeschichte bringen, ebenso auch Porträts von
Zeitgenosse», die sich um die Arbeiterbewegung verdient gemacht haben. Die Redaktion.

haben." Und in einer solchen Zelle befanden sich 29 Gefangene, so daß ans
Jeden in dem unventilirbaren Raum während der langen Nacht von 8 bis
10 Stunden 5 Kubikfuß Luft zum Athmen kommen. Skorbut, Typhus,
Anämie und Lungenschwindsucht sind die vorherrschenden Krankheiten in den
Gefängnissen, ebenso der Wahnsinn. Man läßt die Kranken so lange es
irgend geht in den Zellen zwischen ihren Mitgefangenen, da die Lazarethe
meistens überfüllt sind. Der Tod hält alle Jahre reiche Ernte. In den
meisten Fällen ist er der Erlöser aus unerträglicher Pein.

Eine cigenthümliche Disziplinarstrafe kommt des Oefteren bei politischen
Gefangenen zur Anwendung. Der Gefangene wird mittelst einer Kette, die
mit den Beinfesseln in Verbindung steht, an einen kleinen Bergwcrksschieb-
karren befestigt. Die Kette ist lang genug, um ihm einige Freiheit der Be-
wegung zu gestatten, aber er kann weder im Freien noch in seiner Zelle gehen,
ohne daß er den Karren vor sich her schiebt. Selbst während der Nacht
bleibt er an den Schiebkarren gefesselt. Diese Strafe wird oftmals auf ein
Jahr und länger verhängt.

„Im Fraucn-Gefüngniß zu Ust-Kara", berichtet Kennan, „war die Lage
der Dinge wenig besser . .. Der neue Kommandant hielt auf strenge Disziplin
ohne Begünstigung, und betrachtete die stillschweigend zugelassene Gewohnheit
der Frauen, ihre eigene Kleidung statt der Gefängnißtracht zu tragen, als
eine sentimentaler, thörichter Schwäche gemachte Konzession. Er befahl also,
daß den Frauen ihre eigenen Kleider weggenommen und sic gezwungen
würden, das Sträfliugsgewand anzuziehen. Einige der Gcfangeiien waren
krank und nicht im Stande, die Kleider zu wechseln, andere glaubten nicht,
daß man sie zwingen würde und weigerten sich, zu gehorchen,'und schließlich
gebrauchte der Gefängnißaufseher Gewalt. Die Szene, die sich nun abspielte,
war derart, daß eine Frau Leschern einen Selbstmordversuch machte."

Die meisten politischen Gefangenen sind hochgebildete Leute, die den
sogeuannten besten Kreisen der russischen Gesellschaft entstammen. Kennan
traf in Sibirien Töchter und Frauen von Generälen, Staatsräthen, In-
genieuren, Aerzten, Kanfleuten re. an. Die Meisten waren jung, einige sogar
von bestrickender Schönheit. Ihr Fehler war, daß sie in heißer Liebe zur
Freiheit wenig skrupulös in Anwendung der Mittel waren, die ihnen den
Weg dazu bahnen sollten. Manche waren auch nur durch den Umgang mit
„Revolutionären" verdächtig geworden und hatten die lange Wanderung in
„das Eisgrab" antretcn müssen. Fast immer waren die Frauen voll Zu-
versicht und festen Muthes,'der ihnen ein großes llebcrgcwicht über die
Männer verschaffte und etwas Heiliges verlieh. Vielfach hat' auch die Liebe
die Frauen getrieben, ihren Männern in die Verbannung zu folgen. — Der
Maler Malczewsky sührt uns auf seinem Bilde den Augenblick vor, in welchem
eine solche Märtyrerin den letzten Seufzer aushaucht. Ihr Mann hat sich
in namenlosem Schmerz vor dem Sterbelager auf die Knie geworfen, während
die Mitgefangenen, durchschanert voll bem herannahenden Tod, das Lager
umstehen. Damit das „System" nicht fehlt, läßt der Maler im letzten Augen-
blick deli GcnSdarmerie-Offizier erscheinen. Sein Eintritt bedeutet nichts
Gutes, da hier augenscheinlich ein Disziplinarbruch vorliegt, vielleicht von
einem gutmüthigcn Wärter untersttttzt, der das arme Weib nicht allein sterben
lassen wollte.

Kompensationen.

Die von der Linkcli im Reichstage geforderten
Kompensationen für die Militärvermehrung sind '
doch nicht aussichtslos. Der Kriegsminister ist gerne
bereit, die Dienstpflicht um ein bis zwei Jahre zu
verlängern, wenn ihm dafür die Erhöhung der
Fricdenspräsenzstikrkc bewilligt wird.

Erleichterung.

„Erleichterungen brauchen wir!"

O Patriot, sie werden dir.

Führt man die neuen Stenern ein,

Bald wird dein Bemel leichter sein.

Im konservativen Klub.

v. A.: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.

v. B.: Drücken Sie sich gefälligst etwas vor-
sichtiger aus, denn wenn Sie das so ohne Reserve
sagen, kann man leicht glauben, Sie agitiren für
die radikale Forderung der allgemeinen Sonnt«gs-
r i> h e.

Die Pariser Bombe».

A. : Was wollte denn Conflans damit bezwecken,
daß er mit den Verhaftungen wegen angeblicher
nihilistischer Bomben so viel Aufsehen erregte.

B. : Er wollte den Russen nur zu verstehen
geben, daß die französische Freundschast zu Ruß-
land bombenfest stehe.

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berichtigte» und vermehrte» Auflage von

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durchaus günstig benrkheilte Buch gesunden hat, veranlasste
de» Herrn Verfasser, den Text der zweite» Auslage wesentlich
zu vermehren und da zu berichtige», wo cs nach dem heutigen
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zum besseren Verständnis! weitere Illustrationen eingefügt und
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