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De man in een Prostsagen bleiben konntest. Et is Wat Merkmirdiget mit
sonne Krankheit: Jeder wollte se natierlich ain Schlimmsten jehabt haben —
wenn et aber de Cholera oder irgend wat Änderet, wo man leichte bet
Athemholen bei versessen kann, jewescn wäre, denn hätte sich jeder vor be-
dankt. Det kann ick iebrigens ooch keenen Menschen verdenken, aber de
Influenza soll ooch vor manche Leite, die jern 'n Stick Arbeit liegen lassen,
det Jute jehabt haben, det man se vorschitzen konnte, wenn man jerne zu
Hause bleiben wollte. Aus persönliche Erfahrung kann ick Dir aber, wie
jesagt, hierieber nischt mittheilen, ick weeß blos, det die Krankheit in manche
Kasernen so becse ufftrat, det janze Regimenter von ihren Dienst dispensirt
werden mußten. Un Berlin steht trotzdem immer noch uff seinen ollen
Fleck, woraus ick den Schluß ziehe, det wir uns jarnich ville schlechter be-
finden wirken, wenn wir nich so sehr ville Soldaten hätten. Da mußt Du
doch aber ooch sagen, lieber Jacob, det de Influenza ooch ihr Jutet jehabt
hat, denn wenn man sonne Entdeckung macht, wie ick se Dir hier eben aus-
eenander gcpolkt habe, denn kann man blos jebet Mittel dazu mit Freiden
bejrießen, wat ick vor meinen Theil also hiermit pflichtschuldigst jedahn
haben mechte. De Apotheker sollen sich ja ooch nich schlecht de Hände je-
riebcn haben vor Verjniegen ieber de Haufen von Antipprin un Antifebrin
— sonne medizinischen Ausdrücke die schittele ick mir man blos immer so
aus'n Ermel — die de Berliner verputzt haben. Ooch de Doktors kloppen
sich uff de Taschen, se haben ihr Heu rin. Et war blos Schade, det der
Reichsdag, jrade wie de Influenza so recht in'n Jange war, sich in de
Weihnachtsserien verzogen hatte, sonst hätten nämlich de Kartellbrieder 'ne
saubere Entschuldigung vor ihr ewiget Fernbleiben jehabt. Aber et passirt
jewehnlich man sehre selten, det Alles jrade so paßt, wie man et jerne haben
mechte. Uebrigens jloobe ick, det sich de Kartellbrieder aus de Influenza
ooch nich allzuville jemacht hätten; so lange, wie se noch an't Ruder sind,
da machen se eben wat se wollen.

Sonst Passirt oogenblicklich in Berlin jrade nich ville, worieber man
sich freien kennte. In de letzte Zeit sind de Mordthaten mal Widder an de
Tagesordnung, et verjcht fast keene Woche, wo nich Eener abjemurkst wird.
De Philisterzeitungen treten sonne schrecklichen Vorkommnisse denn nu immer
mit det jreeßte Behagen breit; det aher mal een Mensch darieber Nachdenken
sollte, woher jrade die massenhaften Verbrechen jegen det Blut von seinen
Nebcnmenschen kommen, det fällt natierlich Keenen in. De Hauptsache vor
die Blätter is blos immer, det se riesig sensationell sind un det se jekooft
werden; det se aber durch ihre blutigen Schilderungen blos de niedrigsten
Leidenschaften uffriehren, ja jewissermaßen zu Nachahmungen anreizen, det
is ihnen janz Wurscht. Selbstverständlich wird dabei det Schimpen uff de
Arbeetcr nebenbei janz sistematifch besorgt, det kost nämlich nischt un der
Philister lest et immer jerne, det is inlmer Wasser uff seine Mülle. Von
seine eigene Rohheiten un Jeineinheiten da will er aber nischt lesen, darum
derf davon ooch nich öffentlich jesprochen werden. Ick bin jewiß een fried-
fertiger Kerl, davor kennste mir doch ooch, Jacob, aber det kann ick Dir
sagen, det mir Eener, der aus Noch mal aus'n fremdet Jlas drinkt, immer
noch lieber is wie Eener, der die Jesetze, die jeder Mensch immer in sein
eigenet Herze mit sich rumdragen sollte, so sein zu umjehen versteht, det er
niemals nich jefaßt werden kann. Bor die Brieder da nimm Dir in Acht,
lieber Jacob, die fressen Eenen mit Haut un Haare uff un lassen schließlich

