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An den Herrn Minister Herrsurth EXzellenz. W-

^enn Sie gesprochen weise, klug und tief
Von dem Gesetze, das die Volksbethörer
Noch knapp int Zaume hielt, dann überlief
Ein Gänsehäiltchen auch die kühlsten Hörer.
Sie malten phantasievoll an die Wand
So düstre Gräuel uns fidel und munter,
Daß man sich sagte, wenn die Schranke schwand,
So ging die ganze Welt unfehlbar unter.

Es muß Sie doch als sehr humanen Mann
Höchst angenehm berühren, Herr Minister,
Daß friedevoll und ruhig kneipen kann.
Ganz wie zuvor, der treffliche Philister.

Er wird sich freilich fragen mit der Zeit,
Warum sich nirgends denn die Waffen rühren,
Warum von Allem, was Sie prophezeit.
Vom Untergang der Welt kein Haar zu spüren?

Schon vierzehn volle Tage herrscht das Grau'n,
Schon vierzehn Tage waltet frei das Laster,
Doch Niemand denkt ans Barrikadenbau'n
Und höchst unanfgerissen blieb das Pflaster.
Die Welt fährt fort, in Ruhe sich zu drehn
Und nicht das schwächste, leiseste Geknister
Verkündet uns ein bald'ges Untergehn —
Sie gingen doch zu iveit tvohl, Herr Minister?

Die Schranke siel — sie liegt am Boden jetzt
Und fessellos kann die Verführung wüthen
Wo aber hat in Thaten umgesetzt
Sich das bewußte „ominöse Brüten"?

Litt irgendwo die „heil'ge Ordnung" Noch?
Begann der Föhn der Leidenschaft zu wehen?
Wr scheint, es ist noch Alles hübsch im Loth
Und leidlich fest scheint mir die Welt zu stehen. [

Saftig zu malen haben Sie beliebt. Schon vierzehn Tage? Wie man lächeln mag,

Kassandra-Töne warnend angeschlagen, | Ob Ihres Wahns tut Schoos; des hohen Rathes!
Als wären extra Sie drauf eingeübt, > Fiel das Gesetz — dann nicht für einen Tag
Und namentlich das Roth dick aufgetragen. ! Verbürgten Sic die Sicherheit des Staates!
In eine Wüste grau und todesbang | Nun gingen schon der Wochen zwei ins Land

Sah man verwandelt schon den dnftgen Garten—, Und ward das Reich der Anarchie zur Beute?
Doch läßt der große, düstre Untergang ! So, wie die Welt vor vierzehn Tagen stand.
Der ganzen Welt noch immer auf sich warten.; So steht sie, ohne das Gesetz, auch heute.

Man darf zum Scherz, ivenn man ein Land regiert.
Die geistig Armen einmal gruseln machen.

Doch ivenn man sich dabei vergaloppirt.

So dulde man, daß selbst die Kinder lachen.

Ja, seinen Haken hat das Prophezeihn!

Sie nennt dereinst der friedlichste Philister,

Des Pommerlands loyalstes Bäuerlein

„Des Deutschen Reichs Weltuntergangs-Minister."

Berlin, Anfang Oktober.

Lieber Jacob!

Rn sage mal janz offen, wie befindst Du Dir denn nu cijentlich ohne
Sozialistenjesetz? Wunderst Du Dir nich, det de Welt noch nich injestirzt
is, det wir immer noch uff de Beene rumloofen un den Kopp oben haben?
Hätte Dir det Eener vor'n Jahr jesagt, det wir ooch mal ohne die bcriehmte
Zwangsjacke durch det irdische Jammerthal wandern könnten — wenn Dir
det Eener jesagt hatte, den hättest De bestimint vor rammduselich jehalten.
Na, det schad't ja nischt, de Hauptsache is, det et Herz man jnt is, de Seele
kann dreist 'n Sprung haben, litt so sage ick ooch, un ick freie mir, det
der Rathhausthurm immer noch uff dieselbe Stelle steht, un det Forckenbeck
immer noch Obcrbirjermeester is, wenn er ooch von Rejiprungsseite immer
noch nich de richtije Bestätijnng jefundcn hat. Doch davon nach Reine.

