Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
895

vortreffliche Rede wurde mit allgemeinem Beifall ausgenommen, und im weiteren
Verlaufe der Debatte wurde der sozialistischen Bewegung in Frauenkreisen
wiederholt Sympathie ausgesprochen und ihr gedeihliche Förderung gewünscht.

Auch Frau Steinbach-Gera, welche zur Zeit des Kongresses in einer
Frauenversammlung in Halle sprach, ergriff das Wort, um zu betonen, daß
man nicht Alles, was von Frauenrechtlerinnen hier und da geschieht, in
einen Topf werfen dürfe. Nicht um Blaustrumpf-Neigungen handele es
sich hier, sondern uur sachgcwerbliche Bestrebungen zur Erringung einer
besseren Lebenshaltung der Arbeiterinnen.

Der Kongreß würdigte die Wünsche der Genossinnen vollständig, wenn
auch betont wurde, daß cs eine spezielle Frauenfrage vom sozialistischen
Standpunkte aus nicht gebe, sondern die Fraucnfragc nur ein untrennbarer
Theil der großen sozialen Frage sei.

Der Rommers.

Zu Ehren der Delegirten war am 14. Oktober im größten Ballsaalc
Halles ein Kommers veranstaltet worden, welcher so zahlreiche Bethciligung
fand, daß der Saal überfüllt war. Ein schwungvoller Prolog, gedichtet und
gesprochen von Manfred Wittich (s. unten), leitete die Feier in würdiger
Weise ein, es folgten Gesangs- und musikalische Vorträge, sowie Ansprachen
mehrerer Delegirten. Den Glanzpunkt des Festes bildeten zwei lebende Bilder.
Das eine zeigte Lassalle als Ueberwinder des Kapitals, das andere den Segen
der Arbeit, gruppirt nach einem Bilde, welches zur Maifeier im „Wahren
Jacob" erschienen war.

Von einem auswärtigen Gast, dem Genossen Beck-Zürich, wurde die
rothe Fahne überreicht, welche vor zwölf Jahren die Kasseler Genossen nach
der Schweiz in Sicherheit gebracht hatten. Dieselbe ist in dieser Zeit bei
allen wichtigen Sozialistenznsammenknnften in der Schweiz als Banner ent-
faltet worden.

Das Fest verlief in schönster Harmonie und das Bureau des Kongresses
sprach den Halle'schcn Genossen dafür den Dank der Theilnehmer aus.

An den Parteitag in Ralle.

Prolog, gesprochen am 14. Oktober beim Kommers in Halle a. S.
Von Manfred Wittich.

Auf deutschem Boden zum ersten Mal
Seit langer Zeit, ihr Genossen,

Begrüßen wir uns, und freu'n uns der Saat,
Die herrlich emporgesprossen.

Was thaten nicht Trug und List und Gewalt,
Die Völkerbewegung zu hemmen.

Wie mühte man sich verblendeten Sinns,
Sich dem Fortschritt entgegenzustemmen!

Ohnmächt'ges Beginnen, kind'sches Thun!
Oel goß man in lodernde Flammen,

Es schweißte der allgewaltige Druck
Nur fester uns immer zusammen.

Man schlug auf den Herd und es stoben umher
Die glühenden Funkengarben,

Und sie lohten zu neuen Flammen empor.
Nur wen'ge verlöschten, verdarben.

Und zehn der Kämpfer erstanden da.

Wo einer zu Boden gesunken,

Aus tückisch gereichtem Becher des Gifts
Wir haben uns Stärke getrunken.

Gefeit nun gegen ein jegliches Gift
Verlachen wir Tücken und Ränke,

Nichts anzuhaben vermögen uns mehr
Die feindlichen Schierlingsgetränke.

Glück zu. Dir, wackerer Proletar!

Schon hast Du die Probe bestanden,

Und herrlich erklingt das Siegeslied,

Dich feiernd in allen Landen.

Du schautest dem Hunger, der Noth und dem Tod
Ins Angesicht, ohne zu zagen.

Du hast der Verfolgung grimmigste Wuth
Zwölf Jahre lang tapfer getragen.

Aus Deiner Seite stand jedes Recht,

Der Wissenschaft klarste Erkenntnis;.

Nun fiel das schnöde Ausnahmegesetz.

Da habt Ihr das off'ne Geständnis;,

Das off'ne Geständniß vom Feinde selbst.
Daß all' sein Wüthen vergebens.

Daß keine der Wunden, die Ihr empfingt.
Getroffen den Nerv Eures Lebens.

Stolz wehen die rothen Fahnen im Wind,
Hell klingt die Marseiller Weise! —

Und das Wehen und Klingen, wem gilt es zuerst?
Den wackeren Todten zum Preise;

Euch sei, Ihr Gefall'nen, die Erde leicht,

Ihr Opfer der Pflicht und der Treue,

Bei Eurem Gedächtnis; geloben wir
Fest auszuharren auf's Neue.

Und haben wir Ueberlebenden heut
Uns Siegeskränze gebunden.

Dankbaren Sinnes seien sie jetzt
Um Euere Urnen gewunden!