nich mal de Knochen iebrig. — Na, ick will mir nich erst in de Wolle rin-
reden, ick habe nämlich noch beese wat vor die Brieder in Petto, wat ick
Dir aber lieber später mal schreiben werde. Vorläufig, lieber Jacob, bejricße
ick Dir mit eenen feinen Kratzfuß un verbleibe

erjebenst un mit ville Jrieße Dein freier

Jotthilf Naucke.

An'n Jörlitzer Bahnhof jlcich links.

Hobelspähne.

Politische Chemiker haben neuerdings den reichs-
feindlichen Karakter der Influenza festgestellt.
Dieselbe ist geeignet, Reichstagsbeschlüsse und
Gerichtserkenntnisse zu verzögern, der
Influenza-Bazillus gehört also unzweifelhaft einer
geheimen Verbindung an, zu deren Zwecken und
Beschäftigungen es gehört, die Gesetze unwirksam
zu machen.

* *

*

Dem kleinen Veilchen gleich,

Das im Verborgnen blüht,

Verleumdet der „Hintermann",

Wobei ihn Niemand steht.

* *

*

Das ist die schöne Faschingszeit!
Die Völker husten weit und breit
Von Rußland bis nach Portugal,
Die Influenza packt sie all'.

Und lute Prinz Karneval sich müht,
Damit des Witzes Feuer sprüht,
Verdorben ist der Faschingsspaß —

Die Völker h usten ihm etwas.

* *

*

Das gute Gewissen wurde früher als sanftes Ruhekissen be-
zeichnet. Wie sich aber in unserer Neuzeit Alles vervollkommnet, so wird
dieses Ruhekissen jetzt durch die politische Karakterlosigkeit ersetzt,
welche ein so vorzügliches Schutzkissen ist, daß ihrem Besitzer bei Ab-
stimmungen rc. der ärgste Um fall nicht weh thut.

* *

*

Kartellbrüderlein,

Sie schließen die Reih'n.

Sie wollen beim Wahlkampf
Hübsch oben sein.

Und doch giebt's viel Streit,
Weil sie stets sind bereit,
Sich arg zu bemogeln
In Brüderlichkeit.

Da die Kohlenpreise noch stets im Steigen sind, habe ich mich
entschlossen, auch in diesem neuen Jahre den Spitzeln und sonstigen Reaktions-
handlangern mit Hobelspähnen einzuheizen.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

Sie seufzte und ging hinaus.

Am nächsten Tage stand nur ein kleines Stück Fleisch auf dem Tische
und eine ziemlich kraftlose Wassersuppe cröffnete das Mahl.

„Was soll das heißen?" schrie er.

„Das soll heißen", sagte sie entschieden, „daß ich nnt dem bisherigen
Haushaltungsgeld nicht mehr so kochen kann, wie sonst. Wenn Du mir nicht
mehr geben willst, muß ich mich eben einschränken."

Er brummte.

Am andern Tage gab es Mittags Wurst, was er nicht leiden mochte.
Dagegen kam er mit einer Broschüre, die seine Rede enthielt.

„Hier!" rief er triumphirend.

„Ach was", sagte sie. „Glaubst Du denn, wenn ich dem Mädchen
Deine Rede mitgebe, werden der Bäcker und der Fleischer Brot und Fleisch
billiger liefern?"

„Thörin!"

„Grobian!"

„Der Teufel hole die Dummheit der Weiber!"

„So!" Und sie ging in äußerster Erregung von dannen.