De Hauptsache is, det unsere Vertreter uff den Parteitag in Halle det
Herz uff'n richtijen Fleck behalten, nn det se ernstig darnff bedacht sind, wat
zu schaffen, lvat de Partei zum Vortheil jereicht. Ick kann Dir sagen, lieber
Jacob, ick bejrieße den Parteitag, ick freie mir, det nu — wenn ick so sagen
derf - unsere Fiehrcr ooch mal 'n richtijct Wort Deitsch reden kennen, un
denn werden se ja ooch ieberall Heeren, wat in die zwölf Jahre Alles
jcschehen is.

Nanu, een ander Bild. In Berlin haben wir in die Zeit, wo ick det

; schreibe, verschiedene scheene Zicken erlebt. Weeßte, Jacob, ick jche von die
; Ansicht aus, det sich Jeder so scheen blamircn derf, wie er blos kann, un
; det man bei die Beschäftijung kecnen Menschen Schranken in den Weg stellen
' oder Knippel zwischen de Beene schmeißen soll. Ick denke nntierlich hierbei
an nischt Änderet, als an de Berliner Stadtvertretung.

Unsere Leite hatten da den sehr verninftijen Antrag injebracht, det sich
der Majistrat endlich mal in't Mittel lejen sollte, det de Millitnrposten nich
immerzu de Menschen uff de Straße de Knochen in'n Leibe kaput schießen.
Sieh mal, Jacob, de Sache liegt nämlich so. Bor de Hasen tut de Rehe
int de wilden Schweine, da haben unsere Feudalherren un wat det andere
Kroopzeig von jewcehnliche Sonntagsjäger is, 'ne richtije, rejulttre Schonzeit
injefiehrt. Warum sollen wir Menschen, die doch ooch eenen jewissen Zweck
uff de Welt haben, nich dieselben Borzieje jenießcn, wie det unverninftije
Vieh? Ick sehe det wenigstens nich in Also unsere Vertreter in det rothe
Haus bringen eenen diesbezieglichen Antrag in.

Ra, da kamen se Dir aber scheen an. Von de birjerliche Demokratie
an bis in de Reihen von de hochkonservative Birjerpartei waren se jänzlich
baff, wie sich Leite finden kennen, die et nich vor de jrecßte Jnade halten,
sich von den ersten besten Rekruten ieber den Haufen schießen zu lassen.
„Wo werden wir jutjesinnte Staatsbirjer un Steuerzahler uns mit de hohe
Millitärbehörde inlassen", hieß et da von alle Seiten, „na die wurde uns

Die Deutschfreisinnigen machen mobil.

Ac!ch zittre, bebe, schlottre, hu!

Hilf Liebknecht, Singer, Bebel!

Der Freisinn macht jetzt auch mobil,

Der Freisinn schleift den Säbel.

Dieweil man uns nicht knebelt mehr
Mit des Gesetzes Knebel,

Drum zieht er aus der Scheide kühn
Und wetzt den rost'gcn Säbel.

Eugeuius wird General,

Der Hirsch ach nur Feldwebel,

Der Hänel Markcdenterin.

Der Freisinn schleift den Säbel.

Eugen reißt seinen Schnabel auf,

Den größten aller Schnäbel,

Und schwatzt den Sozialismus tobt.

Der Freisinn schleift den Säbel. —

Doch nein, es war nur Spaß, die Furcht
War nur ein blauer Nebel:

DeS Freisinns Pulver zündet nicht
Und hölziern ist sein Säbel.

Revolntionsbericht auck Tessin.

Von einem stnalserhaltenden Liberalen.

