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Nachbarschaft, wenn sich die Onkels in 't Zeich lesen, die Jesellschaft verschont !
schließlich de Wiege in 'n Mutterleibe nich. Aber Hammersteinen haben se
kaltjestellt! Haste Worte vor die Sorte Torte? Du weeßt doch, wem ick
meene? Ratierlich den Hammerstein von de Kreizzeitung, der so scheen
mauscheln kann wie zwee polnische Juden. De preißischen Junker waren
janz baff vor Verwunderung, det de Kartellbrieder von Hammersteinen
nischt mehr wissen wollten, se machten Jesichter, als hätte nian se 'n Loch
in'n Bauch jeschossen. Sechste, Jacob, de Zeiten ändern sich, aber damit
is noch lange nich jesagt, det et bei uns ooch blos de Bohne besser Wirde,
wenn se ooch zehnmal de Kreizzeitung abtakeln. Det is Mus wie Miene,
un de Arbeeter kann et jänzlich Schnuppe sind un bleiben, ob een feudal-
junkerlicher Ritterjutsbesitzer mit Hilfe von de nationalen Kornzölle ihr Jcld
insackt, oder ob een nationalliberaler Fabrikant de Freindlichkeit hat, for
den Arbeeter Ausnahmejesetze zu machen, mir wäre det wenigstens janz
Pomade, oder hochdeitsch jesprochen: „Jacke wie Hose". Der Borjang muß
eben als een sojenanntet Zeichen der Zeit ufsjefaßt werden, un zwar is et
een Zeichen davor, det de Nationalliberalen ihre Ellbogen nu so lange
jebraucht haben, det se nu endlich ooch bei de alljemeine Krippe anjelangt
sind, un nu futtern se zu, det et man sonne Art hat; ja die Kerrels ent-
wickeln Dir eenen Apptit, als hätten se 'ne sechswöchentliche Hungerkur bei
Schwenningern durchjemacht. Det merkt ja nu keener mehr wie de Junker
un daher kommt denn nu ooch die dicke Freindschaft, det heeßt, se mechten
sich jejenseitig vor Liebe am Liebsten ufffressen, un wenn se mal zusammen-
jekommen sind, denn ärjert et immer jeden von ihnen, det er et nich jedahn
hat. Ick brauch' Dir eijentlich ja jarnich mehr zu sagen, denn aus die
Paar Worte mußt De ja eijentlich schon alleene jemerkt haben, det det
Kartell vor de Ewijkeit zusammenjeschmiedet is. Det jetzt niemals nich
auseenander, höchstens, wie et in den ollen Vers heeßt, „wenn der Kater-
Junge kriegt". Na, un uff den Oogenblick kennten wir ja woll noch 'ne
ziemlichst Weileken warten. Det Verhältniß von de Kartellbrieder unter-
eenander, det kommt mir immer so vor, als wenn De eenen ollen, derben,
dichtsten Köter mit 'ne olle jrießjrämige Miesekatze inspunnst. Solange wie
De mit'n Knippel dabeistehst un jiebst Jeden, der anfangen will, jleich eens
ieber 't heilige Kreiz, det er denkt, Ostern un Fingsten fallt uff eenen Dag,
so lange herrscht ja lieblicher Friede, det muß ick Dir sagen un det kannste
Dir ja ooch woll denken — aber wende mal blos den Ricken, denn sollste mal sehen,
wie die dicken Fremde sich jejenseiüg in de Oogen springen. Bille anders is et
mit de Kartellbrieder ooch nich, un wenn in Friedrichsruh nich so jmau uffjepaßt
wirde, denn solltest De mal sehen, wat et vor eenen Krach jeben Wirde!

Uns kann so leichte Kenner an de Rippen tippen, un wat uns de Zu-
kunft bringt, det werden wir ja sehen. Ick warte et ruhig ab un rathe Dir
een Jleichet, womit ick verbleibe erjebenst un mit ville Jrieße Dein treier

Jotthilf Naucke
An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

tt

Hobelspähne.