Am Abend fand der Herr Professor, als er nach Hause kam, keine
Gattin und kein Abendbrot vor, wohl aber einen Brief seiner Schwieger-
mutter. „Meine Tochter", hieß es, „ist eine solch tyrannische Behandlung
und solche Schimpsreden nicht gewohnt. Wenn Sie ordentlich und reichlich
essen wollen, so müssen Sie auch das Geld dazu hergeben. Ihre gelehrten
Abhandlungen sind für die Küche gänzlich werthlos; höchstens kann man sic
zum Wursteinwickeln brauchen. Meine Tochter wird so lange unter meinem
Schutze bleiben, bis Sie sich eines Besseren besonnen haben werden; wollen
Sie das nicht, so thun Sie, was Ihnen beliebt, Sie Freund des armen
Mannes, der seiner eigenen Frau das Nöthige verweigert!"

Der Professor hatte erst einen Wuthanfall. Er rannte außer sich im
Zimmer umher.

„Warte nur, alter Drache!" schrie er. „Denn Drachen sind diese
Schwiegermütter alle!"

Dann ward er wehmüthig gestimmt. Sein trautes Weibchen fehlte ihm
mit ihrem Geplauder und Gekofe; es ward ihm ganz eng in der einsamen
Wohnung. Als das Mädchen den Kopf zur Thür hereinsteckte, um nach
seinen Wünschen zu fragen, wies er sie barsch zurück. Bon Neuem ergriff

ihn der Zorn. Aber er hatte keinen Gegenstand, an dem er sich aus-
toben konnte.

Dann kam ihm der Gedanke, einfach zum Hause seiner Schwiegermutter
zu gehen und Alles wieder gut zu machen.

„Nein, tausendmal Nein!" schrie sein Eigensinn in ihm und er ging nicht.

„Ha, ich will ihnen zeigen, daß ich ein Mann bin!" knirschte er. „Immer
wollte man mich schon in den Landtag wählen und ich habe aus Rücksicht
auf meine wissenschaftliche Thätigkeit abgelehnt; aber jetzt nehme ich an.
Das Volk wird mir sein Vertrauen beweisen und mich wählen, trotz des
Geschreies über Lebensmittelvertheuerung. Dann aber werde ich im Landtag
in donnernden Reden das Lügengewebe zerreißen, das diese Zeitungsschreiber
so weit gesponnen haben, daß sie den Frieden der Familien damit stören.
Ich gehe heute in den schutzzöllnerischen Klub, und wenn ich mich vor Zorn
betrinke, ist mir's ganz egal, ich kandidire."

Der Herr Professor bekam einen Rausch und wurde Kandidat.

Eine große Wahlversammlung ward angesetzt und der Herr Kandidat
verfocht in einer heftigen Rede seine Ansicht von dem Segen, den die Schutz-
zölle dem armen Mann gebracht hätten.

Da trat nach ihm ein Arbeiter auf und sprach: „Herr Professor, ich
bin ein armer Mann. Wenn Sie sich verpflichten wollen, mit meinem Ein-
kommen von zwölf Mark wöchentlich einen Monat zu leben, und wenn Sie
dann von 8er Preissteigerung noch Nichts verspürt haben, dann wähle ich Sie!"

Der Mann hatte den Vogel abgeschossen und der Herr Professor konnte
ihm keine rechte Antwort geben. Denn in der nächsten Woche mußte er
ohnehin seinen Kollegen einen Schmaus geben; schon deshalb traute er sich
nicht an das Experiment heran.

Der Herr Professor fiel bei der Wahl glänzend durch.

Das brachte ihn zum Nachdenken und er verlor den Glauben an die
alleinseligmachenden Schutzzölle.

Er bezwang sich und klopfte bei der Schwiegermutter an. Sie empfing
ihn nicht ohne Spott. Als aber sein rosiges Weibchen kam, vergaß er Alles
und bat um Vergebung.

Die Versöhnung ward bei einem ziemlich theueren Braten gefeiert,
wobei die Schwiegermutter dem Professor noch einen langen Vortrag über
Preissteigerung hielt. Er verbrannte seine Rede über die Schutzzölle feierlich
und entsagte aller Politik. Es ist auch gut so!
 
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