Zn den angenehmsten Zerstreuungen, welche Geist
und Gemlith gleichzeitig erfrischen, gehört unstreitig
eine kleine, hübsch organisirte und vorbereitete Revo-
lution. Es ist ja richtig, auch dieses Vergnügen

kann, wie alle Veranstaltungen, zu denen ein größeres
Publikum herangezogen wird, ausarten, Nicht
immer war der Verlauf der von uns Liberalen seit
etwa hundert Jahren veranstalteten Revolutionen in
allen Punkten befriedigend. Aber wenn wir unsere
altbewährte Taktik, mit der Waffe in der Hand
einfach loszuschlagen, gegen das wüste Treiben der
Sozialdemokraten halten, welche mit Rede und
Schrift, mit Parlamentarismus und Presse einen
unausstehlichen Lärm vollführen und den überaus
umständlichen gesetzlichen Weg nicht verlassen wollen,
dann können lvir wohl sagen, wir Liberalen ver-
treten auch hier den erhabeneren Standpunkt. Wie
friedlich und idyllisch ging hier in Tessin Alles ab..
Die Regierung wurde einfach abgesetzt, wer renitent
war, was nur in einem einzigen Falle vorkam,
wurde erschossen, und die Opposition ergriff das
Staatsrnder. Es kann nichts Loyaleres geben, wie
diese Revolution! Wenn das zu Puttkamcr's Zeiten
in Berlin geschehen wäre, wenn Bebel und Liebknecht
einfach mit bewaffneten Parteigenossen ins Reichs-
kanzleramt sich -verfügt hätten, um die dortigen
Papiere zu beschlagnahmen und die Weiterführung
der Geschäfte in sozialistischem Sinne zu ordnen,
wenn Puttknmer, Bötticher gefangen genommen
worden wären und Bismarck sich vielleicht durch den
ihm eigenen Vorwitz eine anonyme Flintenkugel
zugczogen hätte, ja, dann wäre das dieselbe Sache
gewesen, wie hier in Tessin, und gewiß hätte die
ganze liberale Presse Deutschlands den kleinen
Zwischenfall genau so warm gebilligt, wie sie die
Revolution in Tessin gutheißt. Gewiß hätte die
„Nationalzeitung" ein Begrüßungsgedicht an die

neue Regierung gebracht und selbst die „Post" würde
mit Freude an der festlichen Illumination der Stadt
Berlin ihrerseits Theil genommen haben. Freilich
begegnen wir in deutschen Blättern manchmal der
Behauptung, die Tendenzen der Sozialdemokratie
seien revolutionär und der bürgerliche Liberalismus
sei es, welcher durch seine stnatserhaltende Tendenz
die Gesellschaft vor revolutionären Wirren schütze.
Aber man verstehe das nicht falsch! Unter den schäd-
lichen Bestrebungen verstehen wir nur die Aufreizung
des Volkes zu Erwerbung höherer Bildung, die
Verleitung zur Ausübung des Wahlrechtes, die
gewerkschaftliche Vereinigung. Dagegen würde jeder
Liberale den Sozialisten brüderlich die Hand drücken,
wenn sie ihre Abneigung vor einer Waffenerhebnng
überwinden könnten. Denn wie sehr wir Liberalen
eine solche- lieben, das haben wir anläßlich des
Tessiner Falles einmal offen darlegen können und
haben diese Gelegenheit mit Freuden benützt.

TtrntegischoS.

Das für die Belagerten glückliche Ende einer
Belagerung wird gewöhnlich durch Entsetzung hcr-
beigefnhrt. Auch in Berlin ist nach dem Ende des
zwölfjährigen Belagerungszustandes bei reaktionären
Spießbürgern großes Entsetzen bemerkt worden.

Monolog.

Vagabund: Es giebt eine I o l d - und eine
! S i l b e r w ä h r n n g und ich ha b c nicht in a l
l ei 11 en rothcn Hellcr in bcr Tasche?!
 
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