Wie Ihr bis zum letzten Athemhauch
Getreulich zum Banner gehalten.

So wollen auch wir es allezeit thun.

Wir Alle, die Jungen und Alten.

Nie möge kleingeistiger Dünkel und Wahn
Die Reihen der Kämpfer verwirren.

Es stütze der stärkeren Brüder Hand
Die Schwachen, die straucheln und irren.

So ziehen geschlossen in Rotten und Reih'n
Wir hinaus zu erneuertem Ringen
Und nimmer geling' es der Feinde List,
Unter uns Unordnung zu bringen.

So pfleget, Ihr Freunde, besonnenen Muths
Einträchtiger, ernster Berathung,

Ihr Alle, die hier zusammengebracht
Zum Parteitag die festliche-Ladung.

Aus Eurem Bemüh'n mög' Segen erblüh'n
Der Arbeit wackerem Volke! —

Und zeigt sich von Neuem am Horizont
Eine unheildrauende Wolke:

So steht auf den Ruf' Alle Mann an Bord!
Ein Jeder von uns auf dem Plane,

Und wir schaaren unsAlle kampffreudigenSinnS
Um Euch und um unsere Fahne,

Dann komme, was immer uns kommen mag:
Wir werden es wissen zu tragen, .

Wir werden auf jeglichem Schlachtfeld dann.
Das man uns bietet, uns schlagen!

Denn unwiderstehlich ist unser Heer,
Unsterblich unsere Sache! —

Proletarier, der Du noch seitab stehst.

Hör' unser Rufen, erwache!

Tritt ein in der kämpfenden Brüder Reih'n,
Unter's Banner der Freiheit und Gleichheit
Und Brüderlichkeit, streif' ab den Bann
Des Wahns, der Charakterweichheit.

Und Ihr Frauen u. Mädchen der Arbeit, herbei,
Euch drücken die nämlichen Ketten,

Aus denen sich streben mit heißem Bemüh'n
Eure Männer und Brüder zu retten.

Reicht ihnen die liebende, freundliche Hand,
Erleichtert ihnen das Ringen,

Und schafft mit uns, daß das herrliche Werk
Der Befreiung uns möge gelingen.

Verschränket die Hände zum Bruderbund,
Proletarier aller Lande
Schürzt enger und enger von Tag zu Tag
Der Völkerfreundschaft Bande;

Dann schaffet Ihr endlich das gleiche Recht,
Den Frieden, die Wohlfahrt für Alle! —
Und nun, Ihr Genossen, stimmt ein mit mir
In ein Hoch, das brausend erschalle:

Hoch die Trägerin einer neuen und höheren Kultur,
die sieghafte internationale Sozialdemokratie!

er aber fuhr fort: „Elender Wurm! Wie kannst Du cs wagen, Du Wicht,
mit Deinem vom Golddurst ausgetrockncten Herzen die erhabene Halle zu
betreten, in welcher die Lüste der Zukunft wehen und der Genius der Kultur
seine glänzenden Schwingen bewegt zu majestätischem Fluge?" Bitte tausend-
mal um Entschuldigung. Wer sind Sie denn? stammelte ich mit Zittern
und Beben. „Wer ich bin?" rief er mit schrecklicher Stimme, „Roland bin
ich, der gepriesene Held, der den plumpen Riesen erlegte zu Karls des
Großen Zeiten. Roland bin ich, der zu allen Zeiten mit dem Schwert der
Gerechtigkeit den Kampf führt gegen Unterdrückung und rohe Gewalt. Und
heute bin ich das kraftstrotzende Proletariat, das mit seiner wuchtigen Heldcnfanst
das Schwert der Gerechtigkeit schwingt gegcn.dcn plumpen Riesen der Kapital-
macht und nicht rastet, bis es den Riesen besiegt. Kennst Du nicht die Worte:

Jung Roland nahm in großer Hast
Das Schwert in beide Hände;

Der Riese nach dem senken faßt'.

Er war zu unbehende:

Mit flinkem Hiebe schlug Roland
Ihm untern Schild die linke Hand,
Daß Hand und Schild entrollten.

Dem Niesen schwand der Muth dahin,
Wie ihm der Schild entrissen:

Das Kleinod, das ihm Kraft verliehn.
Mußt' er mit Schmerzen missen.

Zwar lief er gleich dem Schilde nach.
Doch Roland in das Knie ihm stach.
Daß er zu Boden stürzte.

Roland ihn bei den Haaren griff.
Hieb ihm das Haupt herunter. —

Da schlug die Glocke Eins und plötzlich —

Halle n. S., 16. 10. 90.