Die Kartellparteien sind in höchster Verlegen-
nl heit wegen des unvermuthet früh angesetzten Wahl-

^ / rf_ termins. Sie wissen nicht, wo sie Schreiner in

jjl /yy / ijd genügender Anzahl auftreiben sollen zur Anferttgung

' von Holzbaracken und Melinit-Niederlagen

in Frankreich, auch läßt ihr Bundesgenosse von der
vorigen Wahl, General Boulanger, diesmal gar
nichts von sich hören und es ist noch fraglich, ob
er sich dazu bewegen lassen wird, durch etwas
Säbelrasseln wieder Kriegsfurcht zu erzeugen.

Kartell, Du sollst nicht wählerisch
Mit Kandidaten sein.

Puttkamer hast am Halse Du,
v- v;v : ’ Nun schlucke auch den Hammerstein.

* *

*

Der nächste Wahlzettel wird für fünfjährige Mandatsdauer ab-
gegeben. Hüte sich daher Jeder, durch Abgabe eines Kartellzettels auf
fünf Jahre die Volksrechte zu verzetteln.

Schon lange macht man viel Geschrei,

Was wohl die Wahlparole sei?

Hier Freiheit, dort die Reaktion,

Hier Arbeitsschutz, dort schlechter Lohn,

Hier Sorge für des Volks Gedeih'n,

Dort Zoll- und Steuerplackerei'n,

Mit einem Wort, die Losung hell

Klingt: Volksmann hier und dort Kartell.

Es steht zu hoffen, daß bei der bevorstehenden Wahl auch die Frauen
sich für den Sieg der freiheitlichen Sache interessiren werden, denn das
Frauenherz bewahrt sich immer den Sinn für das Schöne und das Kartell in
seiner Zerrissenheit und Karakterlosigkeit bietet durchaus keinen schönen Anblick.

Ihr Bergarbeiter im dunklen Schacht,

Ihr fördert Kohlen bei Tag und Nacht,

Nun fördert bei der Reichstagswahl
Auch Euer eig'nes Wohl einmal.

An der Influenza haben wir in diesem Jahre schon so viel gelitten,
daß sie hoffentlich nicht als Wahl-Influenza (d. h. Wahlbeeinflussung)
wieder zu Tage tritt.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

haben, wenn er die Wahl fertig bringt. Einen Nachfolger im Geschäft
mußt Du ja doch einmal einsetzen. Ein Mädchen können wir ja drangeben;
wir haben ja deren drei, und die beiden anderen können dann Generale
oder Botschafter heirathen, wenn Du erst Minister bist."

Dem Herrn Kommerzienrath ward schwül zu Muth. „Wie soll ich
regieren?" seufzte er. „Davon verstehe ich Nichts."

„Nun", lachte sie, „ich regiere dann Dich und damit das Land."

Der Kommerzienrath sagte Nichts.

„Du wirst dann jedenfalls Handclsminister werden", meinte sie; „Deine
erste Pflicht ist dann, dafür zu sorgen, daß die Zölle auf Modeartikel ab-
geschafft werden."

„Aber deutsche Industrie und deutscher Gcwerbfleiß müssen doch geschützt
werden."

„Ach was", sagte die Frau Kommerzienräthin. „Ich will meine Toi-
letten billig aus Paris beziehen, wozu sollte ich denn sonst einen Handels-
minister zum Mann haben?"

Duckwitz trat ein.

„Herr Duckwitz", sagte die Kommerzienräthin, „Sie lieben meine Tochter!"

„Wie-mein Leben", sagte der junge Mann, sich wie in Schlangen-
windungen verbeugend. Sie lachte höhnisch. Dann aber sprach sie mit
Nachdruck:

„Sie sollen meine Tochter haben. Aber zuvor haben Sie dafür zu
sorgen, daß mein Mann in den Reichstag gewählt wird."

„Tausend Dank!" stammelte Tuckwitz. „Aber solch eine Aufgabe"-

„Zu lösen ist Ihre Sache." Damit winkte sie ihm gebieterisch ab und
er zog sich zurück. Der Kommerzienrath seufzte tief auf.

