Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 115 (Weihnachtsnummer) des „Wahren Jacob" gelangt am 2V. Dezember 1890 zur Ausgabe.

920

Australische Streiks,

Die großen Streiks der Schiffsangestellten und der beim Löschen und ;
Laden der Schiffe betheiligten Arbeiter, welche Ende dieses Sommers in ,
Australien stattfanden, erregten in Europa fast das gleiche Interesse, wie der
Dockerstreik in England. Wie überall so versuchten auch in Melbourne die
Schiffsrheder oder deren Agenten die Forderungen der organisirten Arbeiter
durch Einstellung von sogenannten „freien Arbeitern" oder „Schwarzbeinen"
zu bekämpfen. In der Regel war bei dem festen Zusammenhalten der Ge-
werkschaften der Sieg an deren Fahnen geknüpft; nicht wenig trug hierzu
aber auch die öffentliche Meinung bei, die sich für die streikenden Arbeiter
ausgesprochen hatte. — Eine der häßlichsten Seiten dieser Massenstreiks ist
die Brutalität, mit welcher die Gewerkschaftsleutc gegen die nicht organisirten
Arbeiter Vorgehen. Die Erbitterung der Arbeiter ist freilich zu begreifen, |

da sie sich im Kampfe um ihren Lohn durch ihre eigenen Brüder benach-
thciligt sehen; nichtsdestoweniger bleibt ein solches Aufeinanderlosschlagen
beklagenswert!). So lange die englischen n. a. Arbeiter nur den Kampf
um die Höhe des Lohns kennen, werden allerdings diese Gcwaltthätig-
keiten nicht ausblcibcn, sic werden erst dann sich mildern und allgemach anf-
hören, wenn die Arbeiter beginnen, dem Kapitalismus dadurch auf den Leib
zu rücken, daß sie den Kampf um die Abschaffung des Lohnes führen,
d. h. daß sic die Umwandlung der heutigen kapitalistischen Produktionsweise
in die genossenschaftliche fordern. Die englischen Arbeiter sind auf dem
besten Wege, in das sozialdemokratische Lager einzurücken — dann dürfte
es aber auch um die Ruhe John Bulls geschehen sein.

Unser Bild, welches nach einer in Melbourne gemachten Zeichnung an-

Angriff der Stauer-Gewerkschaft in Melbourne auf die sog. „freien Arbeiter" auf der „Chemnitz".

gefertigt ist, stellt den Moment dar, wo die Angehörigen der Gewerkschaft
der Stauer die „freien Arbeiter" auf dem Hamburger Dampfer „Chemnitz"
augreifen. In einem an die „Franks. Ztg." gerichteten Briefe heißt cs
darüber: „Als sich der Dampfer „Chemnitz" der Deutsch-Australischen Dampf-
schiffsgesellschaft in Hamburg dem sogenannten alten Staden der Vereinigten
Australischen Dampfschifffahrtsgcsellschaft in.Melbourne, wo die Hamburger
Schiffe seit Eröffnung der Linie anzulegen Pflegen, näherte, begann eine der
bctrübcndsten Szenen in dem Streik. Da die Gewerkschaft der Stauer auf
ergangene Anfrage des Generalagenten von der Heyde die Löschung verweigert
hatte, waren für die „Chemnitz" freie Arbeiter angeworben worden, die, um
jede Berührung mit der viclhundertköpfigen Menge, die sich auf dem Staden
zusammendrängte und schon laute Drohungen aussticß, zu vermeiden, von
einer Dampfpinasse an einer anderen Stelle des Hafens abgcholt worden
waren und nun an Bord gebracht werden sollten. Kaum aber war das
kleine Fahrzeug in Sicht gekommen, als die Menge auch schon in Thätlich-
keiten ausartete. Zunächst wurden Steine, Holzscheite, Eisenbarrcn nach den

Insassen der Pinasse geworfen, von denen mehrere schwer verletzt wurden.
Dann aber, als cs dem Führer des Fahrzeuges unter einem wahren Schauer
von Wurfgeschossen doch geglückt war, anzuicgcn und die Arbeiter an Bord
gekommen waren, gab es kein Halten mehr. Die wenigen Polizisten, die
zur Stelle waren, wurden einfach überrumpelt, eine Holzbarriere, welche den
Zugang zur Landungstreppe freihaltcn sollte, wurde in Stücke geschlagen
und der Dampfer im nächsten Augenblicke von den Wüthcnden im Sturme
genommen. Nur dem handfcsteit Eingreifen der Hamburger Mannschaft ist
cs zu verdanken, daß auf der „Chemnitz" nicht Alles kurz und klein ge-
schlagen worden ist. Ein freier Arbeiter wurde angcpackt und einfach über
die steile Schiffswand auf den Staden hinnntergeschleudert. Dem Kapitän
blieb zuletzt nichts übrig, als die „Chemnitz" von den Staden der Bereinigten
Australischen Dampfschifffahrtsgesellschaft weg und nach einem anderen, aus-
reichenden Schutz gewährenden Platze, der sog. Parbury Werft, bugsiren zu
lassen, wo die Löschung der Ladung ohne Störung vor sich ging.

Redaktion. Georg Bastler, Druck »»b Verlag: I. Q. W. DIetz, beide in Stuttgart.
 
Annotationen