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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 18.1925

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Volkelt, Johannes: Zur Psychologie des ästhetischen Genießens
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https://doi.org/10.11588/diglit.3820#0005

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JOHANNES VOLKELT.

gleiche gilt hinsichtlich der verschiedenen Künste und Kunstzweige.
Für die Dichtkunst kommen andere Lustquellen in Betracht als für die
Musik, für die Lyrik andere als für das Drama. Ja, jeder Individualität
des Künstlers entsprechen bestimmte Weisen der ästhetischen Be-
glückung. Wie weit gehen etwa die Wohlgefühle au seinander, in die
wir durch Raffael, Rembrandt, Dürer versetzt werden!

In jenem Kapitel nun habe ich mich begnügt, auf die vielfältige
Zusammensetzung der »ästhetischen Lust« ein scharfes Licht fallen
zu lassen. Ich war bei Abfassung jenes Kapitels vor allem von dem
Bedürfnis geleitet: es gelte der zu weit gehenden Vereinfachung der
ästhetischen Lust entgegenzutreten. Ich hielt meinen Blick auf die
gegnerische Ansicht gerichtet, die das Eigentümliche der ästhetischen
Lust in einer einzigen bestimmten Bewußtseinsbetätigung sieht. Nun
ist aber mit einem solchen Auseinanderlegen der ästhetischen Lust in
ihre verschiedenen Ursprünge offenbar nur die eine Hälfte der Aufgabe
getan. Denn die Frage drängt sich auf: worin besteht das Durch-
greifende im Gepräge der ästhetischen Befriedigung? Diese stellt sich
uns doch nicht bloß als ein Vielerlei von Lustarten dar, nicht als ein
Lustgemenge; sondern es geht ein einheitlicher Zug durch die mannig-
faltigen Lustqualitäten. Es gehen die vielen Faktoren zu einem ein-
heitsvollen Gepräge zusammen. Es gibt eine Gesamtqualität der
ästhetischen Befriedigung. Diese Gesamtqualität gilt es heraus-
zuheben und zu beschreiben. Ich könnte sie auch als »Komplexquali-
tät« bezeichnen.

2. Dabei ist zu bedenken, daß die Gesamtqualität die verschiedenen
einzelnen Lustarten nicht etwa aufsaugt, so daß sie für das Bewußt-
sein überhaupt nicht mehr als verschiedene vorhanden wären. Viel-
mehr bleiben die einzelnen Lustarten und Lustfärbungen neben jener
Gesamtqualität der Lust für das Bewußtsein bestehen. Von einem Zu-
sammenrinnen ihrer Mannigfaltigkeit zu einer Einheit, so daß diese in
jener verschwände, ist keine Rede. Es ist so wie etwa beim Dreiklang:
diesem entspricht eine eigentümliche Gesamtqualität; mit ihr zugleich
aber hören wir auch die drei Einzeltöne, einen jeden in seiner quali-
tativen Besonderheit. So stellt sich etwa beim Lesen von Goethes
»Erlkönig« eine Gesamtqualität des Wohlgefallens an dieser Dichtung
ein. Ihr entspricht eine einheitliche Eigentümlichkeit des Wohlgefallens.
Daneben aber kann der Leser im besonderen seine Freude an der Ge-
iühlslebendigkeit, an der Phantasieanschaulichkeit, an der durchsichtigen
Gliederung, an dem gespenstisch Geheimnisvollen usw. empfinden.
Man mag das Sichherstellen der Gesamtqualität aus den verschiedenen
Qualitäten der Einzelfaktoren als Verschmelzung bezeichnen. Nur muß
man hinzufügen, daß dann neben dem Verschmolzensein auch die
 
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