Die Wahlbewegung war im Gang; der Arbeiterkandidat Max Weber
war entlassen worden. Aber er trat nicht von der Kandidatur zurück.

Herr Duckwitz strengte sein Gehirn an, ein Mittel zu finden, dem Kom-
merzienrath den Sieg zu verschaffen.

Zunächst sollte der Herr Kommerzienrath an einem Mittag, wenn die
Fabriken aus wären und die Arbeiter nach Hause strömten, die Hauptstraßen
entlang fahren und vor den begegnenden Arbeitern ehrfurchtsvoll den Hut ziehen.

Dann sollten auf einige Arbeiterdörfer, wo großer Nothstand herrschte,
Kleidungsstücke und Nahrungsmittel geschickt werden.

Und dann sollte allen Arbeitern zur Feier des fünfundzwanzigjährigen
Bestehens der Spinnerei Strebsam ein großes Fest mit Gänsebraten und
Bier gegeben werden.

Mit diesen Zugmitteln hoffte man die Wähler zu gewinnen. Der Herr
Kommerzienrath befolgte genau die Vorschläge dcS Herrn Duckwitz.

Als der Herr Kommerzienrath durch die Straßen fuhr und den Hut

vor den aus den Fabriken strömenden Arbeitern zog, sahen ihn diese ver-
wundert an und er hörte deutlich, wie Einer sagte:

„Ich glaube, dem rappelt's im Oberstübchen."

Das war keine glückliche Vorbedeutung.

Auf die Dörfer wurden Suppen, geräuchertes Fleisch und eine Anzahl
alter Kleider geschickt. Bald darauf hörte man, daß die Gemeindediener und
Nachtwächter das Beste an sich genommen hätten mit der Bemerkung, sie
seien auch nothleidend und die Gemeinde könne solche Unterstützung wohl brauchen.

Von dem Feste hoffte man die Hauptsache. Die Arbeiter waren zu dem
Feste befohlen worden und wagten nicht wegzubleiben, denn Herr Duckwitz
paßte scharf auf.

Um zehn Uhr Abends erschien Herr Sttebsam auf dem Feste. Er ward
mit Schweigen empfangen und schritt grüßend durch die Reihen. Plötzlich
erhob ein großer schwarzbärtiger Mann sein Glas und ri. j:

„Er lebe hoch!"

Aber das Echo war ein sehr geringes. Herr Strebsam ging auf den
Schwarzbärtigen zu und sprach:

„Mein Sohn, Sie werden auch bei der Wahl Ihre Schuldigkeit thun."

Der Schwarze aber sprach:

„Bin ich Landsmann ungarisches; nix Politik, aber viel Durst."

„Ach, da können Sie ja gar nicht wählen", sprach der Kommerzienrath
ärgerlich und ging weiter. Er sah, wie ein alter Mann sich mit einer Gieß-
kanne schwer abschleppte, die er sich voll Bier hatte laufen lassen.

„Laßt's Euch schmecken, Alter!" sprach der Kommerzienrath. „Ihr
werdet doch auch wählen?"

Der Alte machte ein pfiffiges Gesicht.

„Ich bin Nachtwächter in der Fabrik", sagte er, „meine Sttmme gilt nicht."

„Die Stimme eines Nachtwächters gilt so viel als die eines andern
Bürgers", sagte der Kommerzienrath mit Würde.

„Schon recht", meinte der Alte ttocken, „aber ich bekomme von der
Fabrik nur drei Mark pro Woche; da muß ich Armenunterstützung annehmen
und darf nicht wählen."

Der Kommerzienrath ging zornig hinaus, aber er hörte noch, wie man
in ein Gelächter ausbrach und wie ein Hoch aus den Arbeiterkandidaten aus-
gebracht wurde.

Der Kommerzienrath ist bei der Wahl durchgefallen. Seine Frau ist
nicht Ministerin geworden, ihre Töchter haben keine Generale und keine Bot-
schafter geheirathet, und die Pariser Toiletten sind noch immer so theuer
wegen des Zolls. Dafür hat aber auch Herr Duckwitz seine Minna nicht
bekommen. Ob er's bei dieser Wahl wieder versuchen wird?
 
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