Ein großer Genuß erwartete mich noch aus dem Parteitag, der sich in
Liebknecht's Programmrede zu seinem Höhepunkt erhob. Diese Rede
hättest Du hören müssen, Lottchen. Der Redner kam mir vor, wie Moses
auf dem Berge Nebo, der in das herrliche Land der Verheißung hincinblickt,
zu seinen Füßen die aus egyptischer Knechtschaft befreiten Sklavenschaaren.
„Holmreich Land!" wie es in Mcyerbecr's Oper heißt, glorreiche Zukunst
des Menschengeschlechts, wo wir aufathmcn werden vom Alp des Kampfes
ums Dasein, der uns Alle bedrückt, auch die Reichen und Reichsten, und
unfern Genius knickt, den Genius des Wahren, Guten und Schönen. Solltest
du wirklich kein bloßer Traum sein? sollte der menschliche Fortschritt, der ja
so vieles Wunderbare, Unglaubliche verwirklicht hat, auch das Zeitalter des
allgemeinen und echten Menschcnglücks verwirklichen, von welchem die Poeten
alter Zeit singen und sagen? Ach, die Menschheit lag so lange krank darnieder,
daß sic an ihre Genesung kaum glauben kann und wir Kapitalisten am
Wenigsten, die wir uns für gesund halten, weil wir cs materiell besser haben,
als die anderen, während wir intellektuell und moralisch gerade so krank sind,
wie die anderen, oft noch viel kränker!

Ich sprach darüber viel mit meinem Nachbar. Merkwürdig, wie dieser
Proletarier — er ist Mechaniker — über alle sozialen Dinge beschlagen ist,
wie beredt und überzeugend er die Gegengründe und Einwände zu widerlegen

wußte, wie sich die Schwärmerei des Idealisten mit dem praktischen Blick
und Schick des Realisten bei ihm vereinigte, wie er bald ergreifende Fresko-
bilder im Historienstil aus der sozialen Welt entrollte und bald wieder in
Dctailmalerci sich erging. Wie wenig kennt man in unseren Kreisen die
Sozialdemokraten und die Sozialdemokratie, und wie wird sic in unserer
nichtsnutzigen Presse verleumdet. Ich fürchte, liebe Lotte, wir haben gegen
die Sozialisten viel gesündigt und haben viel gut zu machen.

Halle a. S., 17. 10. 90.

Erschrick nicht, liebe Lotte, nimm die Mittheilung mit gebührender
Fassung auf und trage das Unvermeidliche mit Würde. Wirst ohnehin durch
meine Briefe vorbereitet sein. Item, cs ist geschehen, ich bin jetzt noch ein
Rath weiter: Koinmcrzicnrath, Stadtrath, Aufsichtsrath und — fall' nicht
in Ohnmacht! — Sozialdemokrat, echter und gerechter, feuerrothcr Sozial-
demokrat, eingeschriebenes Mitglied der sozialdemokratischen Partei. Und ich
rathc Dir als vierfacher Rath: eile hierher auf den Flügeln der Liebe, um-
arme Deinen geistig neugeborenen Gemahl und laß Dich von Frau Ihrer
in den neuen Bund aufnchmen. Du willst nicht? Auch recht, deswegen
keine Feindschaft nicht und auch keinen Groll. Du zürnst, weinst, schiltst?
Ich rathc Dir, reg' Dich nicht zu sehr aus, Du bekommst sonst leicht Deine
Migräne und Krämpfe. Wenn Du aber absolut willst, so tobe Dich aus,
bevor ich heimkomme, dann wollen wir ruhig über die Sache reden. Ja,
liebe Lotte, das Schicksal spielt den Menschen wunderbar mit. Wenn Dir
Jemand prophezeit hätte, als Du noch im höheren Töchtcrinstitut warst, Du
würdest einst einen Sozialdemokraten zum Manne haben, Du hättest ihm
unzweifelhaft die Augen ausgekratzt, und wenn mir Jemand im vorigen
Jahr so etwas prophezeit hätte, ich hätt's ihm eben so wenig geglaubt, wie
wenn er behauptet hätte, daß Bismarck, Tyras und das Sozialistengesetz
abgedankt sein würden und in Halle der sozialdemokratische Parteitag abge-
halten werden wird. Das wird nie geschehen! hätte man ausgcruscn, wie
unsere Klasse gewöhnlich ausruft, wenn die Sozialdemokraten ihre Ideen
entwickeln. Ei, kein Mensch kann wissen, was noch geschehen oder nicht
geschehe» wird und ob nicht der nächste sozialdemokratische 23. Parteitag
von Herrn v. Bötticher in Person eröffnet wird und Du, liebe Lotte, neben
Frau Ihrer sitzest und mit ihr um den Rcdclorbcer wetteiferst. Also gewöhne
auch Du Dir die dumme Redensart ab „das wird niemals geschehen", und
wenn ich Dir sage, daß ich mich mit der süßen Hoffnung wiege, meine liebe
Lotte werde mich Neubekehrtcn mit heißen Küssen empfangen und zur Feier
des gcthancn Schritts ein rothcs Familiendiner arrangiren mit Krebssuppe,
Rothfisch, Hammelskculc mit Tomatensaucc, Feldhuhn mit Rothkohl und
rothen Rüben, nebst einer Batterie alten Rothwcincs — so rufe ja nicht
aus, liebe Lotte: das wird niemals geschehen!

Tausend Grüße und Küsse von Deinem treuen Wilhelm.
 
Annotationen